Außenansicht:Betreutes Fahren

August Ortmeyer

August Ortmeyer, 65, war beim Deutschen Industrie- und Handelstag für Verkehrspolitik und Telekommunikation zuständig.

(Foto: Jens Schicke)

Die autonome Steuerung von Autos gilt als die nächste digitale Revolution. Sie wird die Menschen noch abhängiger machen.

Von August Ortmeyer

Zukunftsweisend und Deutsche Bahn, das sind zwei Begriffe, die selten assoziiert werden. Doch der neueste Werbespot der Bahn erlaubt einen Blick nach vorne. Er zeigt Menschen auf der Autobahn, die sich vergnügt, aber sehr beengt in Unterhaltungszellen in einer Kolonne bewegen. Parallel dazu rauscht ein ICE vorbei, in dem die Passagiere weitaus bequemer sitzen. Die Botschaft: Bevor du dich in den automatisierten, aber langsamen Geleitzug setzt, nimm besser das Original.

Was noch wie eine Science-Fiction anmutet, ist tatsächlich auf dem besten Wege. Mit großem Aplomb hat Verkehrsminister Alexander Dobrindt Ende Januar seinen Gesetzentwurf zum automatisierten Fahren vorgelegt. Darin soll geregelt werden, wann der Computer im Auto regiert und wann der Mensch eingreifen muss. Während das Ministerium davon spricht, "das modernste Straßenverkehrsrecht der Welt" zu schaffen, waren die Reaktionen auf Dobrindts Vorstoß kritisch. Von einem "gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr" sprachen die Kommentatoren.

Das sind sehr unterschiedliche Bewertungen. Bereits die Begrifflichkeiten, mit denen hier hantiert wird, sind vielfach verwirrend. 'Automatisiertes Fahren', darunter versteht der Laie bisher, dass er auf der Fahrt in sich versunken den Krimi liest, und erst am Ziel wieder auf die Straße schaut. Das aber ist nicht "automatisiertes Fahren", sondern "autonomes Fahren", das Endstadium der Entwicklung. "Automatisiertes Fahren" meint lediglich eine technische Fahrassistenz, der aus verschiedenen Gründen Grenzen gesetzt sind und die deshalb anfällig ist. Allein darum geht es in dem Gesetz. Das "autonome Fahren" ist noch ausdrücklich ausgeklammert.

Das Straßenverkehrsrecht wird geändert, damit nicht nur der Mensch, sondern auch Technik steuern darf. Allerdings soll der Fahrer weiterhin für die Gefahr haften, die von seinem Automobil ausgeht. Das ist auch der Knackpunkt in dem Gesetzentwurf: Wenn die digitale Steuerung das Kommando plötzlich an den Fahrer zurückgibt, müsse dieser "unverzüglich" übernehmen, heißt es. Alle Fahrbewegungen werden von einer Blackbox aufgezeichnet; sie wird ausgelesen, wenn es zu einem Unfall und zu einem Streit darüber kommt, wer dafür verantwortlich ist.

Kritisiert wird, dass die Politik die beteiligte Industrie damit von der Haftung freistellt, selbst wenn deren Technik anfällig ist. Auch das sagt das neue Gesetz. Und was heißt schon "unverzüglich"? Normalerweise bedeutet der Begriff, dass einer ohne schuldhaftes Zögern handeln muss. Geschwindigkeiten wie die im Autoverkehr spielen in dieser Definition aber keine Rolle. Wie also soll "unverzüglich" gedeutet werden, wenn ein Auto mit 130 Kilometern pro Stunde unterwegs ist, also in einer Sekunde immerhin 36 Meter zurücklegt, und der Fahrer eine längere Schrecksekunde überwinden muss?

Bislang floss der Verkehr wie von unsichtbarer Hand gesteuert. Das will die EU ändern

Diese Unschärfe im Gesetz ist gefährlich für den Straßenverkehr, so können Unfälle provoziert werden, die man durch die neue Technik eigentlich verringern wollte. Automatisiertes Fahren dürfte den Fahrer folglich weiterhin in seiner Konzentration auf das Verkehrsgeschehen fordern. Er muss gewissermaßen in Alarmbereitschaft bleiben, denn im Zweifel soll er in Millisekunden reagieren können. Kann er das nicht, wird er zur Gefahr für sich und die übrigen Verkehrsteilnehmer. Interessant wird sein, wie das viele nötige Kleingedruckte in den Verkaufsprospekten der Digitalmobile stehen wird. Vermutlich benötigen sie eine Art Beipackzettel.

Die anstehenden Veränderungen im Straßenverkehr gehen jedoch weit über das einzelne Fahrzeug hinaus. Bisher funktioniert der Verkehr dadurch, dass sich jeder mit dem anderen abstimmt. Ein Fahrer schaut, bewertet die Situation und agiert oder reagiert. Wie von unsichtbarer Hand gesteuert, fließt so der Verkehr. Automatisiertes Fahren bedeutet jedoch vernetztes Fahren. Dabei kommunizieren die Fahrzeuge permanent miteinander und mit der Sensorinfrastruktur im Straßenraum. Die gesammelten Informationen werden von Software verarbeitet, die dann Impulse an das Fahrzeug gibt, wie es steuern soll. Die Basis dafür ist eine rechnerische Architektur zur Lenkung des Verkehrsflusses. Die bisherige Selbststeuerung wird also durch Fremdsteuerung ersetzt. Es wird dann auch ein Leichtes sein, die Höchstgeschwindigkeiten digital zu kontrollieren. Werden sie überschritten, wird der Motor automatisch abgeregelt.

Wenn der Verkehrsfluss künftig zentral gesteuert wird, liegt die Frage nahe, wie viel selbstbestimmtes Fahren dann weiter möglich sein kann. Das hängt auch davon ab, ob ein digitaler Verkehrsadministrator das überhaupt verarbeiten kann. Andersherum: Gerät ein solches System nicht an seine Grenzen, wenn es die Verkehrsteilnehmer auf einem Autobahnabschnitt mit zwei analogen Rasern koordinieren muss? In der EU-Kommission wird bereits darüber nachgedacht, das Tempo auf den Autobahnen in Zukunft zu drosseln. Dabei geht es vor allem darum, die Zahl der Unfälle zu senken. Bereits im vergangenen Dezember wurde deshalb ein Arbeitspapier vorgelegt, das vor allem zwei Dinge zeigt: Auch die EU-Kommission sieht die Zukunft des Autos im vernetzten Fahren; sie denkt dabei aber mehr an ein Netz, das den Verkehr einfängt. Dazu sollen künftig alle technischen Möglichkeiten bis hin zum autonomen Fahren eingesetzt werden. Erste Schritte sollen von 2020 an unternommen werden - und zwar verpflichtend für alle Mitgliedsstaaten.

Abseits der Folgen der Automatisierung für die "freie Fahrt" wird sie die Kosten der individuellen Mobilität in die Höhe treiben. Das mit digitaler Elektronik vollgespickte Fahrzeug wird teurer sein als herkömmliche Wagen. Dazu kommen die Zahlungen an den Verkehrsadministrator und an den Provider, der das Funknetz bereit stellt. Diese zusätzlichen Kosten des Straßenverkehrs wird der Staat nicht übernehmen.

Ein erstes Fazit: 'Automatisiertes Fahren' wird Technik-Freaks begeistern - zunächst. Mitfahren wird aber die Gefahr, nicht rechtzeitig zu reagieren. Das Digitalmobil wird dazu alles aufzeichnen und so jeden Verstoß aufdecken. Und während beim Selbstfahren zumindest das Fahren an sich umsonst war, wird das betreute Fahren kosten. Naheliegend ist, dass es über ein Mautsystem abgerechnet werden wird. Diese Überlegung lässt auch die Pläne von Verkehrsminister Dobrindt in einem neuen Licht erscheinen, die so genannte Ausländermaut erst einmal bei allen Autofahrern in Deutschland zu erheben. Sie könnte auch erklären, weshalb die EU ihren Widerstand gegen das CSU-Projekt so plötzlich aufgegeben hat.

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