Außenansicht:Ein Bündnis der Mitte

Charles A. Kupchan - Council on Foreign Relations

Charles A. Kupchan, 58, ist Professor an der Georgetown University und Senior Fellow am Council on Foreign Relations. Von 2014 bis 2017 war er Sonderbeauftragter für nationale Sicherheit des US-Präsidenten.

(Foto: CFR)

Nach dem Versagen der USA und Großbritanniens liegt es an Kontinentaleuropa, die liberale Weltordnung zu retten.

Von Charles A. Kupchan

Pax Britannica und Pax Americana bildeten einst die Grundlage für die moderne, globalisierte Welt. Und obwohl sie so viel Blut und Ressourcen für die Entstehung und Erhaltung des Westens aufgewandt haben, ziehen sich heute die beiden Gründungsmitglieder aus jener zurück. Das Brexit-Votum und die Wahl Donald Trumps machen deutlich, dass viele Briten und Amerikaner von der liberalen internationalen Ordnung genug haben, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert hat. Sie legen sich krumm, damit sie von ihrem Verdienst leben können, sie fühlen sich unwohl mit der Vielfalt, die die Einwanderung mit sich gebracht hat, und sie machen sich Sorgen wegen des Terrorismus. Eine beträchtliche Gruppe von Wählern in den westlichen Demokratien hat das Gefühl, auf der Verliererseite der Globalisierung zu stehen - und wird abtrünnig.

So weit, so gut. Der verständliche Ärger dieser Wähler macht deutlich, dass unsere postindustriellen Staaten nicht genug getan haben, um die Globalisierung zu gestalten, und dafür zu sorgen, dass von ihr größere Teile unserer Gesellschaften profitieren. Die Wahl Trumps und der anstehende Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union sind erschreckende Weckrufe. Wir ignorieren die Not der arbeitenden Klassen und gefährden so unsere westliche Demokratie. Was immer man von Donald Trump halten mag: Sein Aufstieg zeigt, dass der Sozialvertrag, der den demokratischen Zentrismus und eine breite Unterstützung für die liberale internationale Ordnung sichert, dringend umgestaltet werden muss.

Das Problem ist, dass Trump und die anderen Populisten keinen neuen Gesellschaftsvertrag anbieten; sie präsentieren ihren Anhängern eine falsche Rechnung. Trumps Methoden und seine Rhetorik mögen bei seiner Basis funktionieren, die inbrünstig das Establishment ablehnt. Aber der Kurs, den er einschlägt, verspricht, wenn überhaupt, nur die Notlage derer zu verschlimmern, die es ohnehin schwer haben. Es wird keinen Weg zurück in die industrialisierte Wirtschaft der 1950er-Jahre geben, als Fabrikjobs die US-Wirtschaft am Laufen hielten. Wenn das allgemein klar wird, könnte Trump einem noch unverantwortlicheren Populismus verfallen, und alles gefährden, was noch übrig ist von unserer faktenbasierten, abwägenden Demokratie.

Gegenstand eines neuen Sozialvertrags wäre es, die Globalisierung besser zu managen, nicht, sich aus ihr zurückzuziehen. Falls Washington eine Mauer an der Grenze zu Mexiko baut, Importzölle verhängt und Einwanderer abschreckt, die eigentlich Wachstum schaffen könnten, wird das Resultat vor allem sein, dass die Wirtschaft an Fahrt verliert. Die Preise für viele Konsumgüter werden steigen, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft sinken. Natürlich könnte es Trump gelingen, einige Fabrikjobs zurückzubringen. Aber diese Arbeitsplätze sind vor allem wegen der Automatisierung verloren gegangen, nicht wegen des Außenhandels.

Ein neuer Gesellschaftsvertrag ist nötig, um die Globalisierung zu gestalten

Außerdem werden die Vereinigten Staaten nicht dadurch "great again", dass sie die besten Waschmaschinen oder Klimaanlagen bauen (auch wenn niemand etwas dagegen hätte), sondern indem sie weltweit führend in Innovationen, Technologie und Bildung bleiben - alles Bereiche, die von Neuankömmlingen abhängen. Zwar arbeiten viele Einwanderer im Dienstleistungssektor, sie tragen aber auch entscheidend zum Technologie-Sektor bei. Eine neue Studie über amerikanische Start-ups, die eine Milliarde Dollar oder mehr wert sind, hat gezeigt, dass die Hälfte der Gründer außerhalb der USA geboren wurde - und dass mehr als 70 Prozent Immigranten in Führungspositionen beschäftigen.

Großbritannien ist auf dem Weg in eine ähnliche Sackgasse. Die Brexitbefürworter versprechen ein "globales Britannien", das sich von den politischen und fiskalischen Verpflichtungen der EU-Mitgliedschaft freigemacht hat und jetzt nach Belieben seine Handelsbeziehungen gestalten kann. Das Ergebnis soll angeblich eine erneuerte Wirtschaft sein. Tatsächlich wird seine Wirtschaft dramatisch schrumpfen, wenn das Vereinigte Königreich sich vom größten Markt der Welt löst und Industriebetriebe und Finanzinstitute auf den Kontinent fliehen. Und selbst wenn das Land weiter offene Handelsgrenzen haben sollte - es macht nur 18 Prozent des EU-Binnenmarktes aus, und wird es kaum schaffen, alleine bessere Verträge abzuschließen.

Wenn sowohl die Vereinigten Staaten als auch das Vereinigte Königreich sich für eine Politik der Illusionen und der Zerstörung und damit gegen den abwägenden Diskurs und eine informationsbasierte Politik entschieden haben, könnte die Ära des liberalen Internationalismus, die 1945 begonnen hat, tatsächlich enden. Um dies zuverhindern, müssen drei dringende Aufgaben gelöst werden.

Erstens müssen sich die Kräfte der Mitte aller politischen Überzeugungen zusammentun und einen neuen Gesellschaftsvertrag anbieten, der eine glaubwürdige Alternative zu den falschen ökonomischen Versprechen der Populisten bietet. Ein umfassendes Plan ist notwendig, wenn man das Vertrauen der arbeitenden Menschen in das politische Establishment wiederherstellen will - neue Initiativen zu Bildung, Ausbildung, Handelspolitik, Steuern und Mindestlöhnen. Der Plan muss sicherstellen, dass alle in den Genuss eines angemessenen Lebensstandards kommen und an den Vorzügen der Globalisierung teilhaben können. Die Globalisierung wird nicht verschwinden. Aber man muss sich um die wachsende Ungleichheit kümmern, die sie zur Folge hat - im Namen der Demokratie.

Zweitens ist der mäßigende Effekt eines Systems institutioneller Gewaltenteilung um so wichtiger, je mehr die Vereinigten Staaten und andere westliche Demokratien von populistischen Kräften aufgewühlt werden. Gesetzgeber, Gerichte, Medien, die öffentliche Meinung und gesellschaftliches Engagement - diese Möglichkeiten, die Autorität der Exekutive zu beschränken, müssen voll genutzt werden.

Wenn drittens die Vereinigten Staaten und Großbritannien, wenigstens auf absehbare Zeit ausfallen, wenn es darum geht, die liberale internationale Ordnung zu verteidigen, muss Kontinentaleuropa einspringen. Angesichts der Belastungen für den inneren Zusammenhalt der EU, die von eben diesem Populismus ausgehen, ist es sicher nicht der einfachste Zeitpunkt für die Union, um die Lücke zu schließen, die durch das anglo-amerikanische Versagen entstanden ist. Aber wenigstens aus heutiger Ansicht ist Führung durch Europa die größte Hoffnung für den liberalen Internationalismus.

Aus dem Englischen von L. Hampel und N. Piper.

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