Ausreiseverbot für Schriftsteller:Kommunisten vergessen nicht

Neben Chinas Zensurbehörde hat auch die Staatssicherheit die Frankfurter Buchmesse im Blick. Sie verbietet dem Autoren Liao Yiwu die Reise nach Deutschland. Der SZ erzählt er, warum.

Henrik Bork

Vor der Frankfurter Buchmesse versucht China erneut, den Auftritt eines kritischen Autors in Deutschland zu verhindern. Die chinesische Staatssicherheit hat dem international bekannten Schriftsteller Liao Yiwu die Ausreise verboten. Er war vom Haus der Kulturen der Welt in Berlin zu einer Podiumsdiskussion "in Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse" eingeladen worden. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erzählt er, wie es dazu kam.

Süddeutsche Zeitung: Stimmt es, dass Sie nicht zur Frankfurter Buchmesse reisen dürfen?

Liao Yiwu: Das ist richtig. Ich hatte heute noch mal ein Gespräch mit der Staatssicherheit. Sie teilten mir dabei endgültig mit, dass ich nicht nach Deutschland fliegen darf.

SZ: Wer hat Sie eingeladen?

Liao: Das "Haus der Kulturen der Welt" in Berlin. Dort sollte ich am 10. Oktober eine Rede über das Schreiben halten. Dieser Kultur-Event ist eng mit der Buchmesse verbunden. Sie haben auch offizielle chinesische Autoren eingeladen, Mitglieder des Chinesischen Schriftstellerverbandes wie Yu Hua und Mo Yan. Anschließend wollte ich nach Frankfurt fahren. Ich hatte mich eigentlich auf die Buchmesse gefreut. Ich wollte aus meinem neuen Buch vorlesen, dass gerade im Fischer-Verlag auf Deutsch erschienen ist.

SZ: Das Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser - Chinas Gesellschaft von unten"?

Liao: Ja. Das Buch war vorher schon auf Englisch bei Random House in den USA erschienen, auch in mehreren anderen Sprachen.

SZ: Waren Sie schon mal in Deutschland?

Liao: Ich war noch nie im Ausland. Ich bin oft eingeladen worden, etwa als man mir in Australien einen Preis verleihen wollte. Aber da hat mich die Polizei am Flughafen abgefangen. Sie zeigten mir ein Dokument, demzufolge ich angeblich dem Image unseres Landes schade. Dies ist jetzt das zwölfte Mal, dass ein Antrag auf eine Reiseerlaubnis abgelehnt worden ist.

SZ: Hatten Sie dann überhaupt wirklich die Hoffnung nach Berlin und zur Buchmesse nach Frankfurt reisen zu können?

Liao: Doch, diesmal schon. Nach dem Erdbeben bei uns in Sichuan hatte sich etwas verändert. Zum ersten Mal bekam ich einen Reisepass. Ich wollte nach Frankfurt, weil es für einen Schriftsteller immer etwas Besonderes ist, wenn sein Buch in einer anderen Sprache erscheint.

SZ: Welche Pläne hatten Sie für die Buchmesse?

Liao: Es ist wichtig für Schriftsteller, dabei zu sein, wenn das eigene Buch vorgestellt wird. Ich wollte Leser treffen und Fragen über mein Buch beantworten. Ich finde es wirklich schade, dass ich nicht dabei sein kann.

SZ: Wir haben gelesen, dass einer der Polizisten, der Sie nach dem Tiananmen-Massaker verhaftet hatte, später in Sichuan groß Karriere gemacht hat.

Liao: Stimmt. Er wurde später Chef der Pass- und Zollbehörde in Chengdu, wo ich heute lebe. Dass er mir so lange keinen Pass gegeben hat, bedeutet vielleicht, dass er noch Gefühle für mich hatte.

SZ: Warum hatte man Sie damals eingesperrt?

Liao: 1989 war ich ein junger Dichter, voller Enthusiasmus. Am Abend des 4. Juni schrieb ich ein Gedicht mit dem Titel "Das Massaker" (da tu sha). Ich wusste, dass es niemals gedruckt werden wird. Daher habe ich es öffentlich vorgelesen. Ich bin recht gut im Rezitieren. Freunde filmten mich dabei, und der Film fand im Ausland weite Verbreitung. Deshalb haben sie mich verhaftet.

SZ: Wie lange waren Sie inhaftiert?

Liao: Vier Jahre lang, von 1990 bis 1994. In vier verschiedenen Gefängnissen, zuletzt in Chongqing.

SZ: Wie hat man Sie behandelt?

Liao: Ich rede nicht mehr gerne darüber. Einmal haben Sie mir die Hände mit Handschellen auf dem Rücken zusammengebunden. Dreiundzwanzig Tage lang habe ich so dagelegen. Ich musste auch oft Hungern. Oft kauerte ich neben der Kloschüssel und zupfte mir die Flöhe aus dem Unterhemd. Sie hatten mich dafür eingesperrt, dass ich ein Gedicht geschrieben hatte.

SZ: In Ihrem Buch kommen vor allem Außenseiter der chinesischen Gesellschaft zu Wort, allerlei "Underdogs". War es leicht, das in China zu recherchieren?

Liao: Ich habe zehn Jahre lang daran gearbeitet. Mehr als 300 Menschen habe ich interviewt. Im Jahr 2001 habe ich eine erste chinesische Version veröffentlicht, aber sie wurde schon nach einem Monat wieder verboten. Dann, nachdem die Zeitung Südliches Wochenende (Nanfang Zhoumo) ein Gespräch mit mir publiziert hatte, gab es einen neuen Skandal. Seither kann ich in China nichts mehr publizieren, nicht einmal mehr unter Pseudonym.

SZ: Wie kommt es, dass wir trotzdem eine Kopie Ihres Buches gefunden haben?

Liao: (lacht) Es sind Raubkopien auf dem Markt. Überall sind die Buchstände voll davon. Aber diese Raubkopien sind voller Druckfehler, und ich bekomme dafür kein Geld.

Lesen Sie weiter, welche Schwierigkeiten es für Liao Yiwu bei Interviews mit Menschen gab, die noch nie zuvor einen Journalisten gesehen hatten.

Schlangen auf dem Klo

SZ: Warum kommen in Ihren Werken immer wieder arme Chinesen zu Wort?

Liao: Ich bin einer von ihnen. Ich bin einfach gerne an den Graswurzeln unterwegs. Ich finde, es lohnt sich, die Geschichten dieser Menschen aufzuschreiben. Ihre Geschichte ist die wahre Geschichte Chinas.

SZ: Sie sind sehr viel herumgekommen in der chinesischen Provinz ...

Liao: Ja, wo ich hinfahre, gibt es selten Toiletten. Bei den Recherchen für dieses Buch, aus dem ich in Deutschland vorlesen wollte, hätte mich in Yunnan beim Scheißen fast eine Schlange in den Hintern gebissen. (Lacht)

SZ: Wie schwer war es, all diese Menschen zu interviewen, die noch nie einen Journalisten gesehen haben?

Liao: Manchmal war es hart. Da gab es diesen über 80-jährigen alten Leichenbestatter, der sehr viel trank. Ich bat ihn um ein Glas Wasser, aber er reichte mir ein Glas Schnaps. Erst nachdem ich sieben Mal mit ihm getrunken hatte, bis ich vom Stuhl fiel, begann er zu erzählen - von der Landreform, von all den Exekutionen. Es war dann sehr interessant. Die Episode steht auch in meinem Buch.

SZ: Wurden Sie nie von der Staatssicherheit an der Recherche gehindert, wie es Journalisten in China oft passiert?

Liao: Es kommt darauf an, mit wem man sprechen will. Mit Bettlern - das ist kein Problem. Aber als ich Augenzeugen des Pekinger Massakers vom 4. Juni 1989 interviewen wollte, war das schon schwieriger. Aber ich kannte viele von ihnen. Es ist heute im Vergleich zur Mao-Zeit einfacher geworden, die Geschichte unseres Landes zu dokumentieren.

SZ: Das ist aber ganz und gar nicht die Art von Geschichte, die Chinas kommunistische Führung am 1. Oktober mit einer großen Militärparade feiern will ...

Liao: Solche Paraden wie die in Peking haben nichts mit dem Leben der einfachen Leute zu tun. Das geht uns nichts an. Wer das heutige China verstehen will, der muss in die Gassen der Altstädte gehen, in die armen Dörfer auf dem Land.

SZ: Ist es nicht auch wahr, dass sich die Lebensverhältnisse vieler einfacher Chinesen in den vergangenen sechzig Jahren stark verbessert haben?

Liao: Die Straßen sind breiter und es gibt viele hohe Gebäude. Das kann ja jeder sehen. Allerdings, wenn das so weitergeht, bekommen wir Schwierigkeiten. Chinas natürliche Ressourcen sind begrenzt.

SZ: Warum dürfen manche chinesische Autoren ins Ausland reisen, und Sie nicht?

Liao: Yu Hua und Mo Yan, das sind Militärschreiber, bezahlt von der Volksbefreiungsarmee. Die dürften wohl gute Beziehungen zur Regierung haben.

SZ: Und Ihnen sagt man, Sie könnten auf der Buchmesse dem Image Chinas schaden ...

Liao: Ja, aber ich möchte fragen, was dem Image meines Landes mehr schadet, ein Auftritt auf der Buchmesse, oder dieses Reiseverbot?

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