Aufruhr in Ägypten:Der schweigende Präsident

Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak spekuliert darauf, dass sich die Lage im Land beruhigt. Doch die Opposition heizt den Protest an. Alles wartet jetzt auf Freitag: Stellt sich die islamistische Muslimbruderschaft hinter die Demonstranten?

Tomas Avenarius

Habib El Adly zeigt Schwäche. Ägyptens Innenminister, berüchtigt für seine harte Hand, bekommt die Unruhen im Land nicht unter Kontrolle. Auch wenn es in der Hauptstadt Kairo bisher nur ein paar tausend Demonstranten sind: Mit ihren Versammlungen vor den Gebäuden der Journalistengewerkschaft und der Anwälte-Union haben sie es geschafft, der Polizei einen zweiten und dritten Tag lang zu trotzen. Am Mittwoch waren im Zentrum erstmals auch Jugendliche aus einem Armenviertel aufgetaucht. Nur wenige riefen politische Parolen. Die meisten warfen Steine und zündeten Autoreifen an. Am Donnerstag gingen die Proteste gegen den seit fast 30 Jahren herrschenden Staatschef Hosni Mubarak dann weiter: in Kairo, in Suez, in Alexandria.

Aufruhr in Ägypten: Demonstranten in Kairo reißen ein Plakat von Staatschef Mubarak von der Wand. Der Präsident versucht die Proteste auszusitzen.

Demonstranten in Kairo reißen ein Plakat von Staatschef Mubarak von der Wand. Der Präsident versucht die Proteste auszusitzen.

(Foto: AFP)

Sollten sich die politischen Demonstranten mit der Masse der Verarmten vereinigen, wird es für die Sicherheitskräfte schwierig, die Lage noch zu beherrschen. In Suez steckten erzürnte Menschen bereits ein Verwaltungsgebäude, ein Büro der Mubarak-Partei NDP und eine Polizeistation in Brand; die Behörden wollten die Leiche eines bei einer Demonstration von der Polizei getöteten Mannes nicht herausgeben. Und die Opposition forderte über Facebook für den Freitag erneut zu landesweiten Demonstrationen gegen das Regime auf. Die Jugendbewegung "6. April" kündigte an, auch der Freitag werde "kein Urlaubstag" werden. "Die Aktion auf den Straßen wird weitergehen."

Alles wartet nun auf den Freitag. Am islamischen Feiertag versammeln sich die Männer zum Gebet in den Moscheen Kairos, das immerhin 18 Millionen Einwohner hat. Sollte die islamistische Muslimbruderschaft ihre Zurückhaltung aufgeben und sich offen hinter die Demonstranten stellen, könnte die Zahl der Protestierenden stark ansteigen. Bisher halten sich die vom Regime hart verfolgten Muslimbrüder zurück: "Wir treiben diese Bewegung nicht voran", sagte einer ihrer Führer. "Aber wir folgen ihr." Mohamed Mursi weiter: "Wir wollen nicht an der Spitze stehen. Aber wir wollen teilnehmen."

Am Donnerstagabend traf Oppositionsführer Mohamed ElBaradei in Kairo ein. Er wolle "wegen der Demonstrationen zurückkehren", erklärte seine Familie. Der Auslands-Oppositionelle selbst meldete sich über eine Kurznachricht auf Twitter: Die Demonstranten würden ihr "Recht ausüben, friedlich zu demonstrieren, um unsere Freiheit und Würde zu sichern". ElBaradei forderte Mubaraks Rücktritt: Es sei an der Zeit, dass der Präsident gehe.

ElBaradei, der Ex-Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, hatte im Februar 2010 eine lockere Allianz verschiedener Oppositionsgruppen geschmiedet und auch die verbotenen Muslimbrüder einbezogen. Sein "Bündnis für den Wandel" gehört zu den Organisatoren der Proteste. Er selbst hat die Hoffnungen der Ägypter bisher enttäuscht. Der Friedensnobelpreisträger blieb nicht in seinem Heimatland, gab Interviews von Europa und den USA aus. Zur Kandidatur für die im September anstehende Präsidentschaftswahl ist er bisher nicht bereit: Er stehe nur bei fairen Wahlen zur Verfügung. Sollte der international bekannte ElBaradei nun auftauchen, könnte er zumindest vorübergehend zur Führungsfigur der Anti-Mubarak-Bewegung werden. Eine solche fehlt der führerlosen Opposition noch.

Auch wirtschaftlich entfalten die Unruhen Wirkung. Die Börse fiel am Mittwoch um sechs Prozent. Am Donnerstag sanken die Kurse erneut, der Handel wurde ausgesetzt. Das Pfund, die Landeswährung, fiel so tief wie seit sechs Jahren nicht mehr. Investoren, verwöhnt vom sechsprozentigen Wirtschaftswachstum, fürchten um ihr Geld. Ein Kairoer Börsenhändler sagte: "Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Investitionen rasch wieder anziehen." Tourismusunternehmen sagten Ausflüge nach Kairo ab. Das schmerzt, denn der Tourismus ist mit 12,5 Millionen Besuchern jährlich eine der wichtigsten Geldquellen Ägyptens, und der Jahresanfang ist Hauptsaison.

Der 82-jährige Mubarak schweigt bisher zu alledem. Sein Premierminister Ahmed Nasif hat nach Beginn der Unruhen zwar mehr Meinungsfreiheit versprochen. Einziges Zugeständnis war aber, dass das Parlament über Armutsbekämpfung und eine Anhebung des staatlichen Mindestlohnes debattiert. Gerüchte über eine Regierungsumbildung machen die Runde. Doch die Menschen auf der Straße fordern mehr: "Nieder mit Mubarak." Das mindeste, was sie erwarten, ist, dass der Präsident nach fünf Amtszeiten bei den September-Wahlen nicht mehr antritt und auch nicht seinen Sohn Gamal ins Rennen schickt.

Sollte sich die Lage nicht beruhigen, bleibt Mubarak nur die Armee. Die 300.000 Mann starke Truppe steht angeblich loyal hinter dem Ex-Luftwaffenoffizier. Der Präsident verwöhnt seine Offiziere mit US-Waffen und nationalem Prestige. Die Armeechefs sind Teil des Mubarak-Regimes; hohe Offiziere sollen an Industrieunternehmen beteiligt sein und finanziell profitieren. 1977, unter Mubaraks Vorgänger Anwar el-Sadat, hatten die Streitkräfte ihre Loyalität bewiesen und die sogenannten Brotunruhen niedergeschlagen. Die Frage ist, ob sie so treu zu Mubarak stehen würden, wenn dieser erst einmal wanken sollte.

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