Außenansicht:Der Trick mit Interpol

Bundesverfassungsgericht  verhandelt über Euro-Klagen; 140705_pol

Herta Däubler-Gmelin (SPD), 74, war von 1998 bis 2002 Bundesjustizministerin.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Autoritäre Regime nutzen die Schwäche der internationalen Polizei-Organisation, um Gegnern zuzusetzen.

Von Herta Däubler-Gmelin

Die Fakten sind bekannt: Der türkisch-deutsche Schriftsteller und langjährige Erdoğan-Gegner Doğan Akhanlı wurde in seinem Urlaub in Spanien verhaftet, ein von der Türkei über die Internationale Polizeiorganisation Interpol verbreiteter Haftbefehl wurde vollstreckt. Mittlerweile hat ein spanisches Gericht Akhanlı glücklicherweise wieder aus der Haft entlassen; in der Türkei säße er - wie etwa der deutsche Menschenrechtsverteidiger Peter Steudtner - wahrscheinlich noch lange im Gefängnis.

Frei ist Doğan Akhanlı freilich nicht: Er darf Madrid nicht verlassen, auch nicht zurück nach Hause, nach Köln, seinen Wohnort. Wie lange er noch in Spanien bleiben muss, ist heute nicht abzusehen. Um Interpols Dringlichkeitsvermerk, die "Red Notice" aufzuheben, braucht er zudem gute Anwälte, Zeit und Geld. Das alles sind elende Belastungen - weil Erdoğan das so will.

Wieso ist der Interpol-Haftbefehl überhaupt ausgestellt worden? Der türkische Antrag bei Interpol führt wohl einen alten Haftbefehl von 2013 an. Wahrscheinlicher ist, dass Erdoğan Interpol benutzen will, um einen Gegner zu verfolgen: Schon seit Jahren machen Kenner der internationalen Institutionen mit wachsender Sorge darauf aufmerksam, dass autoritäre Regierungen genau das in steigendem Maße und leider durchaus mit Erfolg versuchen.

Sie missbrauchen damit die weltweite Polizeiorganisation mit Sitz in Lyon, die dazu da ist, den Staaten bei der Verfolgung und Ergreifung von flüchtigen Schwerkriminellen zu helfen. Nur das ist Interpols Aufgabe: Die Mitgliedsregierungen von Interpol haben nach der Satzung der Organisation das Recht, dafür die "Red Notice" zu beantragen. Ihr Antrag wird in der Zentrale in Lyon entgegengenommen und, wenn die Begründung des Antrags nicht erkennbar "überwiegend politisch" ist, als Red Notice auf der Interpol-Internetseite veröffentlicht und an die Verbindungsstellen der Interpol-Mitgliedstaaten weitergegeben, in Deutschland also an das Bundeskriminalamt. Danach wird diese Interpol-Red-Notice dann in aller Regel in die nationalen Polizeicomputer eingespeist - mit der Folge, dass der so ausgeschriebene potenzielle Straftäter polizeilich festgesetzt wird, sobald er auffällt; sei das nun beim Grenzübertritt oder bei einer sonstigen Polizeikontrolle irgendwo in seinem jeweiligen Aufenthaltsland.

Die Mitarbeiter in Lyon brauchen mehr Ressourcen, um sich gegen Missbrauch wehren zu können

An das Land, das die Red Notice beantragt hat, wird er freilich nicht gleich ausgeliefert. Dafür sind weitere Anträge erforderlich, die allerdings gerade von manipulierenden Staaten zögerlich oder überhaupt nicht gestellt werden. In Ländern mit einem rechtsstaatlichen System prüfen auch Gerichte vor einer Auslieferung gründlich nach. Den manipulierenden Staaten kann es jedoch auf diese Weise gelingen, politischen Gegner in ihrem Aufenthaltsland festzusetzen, ins Gefängnis zu bringen oder zumindest - das geht auf jeden Fall - ihn mit Ärger, Kosten und Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit zu überziehen.

Merke: Bei von Rechtsstaaten gesuchten Straftätern und zur Vollstreckung von rechtsstaatlichen Haftbefehlen gegen flüchtige potenzielle Straftäter ist das alles richtig und nötig. Zur Verfolgung politischer Gegner darf Interpol jedoch nicht missbraucht werden. Und genau das lässt sich in den zurückliegenden Jahrzehnten häufiger beobachten: Autoritäre Regierungen haben herausgefunden, wie sie Interpol missbrauchen können, um unter dem Vorwand krimineller Straftaten politische Gegner zu verfolgen. Interpol hat ja nicht die Aufgabe, die behauptete Straftat nachzuprüfen. Es hat auch nicht die Ressourcen, und schon gar nicht ausreichend Mitarbeiter, um die eingehenden Anträge wirklich effizient auf Manipulation zu prüfen. Die Zahl der Anträge auf eine Red Notice ist seit 2005 um das Sechsfache gestiegen, die Zahl der Mitarbeiter und die Effizienz der Interpol-Verfahren halten damit nicht Schritt.

Das wissen eigentlich alle; zuletzt hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats auf diese Schwäche hingewiesen und Reformvorschläge unterbreitet zur Verbesserung des Prüfverfahrens, aber auch der Einflussmöglichkeiten und der Rechtsstellung von Betroffenen, die sonst von manipulierten und missbräuchlichen Anträgen auf Red Notices belastet werden. Ich habe mehrmals Betroffene betreut: In einem Fall hat das Verfahren zur Aufhebung der politisch manipulierenden Red Notice gegen einen Putin-Gegner, einen früheren russischen Staatsbürger, der längst Bürger Israels ist, etwa elf Jahre gedauert - und viel Geld, unzählige Eingaben an Interpol und sonstige Formen der Unterstützung gebraucht. Bis heute ist noch nicht klar, ob diese missbräuchliche Red Notice in allen Computern der Interpol-Mitgliedsstaaten tatsachlich gelöscht wurde. Das ist völlig inakzeptabel, und Menschen wie Doğan Akhanlı kann das ruinieren. Zwar versuchen der deutsche Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock und sein Team, die Prüfung eingehender Red Notices wirksamer zu machen und die Korrektur missbräuchlicher Red Notices zu erleichtern. Sie haben seit dem vergangenen Jahr neue Verfahren eingeleitet. Ende Juni war ich in Lyon und habe in der Interpol-Zentrale darauf hingewiesen, dass neben den Manipulationsversuchen aus den bekannten Staaten jetzt wohl auch Erdoğan versuchen dürfte, ins Ausland geflüchtete Gegner durch Missbrauch von Interpol zu verfolgen. Jetzt bestätigt sich das: Die Verfolgung Akhanlıs wird wohl nicht der letzte derartige Fall sein. Gut ist, dass er schnell öffentlich wurde.

Es ist an der Zeit für wirksame Gegenmaßnahmen: Interpol und die Rechtsstaaten unter seinen Mitgliedern dürfen solchen Missbrauch nicht weiter zulassen. Anträge aus Staaten, die bei Missbrauch oder Manipulationen erwischt wurden, müssen gründlicher recherchiert und im Zweifel zurückgewiesen werden. Man könnte diesen Staaten auch die Prüfungskosten auferlegen oder Red Notices löschen, wenn nicht unmittelbar ernsthafte und gut begründete Auslieferungsanträge gestellt werden. Erdoğans Red-Notice-Antrag gegen Doğan Akhanlı beruhte auf einem ziemlich alten türkischen Haftbefehl gegen den Mann; dieser hätte geprüft werden können und müssen. Wenn Interpol selbst solche Manipulationen nicht herausfinden und verhindern kann, wenn seine Mitgliedstaaten die Ressourcen nicht aufstocken und die Verfahren nicht so verändern, dass Missbrauch sanktioniert wird, muss der Einfluss von Interpol weltweit geschwächt werden. Damit allerdings würde die unverzichtbare Arbeit von Interpol zur Verfolgung flüchtiger Krimineller untergraben, ja zum Scheitern verurteilt werden. Das kann keiner wollen.

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