Ausbau der Städte:Zu wenig Wohnraum? Einfach aufstocken!

Weingarten von oben

Um Wohnraum zu schaffen, schlagen Stadtplaner die Aufstocken-Methode vor - einfach noch eine Etage auf bestehende Wohnhäuser draufzusetzen.

(Foto: Sonja Marzoner)
  • Um neuen Wohnraum zu schaffen, könnten Wohnungen auf bereits bestehende Häuser gebaut werden.
  • Das Problem der fehlenden Baugrundstücke in Großstädtem würde dadurch gelöst - den Aufstockungen stehen jedoch gleich mehrere Gesetze im Weg.

Von Michael Bauchmüller und Benedikt Müller

Wenn Karsten Tichelmann seinen Blick über die Dächer Frankfurts schweifen lässt, dann sieht er viele ungenutzte Potenziale: Mehrfamilienhäuser mit Flachdach, mitten in der Stadt. Wohnblocks, die sowieso eine Sanierung gebrauchen könnten, und Bungalows in bester Lage. "Wir haben es oft mit Siedlungen zu tun, die schon längst Teil einer funktionierenden Stadt sind", sagt Tichelmann, "voll erschlossen". Wie nützlich könnte es sein, auf diese Häuser einfach noch ein Geschoss draufzusetzen.

Tichelmann lehrt Tragwerksentwicklung an der TU Darmstadt; im Auftrag der Bauwirtschaft hat er die Potenziale vor Kurzem nachgerechnet, etwa anhand von "Dachflächen-Scans". Ergebnis: Nimmt man nur die Regionen mit angespannter Wohnungslage, dann ließen sich 580 000 Häuser aufstocken, die nach dem Krieg und vor der Wiedervereinigung errichtet wurden. Rund 1,1 Millionen neue Wohnungen könnten so entstehen. Nimmt man ältere Gebäude hinzu, wachse das Potenzial sogar auf bis zu 1,5 Millionen neue Wohnungen, jede mit 75 Quadratmetern.

Kaum noch Baugrundstücke in Großstadtzentren

Und die entstünden nicht am Stadtrand, sondern mittendrin. Weil für aufgestockte Häuser keine neuen Grundstücke nötig sind, blieben Flächen im Umfang von mehr als 14 000 Fußballfeldern geschont. Aufstockung, es ist die neueste Idee auf der Suche nach Wohnraum in den Städten. Je nach Schätzung müssten deutschlandweit zwischen 350 000 und 400 000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut werden, um den Bedarf zu decken. Im vergangenen Jahr wurden aber nur etwa 260 000 Wohnungen bezugsfertig, schätzen Experten. Die Nachfrage nach Stadtwohnungen ist nicht nur wegen der Flüchtlinge gestiegen, sondern auch wegen der hohen Binnenwanderung. Während in den Ballungsräumen der Platz knapp wird und Mieten steigen, stehen auf dem Land die Wohnungen leer, 1,5 Millionen bundesweit.

Auf der Suche nach Lösungen steht die Aufstockung bestehender Gebäude auch deshalb hoch im Kurs, weil es in den Zentren begehrter Großstädte kaum noch Baugrundstücke zu kaufen gibt. In Berlin etwa schätzt der Gutachterausschuss, dass sich für Mietshäuser geeignetes Bauland im vergangenen Jahr "nahezu flächendeckend" um 30 Prozent verteuert hat. Das erschwert den Neubau zusätzlich, sagt Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Der Anstieg der Bodenpreise ist der wesentliche Faktor, warum das Bauen in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden ist." Die höheren Kosten schlagen voll in die Mieten durch. Wie andere Städte auch will Berlin nun möglichst schnell neues Bauland ausweisen und Baulücken schließen.

Bundesweit soll zudem ein neuer Bebauungstyp helfen, weitere Flächen in den Städten zu erschließen: das "urbane Quartier". So könnten künftig auch dort Wohnungen entstehen, wo das bisher Lärmschutzauflagen vereiteln - etwa in der Nähe von Handwerksbetrieben. "Wenn man dort Mieter wird", sagt Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD), "dann weiß man ja, was auf einen zukommt."

Aufstocken ließen sich kaum mit Gesetz vereinbaren

Ohnehin steht der Verdichtung so manches Gesetz im Weg. Etwa die Stellplatzverordnung, die für neue Wohnungen auch einen eigenen Parkplatz verlangt. Wo komplett neue Häuser entstehen, werden deshalb meist Tiefgaragen mitgeplant. Bei der Aufstockung bestehender Gebäude aber wird das schwierig. Auch Fluchtwege, wie sie die Brandschutzvorgaben verlangen, erweisen sich plötzlich als zu klein, wenn ein paar Wohnungen hinzukommen. Fahrstühle werden plötzlich zur Pflicht, wenn die Häuser höher werden. Von den Vorgaben der Bauordnung ganz zu schweigen.

Einiges könnte bald einfacher werden, doch der Grat ist schmal. Das Bauministerium drängt die Länder, Verordnungen zu vereinheitlichen und überflüssige Vorgaben zu schleifen. Es soll auch den Weg bahnen für ein stärker standardisiertes, modulares Bauen - und das, ohne damit abermals Wohnsilos und Mietskasernen nach Vorbild der Nachkriegsjahre zu fördern. Steuerliche Abschreibungen sollen die Bauherren ködern, und eine weitere Verdoppelung der Mittel für sozialen Wohnungsbau soll möglichst verhindern, dass die Großstädte für bedürftige Mieter unerschwinglich werden.

Im Saarland sind seit 2007 nur 21 neue Sozialwohnungen gebaut worden

Jährlich 80 000 Sozialwohnungen sollen allein dadurch zusätzlich entstehen. Doch das reicht nicht, um die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufzuholen. Gab es Anfang der Neunzigerjahre bundesweit noch vier Millionen Wohnungen mit Mietbindung, waren es im Jahr 2007 nur noch gut zwei Millionen. Dann hat der Bund die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau an die Länder abgegeben. Schätzungen zufolge fallen Jahr für Jahr etwa 80 000 Wohnungen aus der Sozialbindung heraus; gleichzeitig fördern die Länder bislang nur den Neubau von etwa 15 000 Sozialwohnungen pro Jahr. Im Saarland sind beispielsweise seit 2007 nur 21 neue Sozialwohnungen entstanden.

Jenseits der Sozialwohnungen steigt die Zahl der Bauvorhaben von Jahr zu Jahr; 2015 wurde der Bau von gut 300 000 Wohnungen genehmigt. Neben kommunalen Wohnungsbaugesellschaften haben vor allem Bauträger deutlich mehr Genehmigungen beantragt; sie wollen vor allem Eigentumswohnungen vermarkten. Den Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen löst das höchstens indirekt. "Der Neubau im Niedrigpreissegment ist in den gefragten Stadtzentren zurzeit nicht attraktiv", sagt DIW-Forscher Michelsen. Denn bei den aktuellen Baukosten kalkulieren die Bauträger mindestens mit einer Kaltmiete von zehn Euro pro Quadratmeter.

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