Ausgang der US-Präsidentenwahl:Obama, Romney - oder ein Patt

Am 6. November geht es zwischen US-Präsident Obama und dem Republikaner Romney um jede Stimme. Doch womöglich dauert es Wochen, bis der Sieger feststeht. Provisorische Stimmzettel und veränderte Wahlgesetze machen Klagen wahrscheinlich, auch ein Patt scheint möglich. Spekuliert wird sogar, dass Romney zusammen mit einem Demokraten ins Weiße Haus einziehen könnte.

Matthias Kolb, Washington

Soweit es Hurrikan "Sandy" zulässt, werden Barack Obama und Mitt Romney bis zum 6. November ständig zwischen den verschiedenen swing states hin und her fliegen und um jeden Wähler werben. Denn noch ist nichts entschieden. Es wird knapp am 6. November.

Seit Tagen orakeln Amerikas Experten deshalb nicht mehr nur über jede Umfrage aus Ohio oder Florida, sondern diskutieren drei Szenarien, nach denen es am Tag nach der Wahl vielleicht sogar keinen Sieger gibt. Besonders pikant: In einem Fall müsste Mitt Romney mit Joe Biden als Vize zusammenarbeiten.

Die entscheidende Zahl für Amerikas Wahlkämpfer lautet 270. So viele Wahlmänner-Stimmen benötigt US-Präsident Barack Obama mindestens, um sich eine zweite Amtszeit zu sichern - und auf ebenso viele Stimmen im electoral college hofft der Republikaner Mitt Romney. Denn im US-Wahlsystem ist nicht entscheidend, welcher Kandidat insgesamt die meisten Stimmen erhält - Obama und Romney konkurrieren um jeden einzelnen der 50 Bundesstaaten, die je nach Zahl ihrer Einwohner unterschiedlich viele Wahlmänner zu vergeben haben.

Je enger das Rennen der beiden Kandidaten wird (Details zum aktuellen Stand und Hintergründe zu Obamas Strategie hier), umso intensiver beschäftigen sich Journalisten, Historiker und Analysten mit dem Fall, dass es am 7. November, dem Tag nach der Wahl, keinen Sieger gibt. Sie blicken in Geschichtsbücher, wälzen Wahlgesetze der einzelnen Bundesstaaten und lesen in der Verfassung nach.

Denkbar sind drei Szenarien:

[] Gleichstand im electoral college - der Kongress entscheidet

Die Wahrscheinlichkeit, dass Barack Obama und Mitt Romney jeweils auf 269 Stimmen kommen, liegt momentan bei knapp einem Prozent. Das klingt ziemlich abseitig, doch nicht nur Ron Elving, Politik-Guru von NPR, erinnert daran, dass George W. Bush vor zwölf Jahren mit nur 271 Stimmen gewählt wurde. Die Website 270towin.com geht momentan von elf umkämpften swing states (Florida, Pennsylvania, Ohio, Michigan, North Carolina, Virginia, Wisconsin, Colorado, Nevada, New Hampshire, Iowa) aus und hat 32 Möglichkeiten für einen Gleichstand ermittelt (Übersicht).

Erschwert wird die Prognose durch die Tatsache, dass in Maine und Nebraska Sonderregeln gelten: Hier werden die Wahlmänner nicht für den gesamten Staat vergeben, sondern pro Wahlbezirk - und 2008 konnte Obama im stockkonservativen Nebraska rund um die Stadt Omaha mehr Stimmen sammeln als der Republikaner John McCain.

Was passiert im Falle eines Gleichstands?

Im Dezember tritt das electoral college zusammen, die Wahlmänner stimmen ab, es kommt zum Patt. In dieser Situation tritt der zwölfte Verfassungszusatz in Kraft, wonach das neu gewählte Repräsentantenhaus den Präsidenten bestimmt, während der Senat dessen Stellvertreter wählt. Beide Kammern treten am 20. Januar 2013 erstmals zusammen.

Momentan sieht es danach aus, dass die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigen und die Demokraten gute Chancen haben, die Kontrolle im Senat zu behalten (Details in diesem Wahlblog). Knifflig würde es im Repräsentantenhaus werden: Hier hat laut Verfassung nicht jeder der 435 Parlamentarier eine Stimme, sondern nur jeder Bundesstaat. Das heißt, Republikaner und Demokraten müssen sich einigen, wie sie votieren. Im Senat wäre es leichter: Dessen 100 Mitglieder haben jeweils eine Stimme und bei einem Patt könnte sich Joe Biden selbst zum Vizepräsidenten machen.

Momentan gehen die meisten Auguren wie Ron Elving von NPR oder Aaron Blake von der Washington Post davon aus, dass Romney im House eine Mehrheit erhalten und zum Präsidenten gewählt werden würde (Weitere Optionen, etwa eine Dauerblockade des Repräsentantenhauses und die Wahl des Speakers, des Republikaners John Boehner, zum US-Präsidenten, beschreibt John Klotsche in der Los Angeles Times).

Albtraum-Szenario für Ohio

Die - wenn auch sehr unwahrscheinliche - Aussicht, dass der Multimillionär Romney gemeinsam mit dem für seine klaren Worte ("a bunch of malarkey") bekannten Demokraten Joe Biden regieren müsste, gefällt nicht nur Maureen Dowd, der bissigen Kolumnistin der New York Times.

A woman looks at the screen after using an electronic voting machine at the Denver Elections Division headquarters in downtown Denver

"Vote recorded": Eine Frau nach der vorzeitigen Stimmabgabe an einem Wahlcomputer in Denver.

(Foto: REUTERS)

[] Es wird neu ausgezählt - und die Welt wartet

Es war ein Wahldrama, das vom Obersten Gerichtshof entschieden wurde: Im Jahr 2000 dauerte es bis Mitte Dezember, bis George W. Bush als 43. Präsident feststand - und nicht der Demokrat Al Gore. Schuld waren die unklaren Regeln und der extrem knappe Ausgang in Florida, wo fehleranfällige Wahlmaschinen eingesetzt wurden. In den vergangenen zwölf Jahren seien die Abstimmungen in Florida allerdings fehlerlos abgelaufen, sagt Stephen Rosenthal, Obamas Rechtsberater im Sunshine State, dem National Journal.

Doch Experten wie die Politik-Professorin Susan MacManus von der University of South Florida rechnen damit, dass die unterlegene Seite bei einem knappen Wahlausgang in Florida vor Gericht ziehen wird. Mögliche Gründe dafür gibt es schon jetzt: So wurde etwas die Zeitspanne für die vorzeitige Stimmabgabe verkürzt und die Regelungen, nach denen Straftäter wählen dürfen, verändert.

Womöglich werden die vielen Journalisten, die seit Wochen in Ohio unterwegs sind, noch länger im Buckeye State bleiben müssen: Hier sieht das Wahlgesetz eine Neuauszählung der Stimmen vor, wenn die erfolgreichsten Kandidaten weniger als 0,25 Prozentpunkte trennt. Da Romney in Ohio zuletzt aufgeholt hat, ist ein solch knapper Ausgang nicht auszuschließen. Pikant: Die Neuauszählung kann erst beginnen, wenn alle 88 Wahlbezirke ihre Ergebnisse gemeldet haben, wozu sie 21 Tage Zeit haben. Womöglich beginnt die landesweite Neuauszählung also erst am 27. November.

Darüber hinaus haben die Kandidaten das Recht, die Ergebnisse in ganz Ohio beziehungsweise in einzelnen Bezirken anzuzweifeln, so dass erneut ausgewertet werden müsste.

[] Tücken mit provisorischen Stimmzetteln

Amy Searcy ist für den Ablauf der Wahlen in Hamilton County in Ohio zuständig. Sie hat ihr "Albtraum-Szenario" dem Cincinnati Enquirer beschrieben: Die Wahl 2012 entscheidet sich in Ohio, wo es sehr eng zwischen Obama und Romney wird - und die Zahl der dort abgegebenen "provisorischen Wahlzettel" ist höher als der Unterschied zwischen dem US-Präsidenten und seinem Herausforderer. In diesem Fall müssten Amerika und die Welt mindestens bis zum 17. November auf eine Entscheidung warten, denn laut Gesetz dürfen die provisorischen Wahlzettel (provisional ballots) erst nach zehn Tagen ausgezählt werden.

Dass Experten wie der Juraprofessor Ed Foley von der Ohio State University dieses Szenario für möglich halten, liegt an John Husted, dem für die Durchführung der Wahl zuständigen secretary of state. Husted hat entschieden, dass allen knapp sieben Millionen Wählern in Ohio der Antrag zur Briefwahl übersandt wird, den bisher gut 1,43 Millionen Leute eingereicht haben. Bis vergangenen Freitag hatten jedoch nur 618.000 das Formular zurückgeschickt - es fehlen also mehr als 800.000 Anträge. Wenn es sich ein Briefwähler anders überlegt und doch ins Wahllokal geht, dann muss er einen provisorischen Wahlzettel ausfüllen, der erst am 17. November angerührt werden darf.

Mitarbeiter des Republikaners Husted sagten allerdings dem Cincinnati Enquirer, dass sie damit rechnen, dass noch viele Briefwahl-Unterlagen bei ihnen eingehen werden - 2008 seien nur 70.000 Formulare nicht zurückgeschickt worden. Damals erhielt Obama mehr als 200.000 Stimmen mehr als John McCain, doch 1976 hatte Jimmy Carter lediglich 11.116 Stimmen Vorsprung auf Gerald Ford.

Probleme mit provisorischen Wahlzetteln könnte es auch in Bundesstaaten geben, die zuletzt ihre Wahlgesetze verändert haben und nun einen Ausweis mit Foto von den Bürgern verlangen (Details hier). Allerdings wird es etwa in Virginia, wo ein äußerst knappes Ergebnis erwartet wird, möglich sein, dass Bürger ihre Stimme "vorläufig" abgeben und anschließend ihre Identität per Ausweis, Führerschein oder Rechnung der Stadtwerke belegen.

Viele Bürgerrechtsgruppen werden Beobachter schicken und notfalls Gerichte anrufen, um dafür zu kämpfen, dass möglichst viele Amerikaner von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. Der Jurist Lawrence Norden vom liberalen "Brennan Center of Justice" nennt im Gespräch mit dem National Journal diese Lage einen "Albtraum".

Fazit: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Sie, liebe Leser, am 7. November aufwachen oder am Ende der Live-Berichterstattung von Süddeutsche.de feststellen müssen, dass es noch ein paar Tage dauern könnte, bis feststeht, ob Barack Obama für vier weitere Jahre regieren kann oder ob sich die Welt auf einen US-Präsidenten Mitt Romney einzustellen hat.

Linktipp: In diesem dreiminütigen Video erklärt Barry Horstman vom Cincinnati Enquirer die Besonderheiten und Tücken des Wahlprozedere in Ohio.

Der Autor twittert unter @matikolb.

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