Aufstand in Syrien:Folter im Fußballstadion

Lesezeit: 2 min

In Syrien geht die Verhaftungswelle weiter. Stadien und Schulen wurden zu Folterzellen; Tausende sollen dort festgehalten werden. Hinter vielen Verhaftungen stecke pure Willkür, beklagen Menschenrechtler.

Silke Lode

Panzer rollen durch die syrischen Protesthochburgen Deraa, Homs, Banias und mehrere Vororte von Damaskus. Jeden Tag berichten Augenzeugen von neuen Toten, das Militär verhängt Ausgangssperren, Milizen ziehen von Haus zu Haus und verhaften die Bewohner. Trotzdem sind zahlreiche Syrer auch diesen Freitag auf die Straßen gezogen, um für Freiheit und gegen den repressiven Staatsapparat zu demonstrieren. In den vorwiegend kurdischen Gebieten im Nordosten protestierten Tausende. Aktivisten berichten über Facebook und Twitter von Demonstrationen in Hama, Homs und Deraa. Selbst in der Hauptstadt kam es zu Protestaktionen.

Soldaten sind auf syrischen Straßen unterwegs, Sperren werden errichtet, Menschen wahllos festgenommen. Das Foto wurde mit einem Handy aufgenommen. (Foto: AP)

Louay Hussein, ein bekannter Oppositioneller, berichtete am Freitagmorgen von einem Anruf, den er von Präsidentenberaterin Bouthaina Schaaban bekommen habe. Staatschef Baschar al-Assad habe angeordnet, dass nicht auf Demonstranten geschossen werde. Angesichts der starken Militärpräsenz in den Straßen herrschte auf den Internetforen der Revolution Skepsis, am Nachmittag berichtete die syrische Rechtsanwältin Razan Zeitouneh von Schüssen in Homs.

Zeitouneh lebt seit Ende März wie mehrere andere Aktivisten im Untergrund, mehrmals pro Woche wechselt sie ihr Versteck. Ihr Handy hat das Regime längst blockiert, das Internet funktioniert landesweit nur lückenhaft. Zeitounehs 20-jähriger Schwager ist seit Ende April verschwunden: Sicherheitskräfte nahmen ihn in Sippenhaft, nachdem sie die Anwältin und ihren Mann Wael Hammada nicht finden konnten. Am Donnerstag musste Zeitouneh die Verhaftung ihres Mannes vermelden, doch tags darauf konzentrierte sie sich bereits wieder darauf, möglichst gut gesicherte Informationen über die Proteste in die Welt zu tragen. Journalisten aus aller Welt sind auf Aktivisten wie Zeitouneh angewiesen, weil Syrien keine unabhängige Berichterstattung zulässt.

Im In- und Ausland sammeln Menschenrechtsaktivisten weiter Beweise für die Gräueltaten, die das syrische Regime im eigenen Land anrichtet. Besonders massiv ist die Militärkampagne derzeit in Homs. Seit dem 6. Mai besetzen Truppen mit Panzern die Stadt. Einwohner berichten in einem schriftlichen Hilferuf an "alle Verteidiger der Menschenrechte", dass auch die kriminelle Miliz der Schabiha plündernd durch das Baba-Amr-Viertel ziehe. Zuvor sei ihr Wohnviertel mit Granaten beschossen worden.

Wissam Tarif, Leiter der Menschenrechtsorganisation Insan, berichtete im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, er wisse von 776 dokumentierten Todesfällen seit dem Beginn der Proteste Mitte März. 80 weitere Fälle seien noch ungeklärt. Die seit Wochen anhaltende Verhaftungswelle im ganzen Land hat laut Tarif zwei Komponenten: Zum einen willkürliche Festnahmen, um Angst zu schüren; zum anderen gezielte Verhaftungen von Demonstranten, Aktivisten und junge Menschen. "Bislang sind etwa 11.000 Menschen verschwunden", sagt Tarif, der sich zur Zeit in Europa aufhält. "Sie werden in Fußballstadien und Schulen festgehalten, die in Häftlingslager und Folterzellen umgewandelt wurden."

Ein Sprecher des UN-Menschenrechtskommissariats bezeichnete die Zahlen von bis zu 850 Toten als realistisch. Die EU erwägt derweil laut Chefdiplomatin Catherine Ashton, ihre Sanktionen auf Präsident Assad auszuweiten.

© SZ vom 14.05.2011/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: