Aufruf zum Systemwandel:Das Buch für Barack Obama

"Was zu tun ist": US-Kolumnist Thomas L. Friedman ruft in seinem neuen Werk die grüne Revolution aus. Nur Amerika könne die Welt retten - und einer müsse das in die Hand nehmen.

Michael Bauchmüller

Es braucht schon Mut und einige Selbstüberzeugung, ein Buch so zu nennen: "Was zu tun ist", heißt das neue Werk von Thomas L. Friedman, "eine Agenda für das 21. Jahrhundert".

Aufruf zum Systemwandel: Der künftige US-Präsident Barack Obama will ein "neues Kapitel" für Amerikas Rolle im Klimaschutz aufschlagen - nun kann er bei Friedman nachlesen, was nach dessen Ansicht zu tun ist.

Der künftige US-Präsident Barack Obama will ein "neues Kapitel" für Amerikas Rolle im Klimaschutz aufschlagen - nun kann er bei Friedman nachlesen, was nach dessen Ansicht zu tun ist.

(Foto: Foto: dpa)

Staaten verzetteln sich im Kampf gegen globale Probleme, Partikularinteressen verhindern jede noch so kleine strukturelle Änderung, und lässt man alle übrigen Sorgen mal weg - den Zusammenbruch der Weltwirtschaft, eine zunehmend unübersichtliche Sicherheitsarchitektur, kulturelle Gräben -, dann läuft der Welt auch so schon die Zeit davon.

Am Ende möglicherweise stellt sich nur noch die Frage, wo eigentlich das größere Problem liegt: Sind es steigende Meeresspiegel? Sich ausbreitende Wüsten? Ist es Überfischung? Entwaldung? Und: Wer fühlt sich in einer Welt grenzenlosen Wettbewerbs für die Lösung solcher Probleme überhaupt noch verantwortlich?

Thomas L. Friedman, New York Times-Kolumnist, Bestseller-Autor, dreifacher Pulitzer-Preisträger und durchaus streitbarer Multiplikator liberaler Ideen, hat sie dennoch gewagt, die Agenda für das 21. Jahrhundert. Es ist ein bemerkenswertes Buch geworden, eine Art Plädoyer für die grüne Weltrevolution. Und für Friedman ist es gewissermaßen die Entdeckung der zweiten und dritten Dimension.

Schon einmal, 2006, hatte er mit einem Buch Aufsehen erregt. "Die Welt ist flach" hieß es, es war eine Analyse der Ökonomie 2.0: Weil potentiell jeder, der über Computer und Telefonanschluss verfügt, sich in die Weltwirtschaft einwählen kann, verwischen zunehmend die Unterschiede der Herkunft und Kultur, die Unterschiede der Ausgangslage. Also gibt es, so hatte Friedman damals dargelegt, mehr Chancen auf Teilhabe am big business.

Wo aber jeder mit jedem und jederzeit in Wettbewerb treten kann, wachsen nicht nur die Chancen, es geht auch brutaler zu. Es entbrennt ein globaler Wettlauf um Wohlstand, bei dem viele gewinnen werden, einige aber auf der Strecke bleiben. In "Was zu tun ist" fügt Friedman noch zwei Dimensionen hinzu: die wachsende Weltbevölkerung und den Klimawandel. Damit ist das Katastrophengemälde perfekt.

Die Krise des mutigen Unternehmers

Mit der Zahl der Menschen wachsen die Bedürfnisse, mit zunehmender Teilhabe an der globalen Ökonomie die Möglichkeiten, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Weil ein aufstrebender Mittelstand in Ländern wie China, Brasilien, Indien, Russland einen westlichen Lebensstil kopiert, wird knapp, was lebenswichtig ist, und reichlich, was Probleme schafft.

"All diese Konsumenten betraten das globale Spielfeld mit ihren eigenen Versionen des 'amerikanischen Traums'", schreibt Friedman. Sie verlangten nach Autos, Häusern, wollten eine Klimaanlage, einen iPod, einen Computer, "und schufen damit eine gewaltige Nachfrage nach 'Dingen', die von der Produktion bis hin zur Nutzung riesige Mengen an Energie, Rohstoffen, Land und Wasser verschlingen und Unmengen klimaschädlicher Treibhausgase ausstoßen".

Die ökologische Krise, sie ist für Friedman auch eine ökonomische. Sie ist eine Krise des mutigen, schumpeterschen Unternehmers. Anstatt ihre Erzeugnisse kritisch auf ihre Zukunftstauglichkeit hin zu untersuchen, verharren Manager in Friedmans Augen viel zu oft in Geschäftsmodellen des 20. Jahrhunderts.

Und sie ist eine Krise der Wirtschaftspolitik, die unter dem Einfluss alter Industrielobbys Bewährtes stärkt, anstatt Veränderungen anzustoßen; ungeachtet aller Warnzeichen aus Natur und Umwelt. Die Weltwirtschaft, sie wird zum "Monstertruck, dessen Gaspedal klemmt und dessen Schlüssel wir verloren haben".

Friedman wählt gern drastische Bilder, und er erzählt mit vielen kleinen Beispielen. Er ruft amerikanische Farmer als Zeugen für den Klimawandel auf, lässt prosperierende chinesische Städte im Smog versinken, er berichtet aus Peru, wo Goldgräber die Heimat seltener Papageien bedrohen. Aber der Monstertruck fährt ungebremst weiter.

Neues Kapital im Klimaschutz

Nur: Wer stellt sich ihm in den Weg, wer hält ihn auf? Friedman ist überzeugt: Das ist der Job einer Weltmacht mit ökonomischem Gewicht, eine Aufgabe für die Vereinigten Staaten. "Wenn Amerika die Führungsrolle im Bereich der sauberen Energie und des Naturschutzes übernähme, könnte es die ganze Welt in diese Richtung drängen" - und umgekehrt: Ohne Amerika wird die globale Vollbremsung, die grüne Revolution nicht zustandekommen.

Kein einziges Mal erwähnt Friedman den Namen Barack Obama, und dennoch liest sich das Buch wie die Anleitung zur politisch-ökologischen Wende im Weißen Haus. Und tatsächlich spricht ja einiges dafür, dass die USA zu einer Führungsrolle im internationalen Klimaschutz zurückfinden.

Ein "neues Kapitel" für Amerikas Rolle im Klimaschutz hatte Obama Ende November in einer Videobotschaft angekündigt, nach Jahren der Stagnation. Und Millionen neuer, sauberer Jobs hatte er gleich mitversprochen. Wenn er wirklich will, kann er nächste Woche loslegen.

Was Friedman sich von einem Präsidenten wünscht, lesen Sie auf Seite zwei.

Das Buch für Barack Obama

"Was zu tun ist", kann er bei Friedman nachschlagen. Aber Vorsicht: Mit ein paar neuen Gesetzen oder Subventionen wird es nicht getan sein. "Wenn das erste Gesetz der Systeme lautet, dass alles mit allem verbunden ist, so lautet das zweite: Man kann einzelne Teile eines Systems nur bis zu einem bestimmten Punkt optimieren", schreibt Friedman.

Von da an geht es ums Ganze. "Wenn man aber ein neues System errichtet, und zwar richtig, beginnt alles besser zu werden." Grüne Politik jenseits bisheriger Strukturen, das ist, was Friedman den code green nennt, die grüne Revolution.

Beispiel Stromversorgung: Wenn saubere Energie aus Wind und Sonne eine immer größere Rolle spielen soll, wie will man sie speichern? Was geschieht mit Windstrom in der Nacht, wenn die Lichter aus sind? Wie stopft man die Solarstrom-Lücken, wenn tagsüber keine Sonne scheint?

"Mutter Natur und Vater Profit"

Friedmans Antwort ist dreifach: Mit Intelligenz, Technologie und Vernetzung. Ein intelligentes Stromnetz etwa könnte viele Geräte so steuern, dass sie immer nur dann laufen, wenn der Strom gerade reichlich vorhanden ist. Ein riesiges Netz batteriebetriebener Elektroautos könnte als Puffer über Nacht Strom aufnehmen und ihn tagsüber wieder abgeben.

Das klingt utopisch, ist es aber längst nicht mehr. Debatten darüber gibt es auch in Europa. Und Friedman erzählt anhand konkreter Beispiele, wie weit die Forscher und Unternehmen schon sind - und wie sie immer wieder an Grenzen stoßen, weil die Gesetze nicht für neue, sondern für alte Strukturen gemacht sind.

Friedman ist Liberaler. Die Protagonisten seiner Revolution sind nicht allwissende Herrscher. Es sind auch nicht klimabeflissene Gutmenschen, die allein auf dem Wege des massenhaften Verzichts die Welt glauben retten zu können - sondern Unternehmer und Innovatoren, am besten in den USA.

Auch zieht der Autor, man mag es mögen oder nicht, keine Sekunde lang eine auf Wachstum fixierte Wirtschaft in Zweifel, im Gegenteil. "Es gibt nur eines, das größer ist als Mutter Natur, und das ist Vater Profit", schreibt Friedman. "Aber wir haben noch nicht begonnen, ihn in diesem Kampf einzusetzen."

Nur hat kaum eine Regierung bisher einen entsprechenden Rahmen gesetzt, am ehesten wohl die Europäer. Das ärgert Friedman, es beleidigt in seinen Augen die intellektuellen Fähigkeiten, die kreative Kraft Amerikas. "Wenn wir die für eine echte grüne Revolution nötige Entschlossenheit und Autorität aufbringen wollen, brauchen wir einen Präsidenten, der keine Angst hat, wirklich Führung zu übernehmen" - und der den Mut hat, Systeme fundamental umzubauen.

Energieversorgung und Artenvielfalt

"Was zu tun ist" ist ein Buch für Obama höchstpersönlich, ein Buch aus den USA für die USA. Es hat nicht den Hauch eines wissenschaftlichen Anspruches, und es ist auch nicht vollständig.

Weder denkt es den Gedanken vernetzter Systeme über die USA hinaus, noch behandelt es große Themen wie Wasserknappheit, demographischen Wandel oder die Konkurrenz zwischen intensiver Landwirtschaft und wachsenden Ernährungsproblemen.

So gesehen macht Friedman es sich einfach, denn er reduziert die Probleme seiner "heißen, flachen und übervölkerten Welt" auf Krisen der Energieversorgung und der Artenvielfalt. Trotzdem ist diese Agenda ein lesenswertes Buch, denn Friedmans Beispiele stehen für mehr, stehen für die Grenzen des Wachstums - nach bisherigem Muster.

Thomas L. Friedman macht die Grenzen, aber auch neue Wege fühlbar; Betroffene finden sich plötzlich in einem Boot mit leibhaftigen Unternehmern, die in der Lösung globaler Probleme ein echtes Geschäft sehen. Die Lage, ja, sie ist schlecht. Aber sie lässt sich meistern, mit Verstand, genügend Geld, festem Willen, den richtigen Regeln.

Dies ist ein Appell an Amerikas Schaffenskraft und an seine Wandlungsfähigkeit. In einem Land, in dem erst der Prediger Al Gore auftreten musste, um das Massenphänomen Klimawandel überhaupt massentauglich zu machen, ist es das richtige Buch zur richtigen Zeit.

THOMAS L. FRIEDMAN: Was zu tun ist. Eine Agenda für das 21. Jahrhundert. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 543 Seiten, 24,80 Euro.

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