Außenansicht:Der Weg ins Versagen

General a.D. Klaus Naumann; General a.D. Klaus Naumann

Klaus Naumann, 78, ist General a.D. des Heeres. Von 1991 bis 1996 war er Generalinspekteur der Bundeswehr und leitete den Umbau der Streitkräfte nach dem Ende des Kalten Krieges ein.

(Foto: picture alliance / dpa)

Was bei den Sondierungen in der Verteidigungspolitik beschlossen wurde, ist eine brandgefährliche Illusion.

Von Klaus Naumann

Das Sondierungspapier von Union und SPD ist im Bereich Sicherheit und Verteidigung eine Dokumentation der Verantwortungslosigkeit. Es zeigt die Unfähigkeit jener Parteien, die in den Regierungen Schröder und Merkel die Bundeswehr in ihrer Verteidigungsfähigkeit nahezu ruiniert haben. Es darf keinesfalls zur Koalitionsvereinbarung werden, denn es weckt die Illusion, dass für Sicherheit schon gesorgt sei. Anders sind die grundlos optimistischen Aussagen des CSU-Politikers Manfred Weber nicht zu erklären, der sagte, es sei das Ziel, "in wenigen Jahren einsatzfähige europäische Truppen zu haben"; man wolle nun "mit neuen Aufgabenfeldern wie Drohnen oder im Kampf gegen Cyberkriminalität mit europäischen Brigaden beginnen".

Weber scheint die personellen und finanziellen Realitäten, den technischen Rückstand Europas und den Zustand der Truppe nicht zu kennen; er scheint erste richtige Schrittchen hin zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wie die vereinbarte strukturierte Zusammenarbeit völlig zu überschätzen. Wirksam wird diese Zusammenarbeit übrigens nur, wenn Deutschland den Parlamentsvorbehalt für den Einsatz von Streitkräften so handhabt, wie es der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) vorgeschlagen hat. Nur dann werden die Verbündeten sicher sein, dass Deutschland seine Truppen wie verabredet einsetzt. Nur dann wird man zu einer echten Integration und damit zum Abbau der Überlappungen kommen, die heute so viele Kräfte und Kosten verschlingen. Nur dann entstünde ein Spielraum, neue Technologien zu entwickeln und zu nutzen. Und Europa könnte beginnen, gemeinsam den Schutz seiner Seewege im Arktischen Ozean wie entlang der neuen maritimen Seidenstraße im Indischen Ozean aufzubauen. Das sind Überlebensfragen für die vom Außenhandel abhängige EU, der jede Asienstrategie fehlt.

Richtig ist jedoch, dass Weber dem Gedanken Emmanuel Macrons Rechnung trägt: Frankreichs Präsident hat die Sicherheit an die Spitze seines Aufrufs zur Erneuerung Europas gestellt. Zu Recht, denn die Sorge um die gemeinsame Sicherheit könnte die neue einigende Vision Europas werden. Diese gemeinsame Sicherheit schließt selbstverständlich den militärischen Bereich ein. Nur mit ihr kann Europa, wie die Kanzlerin Angela Merkel es formuliert hat (ohne allerdings entsprechend zu handeln), "sein Schicksal ein Stück weit in die eigene Hand" nehmen.

Ein vereint auftretendes Europa verhindert, dass ein Autokrat wie Russlands Präsident Wladimir Putin versucht ist, seinen Russland ruinierenden Abenteuern auf der Krim, in der Ukraine und in Syrien weitere folgen zu lassen; es verhindert, dass er erneut Grenzen in Europa mit Gewalt verschiebt. Ohne gemeinsame Sicherheit bleibt Europa abhängig von den USA, mehr denn je zuvor. Der Kontinent wird somit zum Spielball in der Hand eines unkalkulierbaren Nationalisten in Washington.

Wenigstens eine der drei Divisionen des Heeres sollte bald wieder einsatzbereit sein

Diese Sicherheit Europas aber steht und fällt mit Deutschland. Frankreich und Großbritannien haben zwar Atomwaffen; beruhigend angesichts der Gefahr weiterer Atomwaffenstaaten im Mittleren Osten. Sie sind auch bereit zu handeln, wenn Verhandeln nichts hilft - anders als Deutschland. Doch ohne das größte und wirtschaftsstärkste Land in Europa bleibt die gemeinsame Verteidigung ein Torso. Niemand in Europa hat heute noch Angst vor einem auch militärisch wieder gewichtigen Deutschland. Angst haben die europäischen Nachbarn nur, wenn das reiche Deutschland seine Nato-Zusagen nicht einhält, aber dreist von den ärmeren Ländern erwartet, dass sie diese Zusagen einhalten.

Die Zusage, die Verteidigungsausgaben bis 2024 in Richtung zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, haben die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten erstmals 2016 gegeben. Sie ist der Maßstab für die Verlässlichkeit eines Verbündeten - sie einzuhalten ist der Beweis deutscher Bündnisfähigkeit. Würde nun das Sondierungspapier, das sich von diesem Ziel offensichtlich verabschiedet, zum Programm der Regierung, dann zeigte Deutschland aller Welt, dass auf seine Zusagen kein Verlass ist, dass es seiner Verantwortung für seine eigene Sicherheit nicht gerecht werden, sondern Trittbrettfahrer bleiben will. Eine deutliche Erhöhung in Richtung dieser zwei Prozent in den nächsten sechs Jahren bedeutet keine Aufrüstung. Sie verringert allenfalls bestehende Mängel. Sie bewirkt nichts, was die Spannungen mit Russland erhöhen würde; die erhöht Putin mit seiner kaum verständlichen Nuklearrüstung. Darüber muss man mit ihm reden. Das kann man aber nur, wenn Deutschland dazu beiträgt, dass er die Nato wieder ernst nimmt - und dazu muss sie verteidigungsfähig sein.

Zudem wäre die Trendwende nahezu unmöglich, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen richtigerweise und mit Zustimmung der SPD eingeleitet hat. Das wäre selbst dann so, wenn der gültige Finanzplan die Grundlage wäre und ein Anteil aus den zwei Milliarden für Entwicklung und Verteidigung aus dem Sondierungspapier noch hinzukäme. Diese Summe ist übrigens angesichts der Notwendigkeit, vor allem in Afrika vorbeugend Entwicklungshilfe zu leisten, eher als Scherz zu sehen. Bleibt sie aber, dann würde das letzte bisschen Vertrauen zerstört, das die Soldaten noch in ihre Führung haben.

Eine Trendwende hieße: Innerhalb der nächsten Jahre müsste wenigstens eine der drei Divisionen des Heeres wieder einsatzbereit werden, müssten Hubschrauber wieder fliegen und U-Boote wieder auslaufen können. Der Grundsatz "Train as you fight", das Prinzip der realitätsnahen Ausbildung und Übung, muss wieder Alltag der Bundeswehr werden. Das ist der beste Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten. Ohne zusätzliches Geld bleibt das Wort von der bestmöglichen Ausrüstung für die Einsätze in Mali und sonstwo ein hohles, unverantwortliches Geschwätz. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das heißt nicht nur, dass die Abgeordneten Einsätze beschließen und kontrollieren. Das heißt vor allem, dass die Parlamentarier der Verantwortung für das Leben der Soldaten gerecht werden müssen, die vom Bundestag im Namen Deutschlands in gefährliche Einsätze entsandt werden.

Es geht um das Vertrauen der Soldaten. Es geht aber darüber hinaus um einen neuen Anfang in Europa, um eine neue Vision für eine Gemeinschaft, die noch immer für die beste und freiheitlichste Lebensordnung steht, die Menschen je gefunden haben. Diese Gemeinschaft braucht eine gemeinsame Sicherheitspolitik. Versagt Deutschland da, und das Sondierungspapier ist der sichere Weg ins Versagen, dann wird Europa an Deutschland scheitern.

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