Außenansicht:Die Macht des Faktischen

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Warum Ostasien Donald Trump zu einer realistischen Sicherheitspolitik zwingen wird.

Von Martin Wagener

Was bedeutet Donald Trump für die strategisch so wichtigen Beziehungen Amerikas zu Ostasien? Der Wahlkampf ließ nichts Gutes vermuten. Südkorea und Japan rief er auf, mehr für die dort stationierten US-Truppen zu zahlen. Anderenfalls müsse er die Bündnisgrundlagen überdenken. Nach der Wahl erzürnte Trump China, als er wie selbstverständlich mit der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen telefonierte. Kurz nach Amtsantritt kündigte er die Mitgliedschaft der USA im transpazifischen Freihandelsabkommen TPP. Trump scheint zu halten, was er versprochen hat. Dennoch bleibt der neue Kurs weiter undurchsichtig: Heißt " America first" am Ende Isolationismus?

Eine strategische Wende ist jedoch im Fernen Osten nicht zu erwarten, zumindest vorerst nicht. Ganz gleich, wer im Weißen Haus regiert, innenpolitische Faktoren können die Sicherheitspolitik des Präsidenten immer nur zum Teil beeinflussen. In der Theorie der Internationalen Politik wird das als "Realismus" bezeichnet. Dieser sieht die zentrale Herausforderung der Sicherheitspolitik in Anreizen und Beschränkungen einer anarchischen Staatenwelt. Daraus folgt: Auch Trump wird zu einem von internationalen Ereignissen Getriebenen werden.

Wie schädlich die Umsetzung seiner Wahlkampfrhetorik für amerikanische Interessen wäre, zeigt das folgende Szenario: Sollte die Aufkündigung aus TPP zu einem ökonomischen Rückzug der Vereinigten Staaten aus Ostasien führen, würde China sofort die Lücke schließen. Es wird dann versuchen, seine eigene Freihandelsinitiative zum exklusiven pazifischen Wirtschaftsraum auszudehnen. Zögen sich die USA auch militärisch zurück, würde sich das Sicherheitsdilemma verschärfen. Japan dürfte eigene Nuklearwaffen bauen wollen, wenn das Land nicht mehr auf den nuklearen Schutzschirm der Amerikaner vertrauen kann. Das gilt auch für Südkorea, das gegenüber einem nuklear bewaffneten Nordkorea nachziehen müsste. Auch Taiwan könnte, wie schon einmal Mitte der 1990er-Jahre, auf die Idee kommen, nach Atombomben zu streben. Ohne die derzeitige inoffizielle Sicherheitszusage der USA wäre es China hilflos ausgeliefert.

Die Staaten Ostasiens würden vermutlich feststellen, dass sie zu schwach sind, um eine Gegenmacht zur Volksrepublik aufzubauen. Daher wäre es wahrscheinlich, dass sich dann vor allem die kleineren und mittleren Mächte an China anlehnen. Peking käme so dem Traum von der Ablösung der derzeitigen Pax Americana durch die Pax Sinica schnell näher. Für die meisten Sicherheitspolitiker in Washington wäre dies ein Albtraum. In Ostasien würde zum ersten Mal seit 1941 eine dominierende Macht entstehen, die den USA potenziell feindlich gesonnen ist.

Ökonomisch kommt der chinesische Herausforderer den USA immer näher

Doch so weit wird es wohl nicht kommen. Die Experten des Pentagons und der Nachrichtendienste werden Trump in derartige Zusammenhänge einweisen. Dazu gehört, ihm die historischen Gesetzmäßigkeiten des Aufstiegs und Falls der Mächte zu erklären. Die neue amerikanische Regierung wird schnell merken, dass sich viele Dinge stetig wiederholen. Dazu zählen in der Sicherheitspolitik grundlegende Bedürfnisse der Staaten und die sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Die USA hatten ihre Lektionen aus der Geschichte gelernt. Im Zuge des Koreakrieges von 1950 bis 1953 mussten sie erkennen, dass die Stabilität der Region ganz massiv von ihrer Bereitschaft abhängt, ausgleichend auf Konflikte einzuwirken. Mehrere Zehntausend im Westpazifik stationierte amerikanische Soldaten sowie Bündnisbeziehungen zu Japan, Südkorea, Australien, Thailand und den Philippinen tragen seit jenen Tagen dazu bei, potenzielle Aggressoren abzuschrecken.

Trump wird daher seine Wahlkampfankündigungen nicht vorbehaltlos umsetzen. Man sollte darauf bauen, dass er in der Wirtschaft wohl niemals Karriere gemacht hätte, wenn er nicht Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen könnte. Daher wird er wohl in Ostasien an der militärischen Präsenz und dem Bündnissystem festhalten. Die Reise von Verteidigungsminister James N. Mattis nach Südkorea und Japan Anfang Februar deutet in diese Richtung.

Nur so können die USA das immer aggressiver auftretende China in Schach halten. Seit Ende 2013 hat Peking im Südchinesischen Meer, das es als Binnenmeer betrachtet, mehrere Inseln aufschütten lassen. Auf Außenposten wie dem Fiery Cross Reef sind Start- und Landebahnen entstanden, die künftig auch von Kampfflugzeugen genutzt werden können. Solche "stehenden Flugzeugträger" werden die Machtverhältnisse im Südchinesischen Meer verändern.

Ökonomisch kommt der chinesische Herausforderer zudem immer näher. 1990 hatten die USA einen Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung von 26,5 Prozent, China von 1,6 Prozent. 2015 liegen die USA bei 24,4 Prozent, China schon bei 14,9 Prozent. Die militärischen Möglichkeiten Pekings nehmen entsprechend zu, wohingegen Washington angesichts von fast 20 Billionen Dollar Staatsschulden darüber nachdenken muss, wo und wie es sicherheitspolitische Schwerpunkte setzen kann.

Dazu kommen die täglichen Gefahren, die von Missverständnissen und Unfällen ausgehen. "Eskalationskontrolle" ist in der Region dringlich, nachdem es bereits zu mehreren Zusammenstößen von zivilen und/oder militärischen Schiffen gekommen war. Bislang blieben Zwischenfälle wie der zwischen China und Japan im September 2010 im Ostchinesischen Meer oder jener zwischen China und Vietnam im Mai 2014 in der Nähe der Paracel-Inseln ohne weitere Folgen. Eine Garantie für die Zukunft ist das nicht.

Im Krisenfall wird der neue Präsident auf erfahrene Experten vertrauen müssen. Sie haben mehr als einmal zur Stabilisierung der Lage beigetragen. Als zum Beispiel Präsident George W. Bush kurz nach seiner Amtseinführung 2001 erklärte, Taiwan unter allen Umständen verteidigen zu wollen, waren es seine Berater, welche die Lage entschärften. Hinzu kommt, dass ein Präsident zur Durchsetzung seiner Ziele Verbündete benötigt - innen- wie außenpolitisch.

Die Regierung Trump wird in Ostasien sicherheitspolitisch vielleicht einen neuen Stil pflegen und dabei diplomatische Anpassungskosten auf allen Seiten verursachen. Vor allem aber wird sie sich durch erhebliche Kontinuitätslinien auszeichnen. China bleibt für die USA der zentrale Herausforderer in der Region, den es einzuhegen gilt. Deshalb muss der neue Machthaber im Weißen Haus an der militärischen Präsenz und dem amerikanischen Bündnissystem festhalten. Wenn nicht, wären die Folgen für die USA nicht abzusehen.

© SZ vom 07.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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