Außenansicht:Aus der Geschichte lernen

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Demokraten und Republikaner sollten gemeinsam Trump verhindern.

Von W. Michael Blumenthal

Vor fast 75 Jahren floh ich vor dem Nazi-Regime und kam als staatenloser Flüchtling in die Vereinigten Staaten. Wie so viele andere vor mir konnte ich den amerikanischen Traum leben und die Vorteile unserer Demokratie im Wirtschaftsleben und Staatsdienst nutzen. Während meiner Kindheit im Europa der 1920er- und 30er-Jahre sah ich, was passiert, wenn es autoritären Demagogen gelingt, die Demokratie zu untergraben, indem sie die Sorgen und den Groll unzufriedener Wähler schüren und instrumentalisieren. Und ich habe es am eigenen Leib erlebt, wozu es führt, wenn Intoleranz an die Stelle zivilisierter Debatten tritt, wenn Gewalt die Rechtsstaatlichkeit aushöhlt und die Suche nach Sündenböcken das gesellschaftliche Klima vergiftet. Deshalb fühle ich mich den Grundwerten der amerikanischen Demokratie besonders verpflichtet. Und ich glaubte immer, sie könnten nie ernsthaft in Gefahr geraten. Nun bin ich mir nicht mehr so sicher. Wir befinden uns in einer neuartigen Situation, die mich auf unheimliche Weise an Umstände und Ereignisse erinnert, die einst so schlimme Konsequenzen nicht nur für mich, sondern für die ganze Welt hatten.

Das Deutschland, in dem ich geboren wurde, litt unter den Nachwirkungen eines verheerenden Weltkriegs und der Unfähigkeit der Politiker, einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Die Folge waren Unruhen, Inflation, Weltwirtschaftskrise und schwache Regierungen, die außer Stande waren, die Nöte der Menschen anzugehen. Die Wähler waren ein leichtes Fressen für Demagogen, die sie mit scheinbar einfachen, tatsächlich aber unbrauchbaren und undemokratischen Lösungen köderten. Ihre populistische Rhetorik war hetzerisch und autoritär. Sie prangerten die Unfähigkeit der Politiker an, machten andere Ethnien, Rassen oder Nachbarländer zu Sündenböcken. "Folgt mir", predigten sie, "ich bin klug und stark. Ich werde aufräumen und dafür sorgen, dass ihr wieder stolz sein und euch sicher fühlen könnt." Klingt das nicht irgendwie vertraut?

Historische Analogien haben ihre Grenzen. Dennoch gibt es verstörende Parallelen zwischen dem Aufstieg der Diktatoren des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Damals wie heute brachten umwälzende Ereignisse die soziale Ordnung durcheinander. In Deutschland waren es die Schrecken eines Weltkriegs und dessen wirtschaftliche und politische Auswirkungen. Heute ist es der fundamentale technische Wandel, der die Menschen verstört. Die Globalisierung von Volkswirtschaften, durchlässige Grenzen, bewaffnete Konflikte an den globalen Gefahrenherden, grenzübergreifender Terrorismus und Millionen von Migranten haben dazu geführt, dass in vielen Ländern die Unsicherheit und Angst der Menschen um ein Vielfaches zugenommen hat - auch in den USA.

Trump erinnert an Europas Demagogen des 20. Jahrhunderts

Das ist der Grund, weshalb fremdenfeindliche Demagogen wie Donald Trump so viel Unterstützung erhalten. In Frankreich steht Marine Le Pens Front National für diese Tendenz, in Deutschland ist es die neue, rechtsgerichtete AfD mit ihren EU- und ausländerfeindlichen Parolen.

Trump erinnert mich schmerzlich an Europas Demagogen des vergangenen Jahrhunderts, und das bereitet mir Sorgen. Seine Angriffe auf das Establishment, seine aggressive Rhetorik gegenüber Muslimen und Mexikanern, der Umstand, dass er anderen Ländern die Schuld für innenpolitische Probleme zuweist, und die Drangsalierung von Gegnern wirken erschreckend vertraut. Seine pathologische Ichbezogenheit, der Kult um persönliche Stärke, sein Narzissmus, seine Eitelkeit und das Versprechen einfacher Lösungen - all das entspricht jener Rhetorik, mit der die Diktatoren meiner Kindheit die Menschen in die Irre führten und die Demokratie zerstörten.

Hitler und Mussolini klangen ähnlich wie Trump. Ihr Erfolg rührte nicht nur daher, dass sie gewiefte Demagogen waren, sondern auch, dass man sie lange nicht ernst nahm. Insbesondere Hitler profitierte von der fatalen Illusion, so jemand wie er könne niemals an die Macht kommen. Als sich dies als Irrtum erwies, gab es immer noch viele, die sich einredeten, er meine die Dinge nicht so; sobald er im Amt sei, werde er seine Ansichten schon mäßigen oder könne von vernünftigen Beratern gelenkt werden. Und natürlich gab es auch gewissenlose Opportunisten, die sich ihm aufgrund ihres eigenen Fanatismus anschlossen oder weil sie die Chance auf persönlichen Machtgewinn und finanzielle Vorteile witterten.

Ich will nicht missverstanden werden: Trump ist kein Hitler oder Mussolini, er ist eher ein Possenreißer als eine ernst zu nehmende Leitfigur. Auch unterscheiden sich die USA grundsätzlich von den Ländern Europas im 20. Jahrhundert; es gibt eine starke Verfassung, die demokratischen Traditionen und Institutionen werden von der Mehrzahl der Wähler klar unterstützt. Wir sollten daher nicht übertrieben pessimistisch sein hinsichtlich unserer Fähigkeit, Trump davon abzuhalten, die Kontrolle über die Republikaner zu erlangen oder - Gott bewahre - ins Weiße Haus einzuziehen.

Mir geht es vor allem darum, die Lehren aus der Geschichte zu beherzigen. Trump ist der unkundigste und am wenigsten geeignete Kandidat, der je Chancen auf die Nominierung einer der beiden großen Parteien hatte. Leider zeigt die Geschichte, dass das nicht unbedingt eine Rolle spielen muss, und dass ein geschickter Demagoge die Massen dennoch auf seine Seite ziehen kann.

Trump fordert unsere grundlegendsten Werte heraus, ja, die amerikanische Demokratie an sich. Die Geschichte hat auch gezeigt, dass mit einem Mann wie ihm ein vernünftiger Dialog oder Kompromiss unmöglich ist; einen solchen Politiker kann man nicht beraten, beschwichtigen oder steuern. Man kann ihn nur zu Fall bringen, indem man ihn bloßstellt und ächtet.

Demokraten, die darauf hoffen, dass er der Kandidat der Republikaner wird, weil sie glauben, er sei im November leichter zu schlagen, spielen mit dem Feuer. Republikaner, die ihn aus Loyalität zu ihrer Partei unterstützen, sollten sich die Sache noch einmal gut überlegen. Wir sollten uns darauf besinnen, dass wir in erster Linie Amerikaner sind und dass der Sieg über einen Mann wie Trump über die Grenzen der Parteipolitik hinausreicht. Wir alle müssen in diesem Punkt für das gleiche Ziel kämpfen - Demokraten und Republikaner, Liberale und Konservative. Zwiespältigkeit, Aufschub oder die Hoffnung, dass er sich in Schach halten lassen werde, bringen nichts. Die Gefahr ist zu groß. Deshalb müssen wir uns jetzt und nicht später mit ihm auseinandersetzen, um ihn kaltzustellen. Das ist das Wichtigste, was wir aus der Geschichte lernen können.

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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