Aufruhr in Iran:Opposition beklagt 646 Unregelmäßigkeiten

Dem Wächterrat in Iran liegt eine Beschwerde über zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl vor. Unterdessen soll Ex-Außenminister Jasdi in einer Klinik festgenommen worden sein.

Die drei unterlegenen Präsidentschaftskandidaten in Iran haben beim Wächterrat eine Beschwerde gegen insgesamt 646 Unregelmäßigkeiten bei dem Urnengang eingelegt. Das sagte der Sprecher des Gremiums, Abbas Ali Kadchodai, am Donnerstag im iranischen Fernsehen. Der für die Organisation der Wahl zuständige Wächterrat hatte sich angesichts der Proteste gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad bereit erklärt, einen Teil der Stimmen neu auszuzählen.

Mussawi-Anhänger, Getty

Mussawi-Anhänger wollen am Donnerstag öffentlich um die Toten der vergangenen Tage trauern.

(Foto: Foto: Getty)

Der zweitplatzierte Mir Hussein Mussawi hatte zuvor die Annullierung der Abstimmung beantragt. Der mächtige iranische Expertenrat äußerte sich bislang nicht zum Ausgang des Urnengangs, sondern begrüßte lediglich die hohe Wahlbeteiligung. In einer Erklärung lobte das Gremium aus 86 Geistlichen die "begeisterte" Teilnahme von 85 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung. Für Samstag hat der Wächterrat nun ein Treffen mit den drei unterlegenen Kandidaten der Präsidentenwahl angesetzt.

"UN - Wo seid ihr?"

Mit dem früheren Außenminister Ebrahim Jasdi soll unterdessen ein weiteres Mitglied der Oppositionsbewegung festgenommen worden sein. Wie ein Anhänger von Jasdis Organisation "Freiheitsbewegung" berichtete, führten Sicherheitsleute den Oppositionspolitiker am Vortag bei einer Untersuchung im Krankenhaus ab. Er ist einer von Dutzenden Reformkräften und etlichen Demonstranten, die seit der umstrittenen Wahl am vergangenen Freitag verhaftet worden sind.

Die Behörden nahmen zu dem Bericht nicht Stellung. Jasdi war der erste Außenminister nach der Islamischen Revolution 1979. Er wurde später aber von religiösen Hardlinern an die Seite gedrängt. Heute ist er Anführer der verbotenen "Freiheitsbewegung" und gilt als eine wichtige Stimme der Opposition. Einfluss auf die staatliche Politik fehlt ihm jedoch.

Am sechsten Tag der Massenproteste in Iran sind Demonstranten auch vor das Gebäude der Vereinten Nationen in Teheran gezogen. Sympathisanten von Mussawi hielten Transparente mit der Aufschrift "UN - Wo seid ihr?" in die Höhe, berichteten Augenzeugen.

Die meisten der Demonstranten trugen die Trauerfarbe schwarz. Mussawi hatte seine Anhänger aufgerufen, der Trauer für die bei den Protesten der vergangenen Tage getöteten Demonstranten Ausdruck zu verleihen. Mit dieser Strategie wollte er offenbar eine Provokation der Staatsmacht vermeiden. Mussawi plant bei der Trauerkundgebung zum zweiten Mal nach der Wahl öffentlich aufzutreten. Am Nachmittag wurden erneut Zehntausende auf den Straßen Teherans erwartet.

Auch am Mittwoch waren wieder mehrere zehntausend Demonstranten teils in Grün - der Farbe der Opposition - teils in Schwarz gekleidet auf die Straßen Teherans gegangen. Mindestens fünf Menschen sind seit Samstag in der Hauptstadt ums Leben gekommen. Es wird vermutet, dass es weitere Opfer auf Seiten der Demonstranten wie auch bei Sicherheitskräften gegeben hat. Verlässliche Angaben sind jedoch wegen des Berichterstattungsverbotes für ausländische Medienvertreter von den Demonstrationen schwierig.

Mit Spannung wird der Auftritt von Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei erwartet, der an diesem Freitag - dem islamischen Feiertag - die Gebete in Teheran anführen wird. Es wird vermutet, dass er sich dabei zur Situation nach der Wahl äußert. Chamenei hat umfassende Machtbefugnisse und das letzte Wort bei allen politischen Entscheidungen im Gottesstaat Iran.

Für Samstag hat auch eine Gruppe von islamischen Klerikern in Teheran um Erlaubnis für eine Demonstration nachgefragt. Mussawi und der reformorientierte Ex-Präsident Mohammed Chatami hatten angekündigt, an dieser Kundgebung teilnehmen zu wollen.

Der iranische Botschafter in Deutschland, Ali Reza Sheikh Attar, legte in einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur Wert auf die Feststellung, alle Demonstrationen bewegten sich - anders als etwa beim Sturz des Schah-Regimes 1979 - innerhalb der Gesetzgebung der Islamischen Republik.

Mussawi hatte am Vortag dazu aufgefordert, die während der Demonstrationen festgenommenen Aktivisten - darunter zahlreiche Journalisten, Anwälte, Studenten und Dissidenten - umgehend freizulassen. Nach Medienberichten sollen rund 100 Menschen wegen der Proteste, die sich auch auf andere Städte neben Teheran ausgebreitet hatten, in Haft sein.

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