Aufruhr in Iran:140 Zeichen Revolution

Erst Bluetooth, jetzt Twitter: Die iranische Jugend bedient sich neuester Technologie, die kaum zu zensieren oder überwachen ist. Auch Präsident Ahmadinedschad wurde schon Opfer von Handy-Piraten.

Christiane Schlötzer und Julia A. Heyer

Was lässt sich mit höchstens 140 Zeichen schon sagen, mit so wenigen Buchstaben, auf Persisch oder auch auf Englisch? Viel, sehr viel. Zum Beispiel: unconfirmed - several generals have been arrested (nicht bestätigt - mehrere Generäle wurden verhaftet). Oder schlicht: sea of green. Das sind nur zehn Zeichen, aber darin steckt nicht weniger als die Aufforderung an Teherans Opposition, die Straßen der Stadt erneut in ein "grünes Meer" des Protests zu verwandeln - zu den Freitagsgebeten in dieser Woche. Verbreitet werden die kurzen Botschaften über das Netzwerk Twitter.

Aufruhr in Iran: Junge Iranerinnen bei Mussawi-Demo:

Junge Iranerinnen bei Mussawi-Demo:

(Foto: Foto:)

Die Mini-Meldungen, empfangbar über Handys und Internet, sind für Irans Jugend eines der wichtigsten Kommunikationsmittel geworden. So wichtig, dass die amerikanischen Betreiber des noch jungen Mediums technische Wartungsarbeiten verschoben haben - auch auf Bitten des US-Außenministeriums, wie es am Mittwoch aus Washington hieß.

Kaum zu zensieren

Jetzt ist es Twitter, zuvor war es Bluetooth, eine Technik, die es erlaubt, über Handys Musik und Filme zu teilen: Junge Iraner greifen begeistert zu Medien, die sich viel schwerer kontrollieren oder gar zensieren lassen, als Fernsehen und Zeitungen. Über ihre Handys verabreden sich Liebespaare, es werden aber auch Pornos getauscht oder die neueste westliche Musik.

Auch Mahmud Ahmadinedschad, der nun wieder Präsident sein möchte, wurde schon Opfer von Handy-Piraten. Bei einer Versammlung in halb-offiziellem Rahmen nahm ein Teilnehmer eine Ahmadinedschad-Rede mit dem Mobiltelefon auf. Der Präsident machte dabei die seltsame Bemerkung, einem 16-jährigen iranischen Mädchen sei es gelungen, allein mit Küchenutensilien Nuklearenergie zu erzeugen. Bild und Ton des Auftritts wurden über Handys weit verbreitet - was Ahmadinedschad ziemlich lächerlich erscheinen ließ.

Wahres zwitschern

"Zu erleben, wie sich eine Revolution in Realzeit entfaltet, ist an sich schon revolutionär", freut sich jetzt ein Twitterer. Aber ein anderer Mikro-Blogger, der sich "persiankiwi" nennt und seit der Präsidentenwahl am vergangen Freitag besonders aktiv ist, warnt bereits vor Falschinformationen, die über das Netzwerk verbreitet würden. To tweet heißt zu Deutsch zwitschern, und inzwischen mischen sich auch staatliche Behörden in das "Gezwitschere", weshalb im Forum Openiran gemahnt wird, "unter keinen Umständen die Twitter-Namen von Iranern zu veröffentlichen". Eine andere Warnung lautet: Vor allem der staatliche Rundfunk bemühe sich, die Proteste gegen die angebliche Wahlfälschung zu diskreditieren. Ein Nutzer fordert deshalb Computerfans auf: hack them (stör sie)!

Es ist ein elektronisches Katz-und-Maus-Spiel. Der staatliche Mobilfunkbetreiber hat gleich nach der Präsidentschaftswahl seine Handyantennen abgeschaltet, die privaten Mobilfunknetze sind inzwischen überlastet. Das Regime versucht, etwas zu kontrollieren, was nicht mehr zu kontrollieren ist. Denn das Internet funktioniert noch, wenn auch mit gedrosselter Geschwindigkeit. Über YouTube sind Bilder zu sehen von blutig geschlagenen Demonstranten, aber auch von jungen Leuten, die einen Polizisten vor einer wütenden Menge schützen, oder von eleganten jungen Frauen mit großen Sonnenbrillen und Kopftüchern, die weit in den Nacken gerutscht sind.

Echtheit prüfen

Viele dieser Bilder sind mit Handys aufgenommen. Sogar die ARD bediente sich schon aus diesem Vorrat, wobei man "stundenlang" versucht habe, die Echtheit des Materials zu prüfen, wie der Sender sagt. Schließlich zeigten die "Tagesthemen" die Stürmung eines Privathauses durch islamische Milizen. Umgekehrt geht es auch: "Fantastic BBC report", so empfiehlt Twitter einen Bericht des britischen Senders - eine Empfehlung, die sich eher an das Ausland richtet, weil es in Iran nicht mehr möglich ist, den britischen Sender zu empfangen.

Es gab ihn schon einmal, den Traum vom Bürgermedium: vor drei Jahrzehnten, als vor allem im Westen junge Menschen Videokameras für sich entdecken und von "Offenen Kanälen" schwärmten. Aber erst die neuen Technologien haben solche Träume wahr gemacht. Sie sind billig und kommen ohne Hierarchien aus, und in Diktaturen gewinnen die Robin-Hood-Medien ihre große Bedeutung. Und bei deren Nutzung ist Iran Spitzenreiter in der muslimischen Welt. Es soll rund 100.000 Internet-Blogs geben. Und selbst Mullahs führen Netz-Tagebücher. Nicht alle sind allerdings Bürgerrechtler, wie Mohammad Ali Abtahi, der jetzt verhaftet wurde. Am Mittwoch konnte man auf Abtahis Internetseite web-neveshteha.com lesen, er werde nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis "weiterschreiben".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: