Aufklärungspanne in Sachsen-Anhalt:Verfassungsschutz-Chef tritt wegen MAD-Affäre zurück

Ein weiterer Geheimdienst-Chef stolpert über die Pannen bei der Aufklärung der NSU-Morde: Volker Limburg, oberster Verfassungsschützer von Sachsen-Anhalt, tritt zurück. In den Archiven seiner Behörde wurde eine Kopie der MAD-Akte zum Terroristen Uwe Mundlos gefunden, die zuvor übersehen worden war. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss beklagt weitere Pannen.

Der Chef des Landesverfassungsschutzes von Sachsen-Anhalt, Volker Limburg, tritt zurück. Das teilte das Innenministerium am Donnerstag mit. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sei einer entsprechenden Bitte Limburgs nachgekommen. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) habe zugestimmt, ihn in den Ruhestand zu versetzen.

Zugleich kündigte Stahlknecht eine Neuaufstellung beim Verfassungsschutz an. Dem personellen Neuanfang würden auch inhaltliche Veränderungen folgen, hieß es weiter. Limburg zieht damit offenbar die Konsequenz aus einer weiteren Aufklärungspanne in Zusammenhang mit den NSU-Morden.

Am Vortag hatte Stahlknecht mitgeteilt, dass die Sicherheitsbehörden Sachsen-Anhalts nun doch eine Kopie der Akte des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zur Vernehmung des NSU-Terroristen Uwe Mundlos in ihren Archiven entdeckt hätten. Das Dokument sei zunächst nicht gefunden worden, da es in der Rubrik "Texte und Tonträger von Skinhead-Gruppierungen" abgelegt war, erklärte Innenminister Holger Stahlknecht am Mittwoch in Magdeburg.

Am Dienstag war im NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin bekanntgeworden, dass der MAD versucht haben soll, den späteren NSU-Terroristen Mundlos 1995 als Informanten zu werben. Auch das Verteidigungsministerium und Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) wussten seit Monaten von der Existenz der Mundlos-Akte.

Protokolle der Befragung wurden an die Verfassungsschutzämter in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie an das Bundesamt für Verfassungsschutz versandt. Der MAD selbst löschte seine Akten noch in den neunziger Jahren. Anfang August dieses Jahres fragte der Militärgeheimdienst bei den Verfassungsschutzämtern an, ob noch Kopien von dem Vernehmungsprotokoll vorhanden seien. Dies wurde von Sachsen-Anhalt verneint.

Weitere Panne bei Aufklärung der NSU-Morde

Nur zwei Tage nach Bekanntwerden der MAD-Aktenpanne beklagt der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags nun eine weitere mögliche Verfehlung bei der Aufklärung der NSU-Morde. Erst jetzt habe der Ausschuss erfahren, dass im Land Berlin bereits 2002 ein Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort der untergetauchten rechtsextremen Terrorzelle vorgelegen habe, sagte der Unions-Obmann, Clemens Binninger (CDU), am Rande einer Ausschusssitzung in Berlin. Das Land habe diese Information aber nicht an die parlamentarischen Aufklärer weitergeleitet. Details zu dem Hinweis und seiner Quelle nannte Binninger nicht.

Auch der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland warf den Landesbehörden der Hauptstadt vor, dem Ausschuss bislang keinerlei Unterlagen übermittelt zu haben. "Wir haben von Berlin bislang nix bekommen", sagte der Abgeordnete. Der Vorgang müsse dringend aufgeklärt werden. Entweder habe die Berliner Innenverwaltung nichts von dem Hinweis gewusst oder aber ihn bewusst verschwiegen. "Es ist ein weiterer Schock", sagte Wieland. Die Ausschussmitglieder seien inzwischen gewöhnt, einen Schlag in die Magengrube zu bekommen.

Edathy fordert weitere Aufklärung von Bundesregierung

Die Linke-Obfrau Petra Pau sagte, sie sei nicht länger bereit, hinzunehmen, dass Akten erst dann übermittelt würden, wenn der Ausschuss sie identifiziert habe. Pau appellierte an die Bundesregierung und die Landesregierungen, ihre Aktenbestände noch einmal zu durchforsten.

Auch der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy von der SPD forderte weitere Aufklärung von der Bundesregierung zur MAD-Akte Mundlos. "Das Thema ist für uns noch nicht erledigt." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe zugesagt, dass die Regierung den Untersuchungsausschuss uneingeschränkt in seiner Arbeit unterstütze. Darauf verlasse sich das Gremium.

Im Oktober will sich der Ausschuss in einer Sondersitzung mit den Ungereimtheiten rund um die Geheimdienstakte beschäftigen. Die Abgeordneten wollen dazu Vertreter des MAD und des Verteidigungsministeriums befragen.

Auch de Mazière muss möglicherweise vor Untersuchungsausschuss

Die SPD-Obfrau Eva Högl sagte, sie erwarte schon vor dieser Sitzung eine Klarstellung von de Maizière. Eine Befragung des CDU-Politikers ist vorerst zwar nicht geplant. Högl betonte aber: "Natürlich behalten wir uns vor, auch den Minister im Untersuchungsausschuss zu hören."

Der CDU-Politiker Binninger rief zur Fairness auf. Der Ausschuss habe bereits im April einen Vermerk zu der MAD-Akte erhalten - "allerdings in einem Aktenberg und ohne gesonderte Kennzeichnung". Deshalb hätten ihn die Abgeordneten nicht entdeckt. Ein Hinweis aus dem Verteidigungsministerium wäre hilfreich gewesen. Die Panne werde hoffentlich allen eine Lehre sein, mahnte er. "Wir sollten den Vorfall aber nicht weiter skandalisieren."

Der Untersuchungsausschuss des Bundestags befasst sich seit Januar mit der Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle NSU. Mindestens zehn Morde sollen auf das Konto des "Nationalsozialistischen Untergrunds" gehen.

Am Donnerstag stand in dem Gremium der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn im Mittelpunkt. Bis heute seien die Beweggründe der Täter unbekannt, sagte der Leiter der zuständigen Sonderkommission, Axel Mögelin, vor dem Untersuchungsausschuss. Falls es keine neuen Hinweise gebe, werde die Frage wohl unbeantwortet bleiben.

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