Außenansicht:Die Verantwortung aller

Lesezeit: 4 min

Die Vereinigten Staaten brauchen die Unterstützung Europas, um Israelis und Palästinenser zum Frieden zu überreden.

Von Avi Primor

Die Vereinigten Staaten waren nicht immer der wichtigste Verbündete Israels, bis zum Sechstagekrieg 1967 hielten sie deutliche Distanz. Israel galt ihnen als strategische Last. 1967 jedoch vollzog Washington eine Kehrtwende. Nun war Israel von strategischem Interesse für die USA, zunächst vor allem gegen die Sowjetunion, später gegen andere Feinde, wie etwa die islamistischen Terroristen. Seither unterstützen die USA Israel so gut wie bedingungslos. Manche halten dies heute für ein Naturgesetz.

Deshalb sollte man sich an eine Rede erinnern, die der damalige Außenminister William Rogers 1969 hielt und die bis heute als Grundlage der amerikanischen Nahostpolitik gilt. Diese Politik sucht für Israel Anerkennung und Sicherheit, verlangt aber das Ende der Besatzung, die Rückgabe der 1967 eroberten Gebiete und untersagt der Regierung in Jerusalem jeglichen Siedlungsbau in diesen Gebieten. Diese bis heute im Kern unveränderte Politik wurde ergänzt und erweitert. So etwa von Bill Clinton, der 2000 Israelis und Palästinensern einen Friedensplan ("Clinton Parameters") unterbreitete, später von George W. Bush mit seiner "Bush Vision".

Im Laufe der Zeit wurde Israel wegen der amerikanischen Unterstützung zunehmend abhängig von Washington. Wegen innenpolitischer Zwänge wagten es die USA jedoch nicht, echten Druck auf Israel auszuüben. Alle fanden sich mit der Vergeblichkeit der Vermittlungsbemühungen ab. Kein Präsident war von Anfang an so erpicht auf ein Friedensabkommen wie Barack Obama. Noch ehe er der offizielle Kandidat seiner Partei war, schrieb er 2006 in seinem Buch "Hoffnung wagen", dass Frieden im Nahen Osten im amerikanischen Interesse liege und Washington sich deshalb vorrangig darum bemühen müsse. Vom Beginn seiner ersten Amtszeit an beschäftigte sich Obama mit dem Nahen Osten. Unter seinem Druck gab Benjamin Netanjahu 2009 die berühmte Erklärung zugunsten einer Zweistaatenlösung ab. In Wirklichkeit war dies für den Ministerpräsidenten nie mehr als ein Lippenbekenntnis.

Mit den Initiativen seiner ersten Amtszeit scheiterte Obama, weil er die falsche Taktik anwendete: Er konzentrierte sich auf die Siedlungen statt auf den Verlauf der Grenze zwischen den beiden künftigen Nachbarstaaten. Eine von beiden Seiten akzeptierte Grenze hätte auch die Siedlungsfrage gelöst. Keiner in Israel, auch nicht das extreme rechte Lager, hätte Siedlungsbau jenseits der Grenze angestrebt.

Ein binationaler Staat wäre eine Katastrophe - für Palästinenser und Israelis

Der erste Staatsbesuch in Obamas zweiter Amtszeit führte ihn nach Israel. Diese brachte neue israelisch-palästinensische Gespräche unter Führung von Außenminister John Kerry. Auch diese Gespräche waren vergeblich. Kerry selbst gab am Ende zu verstehen, dass er die israelische Regierung für das Scheitern verantwortlich mache. Klar ist, dass die palästinensische Regierung, und erst recht die israelische einen echten Friedensprozess alleine nicht schaffen werden. Die israelische Regierung, die auf allen Gebieten von den USA abhängt, wird sich erst und nur unter deren Druck in Bewegung setzen.

Druck bedeutet konkret, dass die israelische Bevölkerung von einem vernünftigen Friedensvertrag mit den Palästinensern überzeugt wird, auch wenn dieser Zugeständnisse einschließt. Überzeugt werden die Israelis erst sein, wenn sie glaubwürdige Sicherheitsmaßnahmen sehen. Präsident Sadat und König Hussein konnten so etwas bieten. So übte die Mehrheit der Israelis Druck auf die eigene Regierung aus, damit diese erforderliche Zugeständnisse in den Friedensverträgen akzeptierte. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ist zu schwach und anfällig: Er kann nach dem Abzug der Israelis aus dem Westjordanland weder den Israelis Sicherheit gewährleisten noch sich selber.

Avi Primor, 80, war von 1993 bis 1999 Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Nur die internationale Gemeinschaft kann so eine Verantwortung auf sich nehmen. Diese würde wahrscheinlich auch bedeuten, dass internationale Truppen nach der Räumung des Westjordanlands durch Israel dort stationiert werden müssten. Sie müssten die Sicherheit wenn nötig mit Gewalt garantieren. Sicherheit für Israel bedeutet gleichzeitig Sicherheit für die gemäßigten Palästinenser. So eine Truppe muss das Vertrauen der Israelis gewinnen, am besten indem sie nicht nur mit der palästinensischen Regierung, sondern vor allem auch mit den israelischen Geheimdiensten und Streitkräften zusammenarbeitet. Für die Israelis wäre so eine Truppe natürlich am besten eine amerikanische.

Wird Obama in den knapp zwei verbleibenden Jahren seiner Präsidentschaft so eine Aufgabe auf sich nehmen? Grund dazu hätte er. Nicht nur glaubt er immer noch, dass der Konflikt dringend gelöst werden muss. Er hat auch keinen Anlass, Netanjahu zu schonen, der ihn auf beispiellose Weise vorgeführt hat. Er könnte auch über innenpolitischen Widerstand hinweggehen, schließlich muss er keine Wahlen mehr fürchten. Eine entscheidende Initiative ist trotzdem nicht zu erwarten. Obama hat sich als Präsident nicht als besonders kühn und standhaft erwiesen. Was ihm den Rücken stärken könnte, wäre massive Unterstützung durch die Europäische Union.

Es wird in Israel viel darüber gesprochen, dass die Amerikaner jetzt die Europäer benutzen werden, um Druck auf Israel auszuüben. Sowohl mithilfe von anti-israelischen Initiativen im Weltsicherheitsrat als auch mit Wirtschaftssanktionen. Es ist jedoch fraglich, ob die Europäer so eine Rolle übernehmen werden. Kritik an der Politik Netanjahus ist zwar in Europa weit verbreitet, sowohl unter den Politikern als auch bei der Bevölkerung. Trotz allen Zorns über Israels Besatzungs- und Siedlungspolitik wird man in Europa dennoch zögern, nach dem Holocaust Juden brutal unter Druck zu setzen. Hinzu kommt, dass Islamisten, Terroristen und Fundamentalisten unter Israels Gegnern als Bedrohung angesehen werden. Wirksam den Friedensprozess fördern könnte nur eine gemeinsame und koordinierte EU-US-Politik, die nicht nur Druck auf Netanjahu ausübt, sondern auch die positive Initiative ergreift, um die israelische Bevölkerung zu überzeugen.

Ist so ein Kurs in Europa realistisch? Wahrscheinlich nicht, und zwar ausgerechnet wegen Deutschland. Die Europäer wären bereit, im Einklang mit den Amerikanern Druck auf die Israelis auszuüben, die Deutschen nicht. Trotz aller Kritik an Netanjahu sind sie in Sachen Israel zutiefst befangen. Sollte es so bleiben, wird die Fortsetzung der Netanjahu-Politik mit der voraussichtlichen neuen israelischen Regierung - die noch rechtsextremer als die scheidende sein wird - unvermeidlich zu einem binationalen Staat führen. Dieser wird eine Tragödie sein, für die Palästinenser und langfristig auch für die Israelis.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: