Außenansicht:Die Mär vom Bauern

Außenansicht: Johann Kirchinger, 40, ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Historische Theologie/Mittlere und Neue Kirchengeschichte der Universität Regensburg und selbständiger Landwirt in Holztraubach (Niederbayern).

Johann Kirchinger, 40, ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Historische Theologie/Mittlere und Neue Kirchengeschichte der Universität Regensburg und selbständiger Landwirt in Holztraubach (Niederbayern).

(Foto: oh)

Landwirtschaftliche Betriebe werden immer größer. Die Agrarpolitik muss sich von alten Leitbildern entfernen.

Von Hans Kirchinger

Es gibt zu viele Landwirte in Bayern. Diese Wahrheit auszusprechen, würde sich heute wohl kaum ein Agrarpolitiker trauen. Aber ein Blick auf die globale Landwirtschaft zeigt, wie richtig sie ist. Während sich die Einnahmen heimischer Bauern an den Vorgaben der internationalen Agrarmärkte richten, werden ihre Produktionskosten von den im internationalen Vergleich zu kleinen Betriebsgrößen bestimmt. Einnahmen und Ausgaben stehen in einem Missverhältnis. Je mehr Landwirte aber ums Überleben kämpfen, umso intensiver wird Landwirtschaft betrieben. Die Bauern müssen das Maximum aus ihren Äckern herausholen. Die Folge ist eine Überproduktion, die Einnahmen und Ausgaben noch mehr ins Ungleichgewicht bringt. Und die Spirale dreht sich weiter. Deshalb lassen sich mit der Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft keine ökologischen Probleme lösen, sondern nur verschärfen. Eine nachhaltige Agrarpolitik muss deshalb das Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft aufgeben. Sie muss alle Maßnahmen unterlassen, die den Strukturwandel bremsen. Diese Maßnahmen sind teuer, schaden den Landwirten und bringen keinen ökologischen Erfolg.

Vor diesem Hintergrund ist der Gegensatz zwischen bäuerlicher und industrialisierter Landwirtschaft zu überdenken, den Politiker gerne konstruieren - vom Vorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir, bis zu Bayerns Agrarminister Helmut Brunner. Ein Blick in die Agrargeschichte hilft dabei. Tatsächlich ist die bäuerliche Landwirtschaft erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, und zwar um den Bedarf der Industrie zu decken.

Bauer ist einer, der mit Familienarbeitskräften auf eigenem Grund und Boden seine Existenz erwirtschaftet. Die Wissenschaft spricht von der Identität von Arbeit, Familie und Eigentum. Sie konnte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deshalb zur dominierenden Form entwickeln, weil sie viel besser als Großbetriebe in der Lage war, Arbeitskräfte für die Industrie freizusetzen und gleichzeitig durch besonders intensive Wirtschaftsweise Nahrungsmittel für die Industriearbeiter zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich war es bis nach dem Zweiten Weltkrieg unbestrittenes agrarpolitisches Wissen - von links bis rechts - dass bäuerliche Landwirtschaft die intensivste Form der Landbewirtschaftung darstellt. Ein Blick in die Zeitschrift des königlich-bayerischen Statistischen Bureaus zeigt, dass Kunstdünger, Pestizide und Maschinen am Ende des 19. Jahrhunderts auf Bauernhöfen stärker verbreitet waren als in Großbetrieben. Und für die standardisierte Erzeugung möglichst gleichartiger und deshalb für die Agrarindustrie verwendbarer Produkte sorgten und sorgen immer noch genossenschaftliche Zusammenschlüsse.

Die Abschaffung der Subventionen würde zu sinkenden Kosten führen

Die Bauernhöfe waren bereits im 19. Jahrhundert zu klein; sie konnten also nur dann rentabel sein, wenn sie intensiv wirtschafteten. Heute gehört die bäuerliche Landwirtschaft jedoch der Vergangenheit an. Die zur Anpassung an internationale Strukturen nötige Vergrößerung der Betriebe erfolgt in Deutschland nicht über den Zukauf von Flächen, sondern über die Pacht. Der Anteil des Pachtlandes liegt in Bayern bei etwa 50 Prozent. Ich selbst bewirtschafte im Nebenerwerb 60 Hektar, wovon nur 13 Hektar Eigentum sind. Die Identität zwischen Arbeit, Familie und Eigentum ist aufgebrochen. Die landwirtschaftlichen Betriebe werden größer, verlieren ihren bäuerlichen Charakter - und sie werden extensiver. Bei Weizen sind die tatsächlichen Erträge seit der Jahrtausendwende regelmäßig niedriger als sie nach den staatlichen Prüfungen sein müssten; der Zuchtfortschritt wird also nicht mehr in die Praxis umgesetzt. Seit Jahren geht der Einsatz von Agrarchemie zurück. Der Verbrauch an mineralischem Stickstoffdünger sank laut bayerischem Agrarbericht zwischen 1980 und 2012 von 120 Kilo je Hektar auf 79 Kilo, der Verbrauch von mineralischem Phosphat von 79 auf zwölf Kilo, der Verbrauch von mineralischem Kali von 101 auf 16 Kilo.

Ein Einfluss der Düngeverordnung von 2006 auf diesen Trend ist auszuschließen, da der Rückgang bereits vorher einsetzte. Auf gewachsene Tierbestände und damit steigendem Anfall von tierischem Dünger ist der Trend auch nicht zurückzuführen, da die Zahl der Rinder im gleichen Zeitraum um 16 Prozent zurückging und die Zahl der Schweine stagnierte. Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft bringt diese Extensivierung in Zusammenhang damit, dass sich die Betriebe über Zupacht vergrößern. Kurze Pachtlaufzeiten machen Investitionen in die langfristig wirkende Grunddüngung riskant.

Aus ökologischer Sicht gibt es also keinen Grund, Angst vor großen landwirtschaftlichen Strukturen zu haben. Größere Strukturen sind aber auch aus sozialen Gründen geboten. Die Subventionen, die ursprünglich die Existenz der Bauernfamilien sichern sollten, werden mittlerweile verwendet, um die Pacht zu zahlen. Dabei entspricht der Anteil der Subventionen, der dafür verwendet wird, dem Anteil des Pachtlandes an der gesamten Nutzfläche, also etwa 50 Prozent. Das ist konsequent, denn die Agrarpolitik stützt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht die Arbeit, sondern das Eigentum. Sichtbar ist dies, seit die Identität zwischen Arbeit und Eigentum mit dem Ende der bäuerlichen Landwirtschaft zerbrochen ist.

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, Agrarpolitik zu betreiben. Entweder trägt sie dazu bei, die Produktionskosten zu senken. Dies ermöglicht Erzeugung auf niedrigem Preisniveau zugunsten der gesamten Bevölkerung, bedeutet aber eine Entwertung von Grund und Boden. Oder es werden die Einnahmen mithilfe von Agrarzöllen, Marktordnungen oder Direktzahlungen erhöht, was im Falle von Zöllen und Marktordnungen die Agrarpreise erhöht, in allen drei Fällen aber den Wert des Eigentums. Das führt dazu, dass zu viel Kapital im Boden gebunden ist und für Innovationen nicht zur Verfügung steht.

Die Abschaffung der Agrarsubventionen würde also unter den gegenwärtigen Bedingungen in erster Linie zu einer Senkung der Produktionskosten und damit zu einer Entwertung des Privateigentums an Grund und Boden führen - zulasten der Verpächter, also der Besitzenden, und zum Nutzen der gesamten Bevölkerung. Das Problem der derzeitigen Landwirtschaft besteht darin, dass die bäuerlichen Produktionsfaktoren Arbeit, Familie und Eigentum immer mehr entkoppelt werden, während die Agrarpolitik und die Mentalität der Bauern immer noch an ihrer Verkoppelung orientiert ist. Die Landwirtschaft muss sich freimachen von einer eigentumsbasierten Wirtschaftsweise, dann nimmt auch der Produktionsdruck ab.

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