Ausländische Pflegekräfte in Deutschland:Alicia macht das jetzt

Pflegerin mit alter Frau

Etabliertes System der Pendelmigrantinnen - zum Nachteil der Frauen, die oft unverschämte Verträge haben.

(Foto: dpa)

Hunderttausende Frauen aus den neuen EU-Ländern betreuen in Deutschland alte Menschen zu Hause, weil deren eigene Kinder nicht können oder wollen. Sie stützen das Pflegesystem, aber fast keine Familie stellt die Frauen direkt an. Die Chronik einer Ausbeutung.

Von Nina von Hardenberg

Wenn die alte Frau nicht mehr konnte, wenn sie klagte über ihr Leben mit dem kranken Mann, wurde die Stimme ihres Sohnes sanft. "Mama", sagte er dann, "du musst das nicht mehr machen. Du hast jetzt Alicia." Der Satz ist der Frau im Ohr hängengeblieben. Es schwingt darin Erleichterung mit, und ein großer Anspruch. Alicia David, die Hilfe aus Polen, war immer da, Tag und Nacht, für den vom Schlaganfall gezeichneten Mann, den sie fütterte und wusch, und oft auch für die gebrechliche Frau.

Alicia David hat die Last gerne genommen. Sie mag alte Menschen, sie kann mit ihnen umgehen. Womit sie nicht klarkommt, sind Ungerechtigkeiten. In der Pflege aber sei ihr Unrecht geschehen, davon ist sie überzeugt.

Billiger, schneller, halbwegs legal - aber nicht fair

Etwa 150.000 Frauen aus den neuen EU-Ländern betreuen in Deutschland alte Menschen zu Hause. Da Kinder immer seltener die eigenen Eltern pflegen wollen oder können, füllen die Frauen aus Ländern östlich von Deutschland eine Lücke, sie stützen das ganze Pflegesystem. Im zusammenwachsenden Europa ist das einfach geworden. Seit Mai 2011 dürfen Frauen aus Ländern wie Polen ganz legal hier arbeiten und von den Familien angestellt werden. Von Januar an gilt das sogar für Bulgarinnen und Rumäninnen. Das Problem ist nur: Fast keine Familie stellt die Frauen direkt an. Die meisten rekrutieren ihre Pflegerinnen über osteuropäische Firmen. Das ist billiger, schneller und auch halbwegs legal - fair für die Frauen ist es häufig nicht.

Die Vermittlungsfirmen sind ein Erbe aus der Zeit, als die Grenzen noch dicht waren, Frauen in der Pflege aber längst gebraucht wurden. Als Alicia David 2009 zu dem Schlaganfall-Patienten nach Deutschland kam, ging das nur über eine Regel im EU-Dienstleistungsrecht. Sie erlaubt es osteuropäischen Firmen, Mitarbeiter auf eine Art Dienstreise nach Deutschland zu schicken. Bis heute kommen viele so. Ihre Arbeit wird dadurch billiger, da für sie nur die im Heimatland anfallenden Sozialversicherungen gezahlt werden müssen, dafür verdienen die entsendenden Firmen kräftig mit.

Alicia bekommt von den 2400 Euro gerade einmal 1000

"In anderen EU-Ländern, die die Freizügigkeit schon früher eingeführt haben, sind viel mehr Frauen in sozialversicherungspflichtige Jobs eingestiegen", sagt Margret Steffen, Gesundheitsexpertin bei Verdi. In Deutschland aber hat sich das System der Pendelmigrantinnen etabliert - zum Nachteil der Frauen, die oftmals unverschämte Verträge haben.

Alicia David verdiente während ihrer Zeit bei dem Schlaganfallpatienten etwa 1000 Euro im Monat. Für sie war es viel Geld - mehr als doppelt so viel wie zu Hause. Ein guter Job, deshalb kam sie immer wieder. Blieb zwei Monate und fuhr dann für einen Monat nach Polen. Zwei Jahre lang. Es lohnt sich, es ist fair, dachte sie. Bis sie eines Tages erfuhr, was die Familie für sie ausgab: Etwa 2400 Euro waren es. In einem Streit knallte die alte Frau Alicia David den Betrag an den Kopf - und war dann selbst erschüttert, als sie hört, wie wenig davon ankommt. Die Polin fängt nun an zu recherchieren, wird immer wütender.

Die Familien scheuen sich

Denn nicht nur greift die polnische Firma einen Großteil ihres Gehalts ab. Sie zahlt auch fast keine Rentenbeiträge. Alicia David hat nur ein Grundgehalt von 300 Euro. Ihr restliches Geld bekommt sie während ihrer Zeit in Deutschland über Spesen - auf diese muss die Firma aber keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

Maria Simo berät in dem Stuttgarter Projekt "Fair Care" Pfleger aus Osteuropa. Sie hat viele Verträge mit solchen Regelungen gesehen. Manche bulgarischen Frauen erhalten sogar nur ein Grundgehalt von 165 Euro, mit Spesen kommen sie je nach Sprachkenntnissen auf 600 bis 900 Euro im Monat. Dabei müssten die Firmen ihren Angestellten eigentlich den Pflege-Mindestlohn von - im Westen - neun Euro pro Stunde zahlen.

Aber sie drücken sich, indem sie die Frauen als Haushaltshilfen schicken. Niemand kontrolliert, ob die Betreuerinnen nicht doch ab und zu Verbände wechseln oder Spritzen geben. Das aber führt zu unkontrollierbaren Zuständen, wie es sie in intimen Bereichen wie der Pflege nicht geben dürfte: Simo hat überforderte Frauen erlebt, die weder die Sprache noch die Krankheiten verstanden. Frauen, die dachten, die alzheimerkranken Menschen wollten sie fertigmachen, weil sie die Medikamente versteckten.

Andere Anbieter vermitteln gleich nur Frauen, die in Deutschland ein Gewerbe angemeldet haben und somit offiziell selbständig sind. Auch dann gilt kein Mindestlohn; und die Frauen verantworten selbst, wie viel sie arbeiten - wenn gewünscht, eben rund um die Uhr. In der Realität übernehmen aber zum Teil die Firmen die Gewerbeanmeldung. "Die Frauen wissen das oft nicht einmal", sagt Simo. Als Selbständige müssten sie sich versichern und fürs Alter vorsorgen. Viele tun das nicht.

Es liegt nicht nur am Geld

Bei "Fair Care" wollten sie es für die Frauen besser machen. Die Familien sollten die Betreuerinnen direkt anstellen. Das kostet sie 2000 Euro im Monat - nicht mehr als bei mancher Vermittlungsagentur. Bei den Betreuerinnen kommen brutto mehr als 1500 Euro an. Die Frauen arbeiten mit einem Pflegedienst zusammen, sind also nicht alleine mit den Kranken. Die Nachfrage aber ist gering. Es liegt nicht nur am Geld.

Für die "Fair Care"-Frauen gelten geregelte Arbeitszeiten. 24 Stunden rund um die Uhr bei der Oma, das geht dann nicht. Viele Familien scheuen sich auch, Arbeitgeber zu werden. Das riecht nach bürokratischem Aufwand und Verantwortung. Die Anmeldeverfahren müssten vereinfacht werden, fordert deshalb Verdi. Vorgemacht haben das Länder wie Österreich, wo die Anstellungen finanziell gefördert werden. In Deutschland sind solche Regeln nicht geplant.

Alicia David kämpft nun um ihre Rentenbeiträge. Ihre Erfolgsaussichten sind gering. Eine polnische Kontrollbehörde hat ihre Beschwerde schon zurückgewiesen, aber aufgeben will sie nicht, die Ungerechtigkeit lässt ihr keine Ruhe. "Ich werde nicht gewinnen", sagt sie, "aber vielleicht gewinne ich meinen Schlaf zurück."

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