Ausschreitungen in Ägypten:Dutzende Tote und 1000 Verletzte bei Krawallen in Stadion

Bei Krawallen nach einem Fußballspiel in Ägypten sterben mehr als 70 Menschen, laut Behördenangaben gibt es mehr als 1000 Verletzte. In Port Said stürmten die Fans des heimischen Teams Al-Masry nach dem 3:1-Sieg gegen den Erzrivalen Al-Ahly das Spielfeld. "Die Sicherheitskräfte haben uns nicht geschützt", erklärt ein Fußballer, ein anderer spricht von "Krieg" - und ägyptische Medien vermuten politische Hintergründe.

Sonja Zekri, Kairo

Sie waren sich nie recht grün, die Fans des Al-Masry-Clubs in Port Said und die Ahly-Anhänger aus Kairo. Diesmal aber war die Stimmung noch schlechter als sonst. Polizeiwagen hatten die Busse der Ahli-Anhänger nach Port Said am Mittelmeer begleitet, und als die Spieler sich auf dem Rasen aufwärmen wollten, flogen die ersten Steine. Und doch, damit hatte niemand gerechnet: Mindestens 74 Tote, über 1000 Verletzte, das Stadion ein Hexenkessel, ein Inferno. "Es ist die größte Katastrophe in der Geschichte des ägyptischen Fußballs", sagte Hescham Schiha, Stellvertreter des Gesundheitsministers im Staatsfernsehen.

Bereits in der Halbzeitpause ist es zu Ausschreitungen gekommen, doch erst nach dem Schlusspfiff brach der Sturm los. Wenige Sekunden nachdem der Schiedsrichter in der Begegnung der Egyptian Premier League - der ersten ägyptischen Liga - zwischen Al-Masry und Meister Al-Ahly die Partie beendet hatte, stürmten Hunderte Fans der siegreichen Heimmannschaft Al-Masry den Platz und jagten Spieler und Betreuer der gegnerischen Mannschaft.

Den meisten der verfolgten Spieler gelang es noch, sich in ihre Umkleidekabine zu retten. Aber die Fans der Mannschaften fielen übereinander her. Aus ihrer Kabine riefen verzweifelte Al-Ahly-Spieler den Sport-Radiosender Modern Kora an und schlugen Alarm. "Wir sind gefangen in der Umkleide, alle Spieler wurden brutal geschlagen", sagte Verteidiger Ahmed Fathi.

Minütlich wurden Verletzte in die Kabine gebracht, und Mittelfeldspieler Mohamed Abu-Treika klagte: "Das ist kein Fußball. Das ist ein Krieg, die Menschen sterben direkt vor uns. Es gibt keine Bewegung und keine Krankenwagen." Eine kleine Gruppe von Polizisten bildete eine Gasse, um die Ahli-Spieler in Sicherheit zu bringen, wirkten aber weitgehend hilflos. Die gegnerischen Fans traten und schlugen die Mannschaft trotz der Sicherheitsbeamten.

Der Ahly-Torwart-Trainer Ahmed Nagi sagte: "Einer der Fans ist im Umkleideraum gestorben. Tausende lagen verwundet in den Gängen." Die Sicherheitskräfte haben nichts getan, so die Kritik, "die Sicherheitskräfte haben uns nicht geschützt, gerade ist ein Fan hier in der Umkleide vor mir gestorben." Ein weiterer Mittelfeldspieler, Mohamed Barakat, kritisierte die Betreiber der Fußballliga: "Die Verantwortlichen haben Angst, Liga-Spiele abzusagen, sie interessieren sich nur für Geld und nicht das Leben der Menschen."

Ligabetrieb auf unbestimmte Zeit ausgesetzt

Im Fernsehen meldete sich ein Verantwortlicher des El-Amiri-Krankenhauses in Port Said. "In meiner Klinik liegen elf Tote, in zwei anderen sind weitere 25, und im Stadion sind drei Menschen gestorben", sagte er. "Einige wurden totgetrampelt, und andere starben an Erstickungen."

In Kairo wurde das Spiel zwischen dem populären Club Zamalek und Ismaily auf die Nachricht aus Port Said beim Stand von 2:2 abgebrochen. Daraufhin warfen Randalierer Brandsätze. Der Vorsitzende des Ägyptischen Fußball-Verbandes, Samir Saher, setzte die Spiele der ägyptischen Liga auf unbestimmte Zeit aus. Am Donnerstag will das ägyptische Parlament zur einer Sondersitzung zusammentreten.

Wie konnte es soweit kommen? In Port Said habe jemand im Stadion ein Plakat gezeigt mit der Aufschrift, in der Stadt gebe es "keine Männer", so ein Gerücht. Ist das ein Grund? Die Fans des Ahly-Clubs gelten als unpolitisch. Seit der Revolution gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak vor einem Jahr sind sie jedoch häufig bei Protesten gegen die Sicherheitskräfte und den regierenden Militärrat aufgetreten. War der Überfall auf Ahly die Rache dafür, wie eine Moderatorin im Privatfernsehen vermutet?

Der Masry-Präsident Kamel Abu Ali hat inzwischen gekündigt, ebenso wie der Gouverneur von Port Said. Badri Falgali, ein unabhängiger Abgeordneter der PP-Partei aus Port Said, vermutet Provokateure als Anstifter: Das Chaos im Stadion spiegele nur die Unruhe in Land wider, sagte er einem Sportsender. Wie seien überhaupt so viele Feuerwerkskörper ins Stadion gebracht worden? Wo sei die Polizei gewesen? Andere wurden noch deutlicher: Der Aktivist Gamal Eid geht davon aus, dass der Vorfall geplant war, damit möglichst viele Menschen am nächsten Tag gegen den Militärrat demonstrieren.

Dieser lasse das Land "in Flammen aufgehen". Solange noch Menschen des alten Regimes an der Macht seien, werde es immer wieder zu derartigen Zwischenfällen kommen. Fans des Ahly-Clubs in Kairo und des Kairoer Zamalek-Clubs, so heißt es im Privatfernsehen, haben sich inzwischen aufgemacht nach Port Said.

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