Wulff droht Aufhebung der Immunität:Staatsanwälte wollen gegen Wulff ermitteln

Es ist ein historisch einmaliger Vorgang: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat die Aufhebung der Immunität von Bundespräsident Christian Wulff beantragt. Nach umfassender Prüfung neuer Unterlagen soll es nun einen Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung geben. Jetzt muss der Bundestag entscheiden, ob gegen Wulff strafrechtlich ermittelt werden darf.

Nico Fried und Jens Schneider

Die Staatsanwaltschaft in Hannover hat am Donnerstag die Aufhebung der Immunität von Bundespräsident Christian Wulff beantragt. Die Behörde teilte am Abend mit, dass es nunmehr einen Anfangsverdacht wegen Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung gegen den Bundespräsidenten gebe. Die SPD forderte Wulff zum Rücktritt auf.

Es ist in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig, dass der Bundestag die Aufhebung der Immunität des Staatsoberhaupts beschließen soll. Aus Kreisen der schwarz-gelben Koalition hieß es am Donnerstag, man werde zunächst keine Stellungnahme abgeben.

Es sei nun an Wulff, sich zu äußern und zu dem drohenden Ermittlungsverfahren zu erklären. Offenbar soll nicht der Eindruck entstehen, dass Wulff aus der Koalition nun zum Rücktritt gedrängt werde. Gleichwohl hatte es bereits in den vergangenen Tagen unter Vertretern der Koalition geheißen, dass Wulff im Falle eines Ermittlungsverfahrens kaum im Amt bleiben könne. Sollte er dies dennoch versuchen, werde vermutlich auch aus den Reihen der Koalition sein Rücktritt gefordert.

Die SPD-Spitze verlangte erstmals offen den Rücktritt des Bundespräsidenten. Generalsekretärin Andrea Nahles sagte: "Die Vorwürfe gegen Christian Wulff wiegen schwer. In meinen Augen ist eine staatsanwaltliche Ermittlung mit dem Amt des Bundespräsidenten unvereinbar." Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wir werden übernächste Woche dem Antrag der Staatsanwaltschaft zustimmen". Er erwarte, dass eine ganz große Mehrheit aller Abgeordneten dem Begehren der Justiz nachkomme, auch die Unionsfraktion und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Fraktionschefs der Grünen, Renate Künast und Jürgen Trittin, forderten, Wulff müsse "in dieser Situation die Ausübung seines Amtes ruhen lassen". Dies gelte auch für die für nächste Woche vorgesehene Trauerfeier für die Opfer einer rechtsradikalen Mordserie. Künast und Trittin machten deutlich, dass die Grünen einem Ermittlungsverfahren nicht im Wege stünden. "Wir werden dazu beitragen, zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben."

Wulff steht vor allem wegen seiner Beziehungen zu reichen Unternehmern in der Kritik. Bis Donnerstag hatten die Ermittler angesichts der seit Dezember bekannten Vorwürfe zu Urlaubsreisen und einem Kredit keinen Anfangsverdacht gegen Wulff gesehen.

"Nur mit Genehmigung des Bundestages"

Zu der neuen Lage führte nach Darstellung der Staatsanwaltschaft "eine umfassende Prüfung neuer Unterlagen". Auch die Auswertung von Medienberichten begründe den Anfangsverdacht, hieß es in der Erklärung. Hintergrund der Entscheidung sind offenbar Berichte und Erkenntnisse über die Kontakte des Präsidenten zum Film-Manager David Groenewold. Auch gegen Groenewold soll offenbar ermittelt werden. Wulff hatte mit diesem unter anderem auf Sylt Urlaub gemacht. Das Land Niedersachsen hatte für dessen Firma eine Bürgschaft bereitgestellt.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sei "unabhängig nach intensiver kollegialer Beratung getroffen worden", versicherte die Behörde. Es habe keine Weisungen von vorgesetzten Behörden gegeben. Sie wies ausdrücklich darauf hin, dass "selbstverständlich auch nach Bejahung des Anfangsverdachts die Unschuldsvermutung gilt".

Die Immunität des Bundespräsidenten ist - verklausuliert - im Grundgesetz in Artikel 60, Absatz 4, geregelt. Dort heißt es: "Die Absätze 2 bis 4 des Artikels 46 finden auf den Bundespräsidenten entsprechende Anwendung." Artikel 46, Absatz 2 schreibt vor: "Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: