Aufarbeitung der NS-Vergangenheit:Braunes Erbe vor Gericht

Die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen begann mit den Nürnberger Prozessen bereits vor der Gründung der Bundesrepublik. Ein Nazi-Beamter machte unter Adenauer Karriere - und sorgte für hitzige Diskussionen.

Bernd Oswald

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Die Bundesrepublik Deutschland wird zwar erst am 23. Mai 1949 gegründet, die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen, die bereits vor der Staatsgründung begann, ist jedoch ein wichtiges Kapitel in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Wenige Monate nach Kriegsende wird die erste Reihe des NS-Regimes vor Gericht gestellt. In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen von November 1945 bis Oktober 1946 müssen sich bekannte Persönlichkeiten verantworten - unter anderen der ehemalige Reichsmarschall Hermann Göring, Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, Außenminister Joachim von Ribbentrop, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der Herausgeber des antisemitischen Hetzblatts Der Stürmer Julius Streicher, Großadmiral und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz, Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Rüstungsminister Albert Speer und Generaloberst Alfred Jodl.

Alle werden in vier Punkten angeklagt: "Verschwörung gegen den Frieden", "Verbrechen gegen den Frieden", "Kriegsverbrechen", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Hermann Göring, stehend, plädiert am 21. November 1945 auf "nicht schuldig". Rechts neben ihm: Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel. Foto: AP

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Die deutsche Bevölkerung steht den Nürnberger Prozessen zwiegespalten gegenüber. Neben Befürwortern gibt es auch Stimmen, die von "Sieger-Justiz" sprachen.

Der Schriftsteller Alfred Döblin ("Berlin Alexanderplatz") verfasst 1946 unter Pseudonym eine Aufklärungsschrift mit dem Titel "Der Nürnberger Lehrprozess". Darin schreibt er, der Nürnberger Prozess müsse als Zukunftshoffnung begriffen werden. Es gehe bei der Wiederaufrichtung des Rechts in Nürnberg um die Wiederherstellung der Menschheit: "Man baute einen juristischen Wolkenkratzer, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Das Fundament aber, auf dem er errichtet wurde, der Beton, war der solideste Stoff, der sich auf Erden finden ließ: Moral und die Vernunft."

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Nach elfmonatigem Prozess werden die meisten Angeklagten zum Tod durch den Strang verurteilt. Rudolf Heß, Hitlers früherer Stellvertreter, erhält jedoch eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Heß beim Essen im Nürnberger Gefängnis. Um einen Selbstmord der Angeklagten zu verhindern, wurden die Speisen nur mit Löffel serviert.

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Seine Haft verbüßt Heß im Kriegsverbrechergefängnis Spandau in Berlin (im Bild). Nachdem 1966 die zu 20 Jahren Haft verurteilten Baldur von Schirach und Albert Speer entlassen werden, bleibt Heß als einziger Häftling übrig. Am 17. August 1987 erhängt er sich 93-jährig mit einem Verlängerungskabel in seiner Zelle.

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Nach den Kriegsverbrecherprozessen folgen zwölf sogenannte Nachfolge-Prozesse, in denen Größen aus verschiedenen Bereichen des nationalsozialistischen Deutschlands vor Gericht gestellt werden.

Im Flick-Prozess wird Friedrich Flick (links mit Kopfhörer), einer der prominentesten Industriellen in Nazi-Deutschland, am 22. Dezember 1947 wegen Sklavenarbeit, Verschleppung zur Sklavenarbeit, Ausplünderung der besetzten Gebiete und Teilnahme an Verbrechen der SS zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Die Angeklagten Friedrich Flick, Otto Steinbrinck, Konrad Kaletsch, Bernhard Weiß und Hermann Terberger (v.l.) folgen ihrem Prozess.

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Auch der Großindustrielle Fritz Thyssen (links) kommt im Zuge der Entnazifizierungsverfahren vor Gericht, Thyssen hatte seit 1923 die NSDAP mit etwa einer Million Reichsmark unterstützt. Eine Spruchkammer stuft ihn 1948 als minderbelastet ein, dennoch werden 15 Prozent seines deutschen Vermögens eingezogen.

In einer Spruchkammerverhandlung in Königstein/Taunus sagt am 30. August 1948 der ehemalige preußische Innenminister Carl Severing (rechts) gegen Thyssen aus.

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Im Ärzteprozess ging es um Euthanasie und Menschenversuche. Hier erklärt ein Arzt dem Gericht die Natur der Wunden der polnischen Zeugin Jadwiga Dzido. Sie wurde als Mitglied der polnischen Untergrundbewegung verhaftet und im Konzentrationslager Ravensbrück von den mitangeklagten Ärzten Dr. Hauser und Dr. Fischer zu medizinischen Versuchszwecken operiert.

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Auch die Regisseurin Leni Riefenstahl (Mitte) muss sich vor Gericht verantworten. Sie war allerdings nie NSDAP-Mitglied und wurde in ihrem Spruchkammerprozess 1948 als "Mitläuferin - nicht betroffen" eingestuft.

Riefenstahl 1952 vor einer Spruchkammer in Westberlin, in der über ihre Berliner Vermögenswerte verhandelt wurde.

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Zwei weitere kulturelle Größen stehen sich 1948 in einer Spruchkammerverhandlung in Garmisch-Partenkirchen gegenüber: Staatsschauspieler und Theaterintendant Gustaf Gründgens (links) entlastet seine frühere Bühnenkollegin Emmy Göring (rechts), die Frau des ehemaligen Reichsmarschalls Hermann Göring. Gründgens bestätigt Frau Görings Angaben, sie habe versucht, die ihr bekanntgewordenen Missstände des Regimes abzustellen. Außerdem habe sie sämtliche halbjüdischen Mitglieder des Preußischen Staatstheaters gedeckt. Emmy Göring wird schließlich als Nutznießerin zu 30 Prozent Vermögensentzug und einem Jahr Arbeitslager, das durch die 14-monatige Internierungshaft als verbüßt galt, verurteilt.

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Neben der "Entnazifizierung" legten die Amerikaner Wert auf die "Reeducation", eine Reihe von Maßnahmen, die den Deutschen die Vorzüge der Demokratie näherbringen soll. Das fing im Kleinen an, wie bei Sommerlagern, die die US-Armee für Jugendliche organisierte.

Gruppenbild der Jugendlichen, die an einem von der amerikanischen Armee organisierten Sommerlager bei Lenggries teilnehmen. In den ersten Nachkriegsjahren unterhielt die US-Armee im Rahmen der demokratischen Umerziehung der Deutschen ein eigenes Jugendprogramm, "German Youth Activities", in dem solche Sommerlager angeboten wurden.

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Karriere in der Bundesrepublik machte Hans Globke (rechts im Bild). Er wird Staatssekretär bei Bundeskanzler Konrad Adenauer (links) und gilt als dessen rechte Hand. Dann kommt heraus, dass der früher im NS-Innenministerium tätige Jurist Globke im Dritten Reich als Kommentator der Nürnberger Rassegesetze aufgefallen war. Außerdem war die Einführung des "J"-Stempels in Reisepässe, der Juden den Fluchtweg in die Schweiz versperrte, seine Idee gewesen.

Globke sieht sich heftiger Kritik und Rücktrittsforderungen ausgesetzt. Bei einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse wird er aber von seinem ehemaligen Kollegen Robert Kempner, der 1935 in die USA ausgewandert war und in Nürnberg als Vertreter der Anklage amtierte, entlastet. Nach Kempners Ansicht sei Globkes Ressegesetz-Kommentar für die so genannten Mischlinge günstig gewesen. Außerdem pflegte Globke Kontakte zum Widerstand im Dritten Reich und war nie Mitglied der NSDAP.

Bundeskanzler Adenauer steht voll hinter seinem engen Vetrauten, Globke bleibt bis 1963 Staatssekretär und Leiter des Bundeskanzleramtes.

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1960 spürte der israelische Geheimdienst Mossad in Argentinien Adolf Eichmann auf, der im Dritten Reich an zentraler Stelle mit der Organisation des Holocaust beauftragt war. Eichmann organisierte die Deportation von Juden aus allen europäischen Ländern in Konzentrations- und Flüchtlingslager. 1961 wird Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt; dabei streitet er die ihm zur Last gelegten Taten im Wesentlichen nicht ab, beruft sich aber darauf, als kleiner Befehlsempfänger gehandelt zu haben. Dennoch wird er am 15. Dezember 1961 zum Tode veruteilt und am 29. Mai 1962 gehängt. Seine Asche wird ins Meer gestreut.

Die DDR-Justiz strengt nach dem Eichmann-Prozess ein Verfahren gegen Kanzleramts-Staatssekretär Hans Globke an, den es auf einer Stufe mit Eichmann sah. So sollte die "Wesensgleichheit des Bonner Systems" mit Nazi-Deutschland dokumentiert werden. Globke wird nach einem Schauprozess am 23. Juli 1963 in Abwesenheit zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt.

Adolf Eichmann im kugelsicheren Glaskasten auf der Anklagebank bei der Prozesseröffnung in Jerusalem 1961.

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Zwischen 1963 und 1968 finden in Frankfurt am Main drei Prozesse gegen Aufseher und Mitarbeiter der Lagerverwaltung des Vernichtungslagers Auschwitz statt. Besonders der 1. Auschwitz-Prozess (1963-65) sorgt für Aufsehen: Sechs Angeklagte erhalten eine lebenslange Haftstrafe, elf werden zu Zuchthausstrafen zwischen drei und 14 Jahren verurteilt, drei Angeklagte freigesprochen. Das niedrige Strafmaß löst in der internationalen und Teilen der deutschen Öffentlichkeit große Empörung aus. Dennoch wird klar, dass die Gerichte nur nachweisbare Verbrechen von einzelnen Tätern verfolgen können.

Blick auf die Angeklagten, 22 ehemalige Angehörige des SS-Wachpersonals im Konzentrationslager Auschwitz, am ersten Tag des Auschwitz-Prozesses vor dem Frankfurter Schwurgericht 1963.

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(sueddeutsche.de)

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