Aufstand in Ägypten:Die Psychologie des Pharao

Ägyptens Präsident Hosni Mubarak klammert sich an die Macht und bedient sich dabei einer perfiden Taktik: Er nutzt traditionelle Werte, um die Wut seines Volkes für sich zu instrumentalisieren.

Tomas Avenarius, Kairo

Seit einer Woche kämpft Hosni Mubarak mit dem Rücken zur Wand, muss um die Macht fürchten. Regimegegner haben auf dem Tahrir-Platz seine Porträts verbrannt. Demonstranten riefen nach Gerichtsverfahren für den Präsidenten und seine Minister, "Volksgerichte" knüpften Stoffpuppen mit dem Bild Mubaraks auf. Die Revolution auf dem "Platz der Befreiung" schien fast am Ziel zu sein - nach 30 Jahren an der Macht schien das Ende Mubaraks besiegelt zu sein. Offenbar hatte der Freiheitswillen aufgeklärter Ägypter über die Kultur nahöstlicher Gewaltherrschaft gesiegt.

Pro Hosni Mubarak march in Cairo towards Tahrir Square

Fast hatte es so ausgesehen, als würden die Regierungsgegner gewinnen - dann gingen die Anhänger des Präsidenten auch auf die Straße.

(Foto: dpa)

Aber der Präsident hat die Nerven behalten und seine eigene Konterrevolution gestartet, den "ägyptischen Gegenaufstand". Mubarak hat Tausende seiner Anhänger gegen die Regimegegner auf dem Tahrir-Platz geschickt, gesteuert von seinen Regisseuren. Das kann in die Geschichte eingehen als eine Art Tiananmen-Massaker mit Messern und Knüppeln, mit Berittenen auf Pferden und Kamelen.

Während Mubaraks Gegner beim "Marsch der Million" am Dienstag in Kairo ein paar hunderttausend Menschen auf dem Befreiungsplatz versammeln konnten, mobilisierte der Autokrat seine Anhänger mit Hilfe seiner Regierungspartei NDP, der Polizei, der Dienste. Das funktioniert in Ägypten immer, wo doch die Partei und der Staatsapparat auf dem kleinsten Dorf präsent sind. Einigen der Pro-Mubarak-Demonstranten wird wohl Geld gezahlt worden sein.

Aber die meisten, die sich mit den Protestierenden auf dem Tahrir-Platz prügelten, werden von einem perfide manipulierten Gefühl angetrieben. Sie halten ihre blinde, gezielt angeheizte Wut für Vaterlandsliebe. Und dafür sind sie sogar bereit, andere Ägypter zu töten. Kennt Mubarak, der Pharao, seine Untertanen besser als die Opposition, die nach Freiheit ruft?

Das Staatsfernsehen verbreitet, die Oppositionellen seien Büttel staatsfeindlicher Mächte, die das Land in Brand setzen wollten. Der Oppositionsführer Mohamed ElBaradei sei vom Ausland gekauft, ein Mann der Amerikaner. Die internationalen Medien würden unfair berichten, gezielt das Bild Ägyptens beschmutzen. Mubarak hat einen Emotionscocktail gemixt, der im Nahen Osten immer funktioniert. Die Zutaten: Verräter gefährden die Nation. Die Ausländer sind die Puppenspieler. Und über allem thront der Patriarch. Weise, würdig, gelassen, streng. Nur er kann die Nation retten in der Stunde höchster Gefahr.

Die Opferung des ägyptischen Volkes

Ägypten hat eine patriarchalische Kultur. Ob Familie, Clan oder Staat - an der Spitze herrscht ein alter Mann, der sich nicht in Frage stellen lässt. Er hat das letzte Wort, wie Mubarak. Der 82-jährige Präsident macht sich uralte Denkmuster zunutze. Das hohe Alter des Präsidenten, das im Westen nur Kopfschütteln auslöst? Es ist sein Vorteil, denn Alter verlangt den Respekt des Volkes, nicht despektierliche Protestparolen.

Am Abend vor dem Ausbruch der neuerlichen Gewalt, dem brutalen Zusammenstoß von Ägyptern mit Ägyptern, hatte Mubarak sich im Fernsehen an die Nation gewandt. Dabei wandte er sich nicht an die Regimegegner. Der Patriarch sprach zur schweigenden Mehrheit, zu "seinen Kindern". Die hatten fassungslos gesehen, was in den Tagen zuvor im Herzen der Hauptstadt passiert war. Eine Opposition stellte ohne Angst Forderungen, bot dem Herrscher die Stirn - und machte Politik dabei zum Happening.

Das war unbegreiflich für viele Ägypter aller Klassen, für die die Nation über alles geht, die keinen anderen Präsidenten kennen als ihren seit 30 Jahren regierenden Staatschef. Für sie sind Mubarak und Ägypten ein und dasselbe. "Ich habe immer für das Wohl meines Landes gearbeitet", sagte der Präsident in seiner Fernsehansprache. "Erst als Offizier im Krieg, dann als Präsident in drei Jahrzehnten." Der Autokrat stellte klar, dass er bleibt: "Ich werde auf ägyptischem Boden sterben."

Das war die wichtigste Botschaft. Mubaraks scheinbar weitreichende Zugeständnisse? Sie sind Taktik. Ja, er wolle bald abtreten, kündigte er an, die Verfassung ändern, mit der Opposition sprechen. Der Herrscher wusste, dass dies den Demonstranten nicht mehr reichen würde. Sie wollen alles, den Sturz des Pharaos. Die anderen aber, die manipulierte Mehrheit, haben sehr wohl verstanden: Der Patriarch hat uns gerufen. Und so stürmten Mubaraks Massen auf den Tahrir-Platz.

Doch auch die Opposition versteht zu mobilisieren, nicht mit dem Polizei- und Parteiapparat, sondern mit einem im Nahen Osten bisher unbekannten Mut, und mit Bürgersinn. Mubarak, dieser nahöstliche Machtmensch, kämpft. Er gibt kein Pardon, und er erwartet auch keines. Es gehört zu den Spielregeln autokratischer Gesellschaften, dass der politische Gegner nicht nur besiegt, sondern vernichtet werden muss, auch physisch.

Die Demonstranten im Kessel von Kairo rufen weiter: "Wir sind das Volk." Mubarak sagt: Das sind Verräter. Die, die jetzt kommen, sind das wahre ägyptische Volk. Und sie stehen hinter mir. Der Patriarch opfert die Einheit seines Volks, im Interesse seiner eigenen Macht. Das Ende des Dramas ist offen. Ägypten wird der Leidtragende sein - oder der große, historische Gewinner.

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