Entwicklung der Wirtschaft:Die Angst lähmt das Wachstum

Lesezeit: 4 min

Robert J. Shiller, 71, ist Professor für Ökonomie an der Universität Yale. Er wurde 2013 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. (Foto: Pedro Pardo/AFP)

Den Menschen fehlt der Optimismus. Sie geben weniger Geld aus, weil sie sich vor einer Wirtschaftskrise wie 2008 fürchten.

Ein Gastbeitrag von Robert J. Shiller

Seit der großen Rezession der Jahre 2007 bis 2009 halten Federal Reserve, EZB und andere bedeutende Zentralbanken der Welt die kurzfristigen Zinsen in der Nähe von null. In den Vereinigten Staaten liegen sie trotz der jüngsten Schritte der Federal Reserve immer noch unter einem Prozent, und auch die Renditen der wichtigsten Staatsanleihen liegen ähnlich niedrig. Darüber hinaus haben die großen Zentralbanken massiv in die Märkte eingegriffen, indem sie in rekordverdächtigem Ausmaß Staatsschulden aufkauften - und diese immer noch halten.

Warum sind diese ganzen Rettungsmaßnahmen nötig, und warum für so lange Zeit? Zu sagen, an alldem sei die große Rezession schuld, wäre zu einfach. Nach Abzug der Inflation haben die langfristigen Zinsen in der Zeit zwischen 2007 und 2009 gar kein Rekordtief erreicht. Betrachtet man die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen über die vergangenen 35 Jahre, erkennt man einen ziemlich stetigen Abwärtstrend, aus dem die große Rezession nicht besonders heraussticht. 2009, nach dem Ende der Rezession, lagen die Erträge amerikanischer Anleihen bei 3,5 Prozent. Heute sind es etwas über zwei Prozent. Bei den Realzinsen ist die Lage ähnlich. Während der großen Rezession brachten zehnjährige inflationsgeschützte Staatsanleihen einmal beinahe drei Prozent Rendite, inzwischen sind die Erträge auf 0,5 Prozent gefallen.

Dass Anleger ihr Geld zehn Jahre lang zu derart niedrigen Zinsen fest binden, legt die Vermutung nahe, dass es seit vielen Jahren einen Trend in Richtung Pessimismus gegeben hat. Das zeigt sich darin, wie populär der Begriff der "säkularen Stagnation" ist, der eine dauerhaft schwache Wirtschaft beschreibt. Der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers verwendete den Begriff erstmals im November 2013 während einer Rede beim Internationalen Währungsfonds, der New-York-Times-Kolumnist Paul Krugman griff ihn auf und sorgte für seine Verbreitung.

Obwohl die "säkulare Stagnation" erst fünf Jahre nach der Finanzkrise von 2008 in den allgemeinen Sprachgebrauch überging, ist der Begriff selbst viel älter. Erstmals tauchte er bereits im Dezember 1938 auf in einer Ansprache des berühmten Harvard-Ökonomen Alvin Hansen an den Klub der US-Ökonomen, die American Economic Association.

Hansen definierte die "Essenz der säkularen Stagnation" als "schwächliche Erholungen, die bereits im Kindesalter sterben, und Depressionen, die sich selbst nähren und einen harten und scheinbar unveränderlichen Kern an Arbeitslosigkeit hinterlassen". Als Hansen seine Rede hielt, erwartete er, die Stagnation der amerikanischen Wirtschaft werde dauerhaft sein. Die Depression, die mit dem Börsenkrach von 1929 begonnen hatte, ging bereits in ihr zehntes Jahr, und der Zweite Weltkrieg war noch nicht ausgebrochen. Erst nach Kriegsbeginn 1939 löste sich die Stagnation auf.

Hansens Theorie der säkularen Stagnation aus der Zeit der Großen Depression beruhte auf der Geburtenrate der Vereinigten Staaten, die bereits in den 1920ern dramatisch zurückgegangen war und danach ungewöhnlich niedrig blieb. Weil es so wenige Geburten gab, werde die Stagnation immer weitergehen, vermutete Hansen, da die Menschen nicht so viel für Kinder ausgeben und in die Zukunft investieren. Tatsächlich ist laut Statistiken der Weltbank die durchschnittliche Geburtenrate auch nach der Finanzkrise von 2008 weltweit gefallen. Dies hing aber nicht direkt mit der Krise zusammen, schließlich gingen die Geburtenraten schon seit fast einem Jahrhundert stetig zurück.

Eine weitere Erklärung ist, dass die Krise von 2008 immer noch unser Denken beherrscht - als gesteigerte Angst, es könne zu einem "Schwarzer-Schwan-Ereignis" kommen, also zu einer sehr unwahrscheinlichen, aber besonders folgenschweren Katastrophe. Dass das Konsumentenvertrauen derzeit hoch und die Volatilität der Finanzmärkte niedrig ist, ändert an diesem Befund nichts. In einer neuen Veröffentlichung von Julian Kozlowski, Laura Veldkamp und Venky Venkateswaran von der New York University heißt es, solche Ängste seien durchaus rational: Sobald ein zuvor undenkbares Ereignis eintritt, ist es gerechtfertigt, es nicht zu vergessen.

Meine eigene Theorie über die gegenwärtige Stagnation konzentriert sich auf die wachsende Angst vor dem schnellen technischen Fortschritt, der viele oder die meisten unserer Arbeitsplätze überflüssig machen und zu massiver wirtschaftlicher Ungleichheit führen könnte. Die Menschen könnten zunehmend zögerlicher mit ihrem Geld umgehen, weil sie eine vage Furcht davor quält, dass sie künftig keinen Job mehr finden könnten. Solche Sorgen werden bei Verbraucherumfragen möglicherweise gar nicht bewusst geäußert. Ist dies tatsächlich der Fall, sind unter Umständen immer höhere Stimuli in Form niedriger Zinsen nötig, damit die Menschen mehr Geld ausgeben. Eine Reihe guter Nachrichten nach einer Krise könnte durchaus zu einer Art oberflächlichem Optimismus führen, ohne dabei aber die Angst vor nötigen Krisen völlig zu neutralisieren. Der Optimismus wird von Politikern und den Medien mit rosigen Aussagen geschürt, deren Wahrheitsgehalt von der Öffentlichkeit nicht überprüft oder bestätigt werden kann.

Seit etwa 2012 eilen die Aktien- und Immobilienmärkte von einem Höchststand zum nächsten. Dies geschah aber auch während der Großen Depression der 1930er-Jahre immer wieder: Ständig gab es Nachrichten über neue Rekordstände des einen oder anderen Wirtschaftsindikators. Im Jahr 1933, also auf dem Tiefpunkt der Depression, lagen die Ölproduktion, die Preise für Weizen und Gold sowie für Sitze an den Rohstoffbörsen auf Rekordniveau. Weiterhin gab es Höchstwerte beim Zigarettenkonsum, bei den Einlagen auf Konten bei der US-Post, bei Umsatz und Gewinn bestimmter Unternehmen.

Solche optimistischen Berichte können den Menschen durchaus die Hoffnung geben, dass die Dinge insgesamt besser werden, ohne ihnen allerdings gleichzeitig die Angst zu nehmen, es könne doch noch eine Katastrophe eintreten. Steuert man nicht durch außergewöhnliche Stimuli entgegen, begrenzen solch düstere Vorahnungen die Bereitschaft der Menschen, Geld auszugeben. Aus der Psychologie ist bekannt, dass dies kein Widerspruch ist: Menschen können gleichzeitig mehreren und auch widersprüchlichen Narrativen glauben. Wenn die Bevölkerung Angst vor Katastrophen hat, müssen die Politiker angemessen reagieren.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

© SZ vom 29.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: