Aufsichtsräte:Mehr Mitbestimmung wagen

Der Europäische Gewerkschaftsbund fordert von der EU-Kommission, die Rechte der Arbeitnehmer zu stärken.

Von Detlef Esslinger

Die Gewerkschaften in der Europäischen Union fordern die EU-Kommission auf, mehr für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu tun. Peter Scherrer, der stellvertretende Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), hat der für Arbeit und Soziales zuständigen Kommissarin Marianne Thyssen einen Brief geschrieben, in dem er der Kommission vorwirft, nur an die Firmen, nicht aber an die Arbeitnehmer zu denken. Diese plant derzeit eine Reform des Gesellschaftsrechts. Scherrer schrieb: "Die verschiedenen nationalen Vorschriften zur Verlagerung von Firmensitzen, zu Fusionen und Aufspaltungen werden nun europaweit vereinheitlicht - aber was die Vertretung der Arbeitnehmer betrifft, geschieht nichts dergleichen."

Nach Meinung der Gewerkschaften fehlt es der EU-Kommission hierzu an Engagement. Deren Vorschlag zur Reform enthalte lediglich den "vorübergehenden Fortbestand" bestehender nationaler Vorschriften. "Das ist ganz klar ungenügend." Würde die Kommission hingegen die Mitbestimmung in ganz Europa "substanziell" stärken, wäre dies nach Auffassung des EGB ein "sichtbares Zeichen, dass sich die Kommission einem sozialeren und demokratischeren Europa verpflichtet" fühle. Mehr Demokratie sei ein Gegengift zu Rechtspopulisten. Der Gewerkschaftsbund verlangt Regelungen zur Mitwirkung von Arbeitnehmern an Unternehmensentscheidungen, außerdem solle deren Repräsentanz in Aufsichtsräten gewährleistet sein. Auf die Forderungen habe die Kommission bisher nicht reagiert. Die nun angeschriebene Thyssen, die belgische Vertreterin in der Kommission, ist bei dem Thema zwar nicht federführend; die Gewerkschaften verlangen aber von ihr, dass sie ihren Einfluss ausübt.

Die Mitbestimmung ist in den 28 EU-Ländern sehr unterschiedlich geregelt. Die Hans-Böckler-Stiftung, die dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) angeschlossen ist, attestiert zwölf Ländern "weit verbreitete" Mitbestimmungsrechte, nämlich in staatlichen und in privaten Firmen. Dazu gehören Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden und Slowenien. Allerdings sind die Regeln von Land zu Land sehr verschieden. In Frankreich haben Arbeitnehmer in den Leitungsorganen großer Firmen Anspruch auf ein Zwölftel aller Sitze, in Deutschland und Slowenien sind bis zur Hälfte der Sitze möglich. In sechs Ländern sind diese Rechte begrenzt verbreitet, meistens entweder in staatlichen Firmen oder in vor Kurzem privatisierten. Dazu zählen Griechenland, Polen und Spanien. In den zehn weiteren Ländern gibt es keine oder kaum Vorschriften zur Mitbestimmung, darunter Belgien, Großbritannien, Italien und Bulgarien.

In einem Jahr wird das Europaparlament neu gewählt; bis dahin wollen die Gewerkschaften eine Kampagne für "Mehr Demokratie bei der Arbeit" organisieren. Dazu gehört ein "Appell für Europa", den bisher 420 Prominente unterschrieben haben, unter ihnen die Wissenschaftler Alfred Grosser, Thomas Piketty und Wolfgang Streeck, viele Gewerkschafter sowie die Politiker Elmar Brok (CDU), Udo Bullmann (SPD) und Gabi Zimmer (Die Linke). Die Unterzeichner fragen, wie es richtig sein könne, "dass Hunderttausende von Briefkastenfirmen entstehen konnten, wenn das Ziel dieser Scheinunternehmen darin besteht, Besteuerung und Arbeitsgesetze zu umgehen?" Künftig solle sich eine Firma nur noch in einem Land registrieren dürfen, in dem sie auch tatsächlich Geschäfte mache. In der ganzen EU brauchten die Arbeitnehmer Vertreter in den Aufsichtsräten. Und Großunternehmer müssten verpflichtet werden, ihre gesamte Lieferkette zu überwachen - "um die Verletzung von grundlegenden Menschen- und sozialen Rechten durch ihre Subunternehmer zu verhindern".

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