Audienz:Papst empfängt Kirchenkritiker Küng

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Völlig überraschend hat Papst Benedikt XVI. den Tübinger Theologen und Kirchenkritiker Hans Küng empfangen, dem der Vatikan die Lehrbefugnis entzogen hatte. Ein Disput über Lehrfragen wurde allerdings nicht geführt.

Matthias Drobinski und Stefan Ulrich

Das Treffen in Castelgandolfo, der Sommerresidenz des Papstes, dauerte am Samstagabend mehrere Stunden.

Das Gespräch habe in "freundschaftlicher Atmosphäre" stattgefunden, beide Seiten hätten aber auf einen Disput über Lehrfragen der Kirche, die damals zu dem Zerwürfnis von Amtskirche und Küng geführt hatten, verzichtet, sagte Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls in Rom.

Papst Benedikt und Küng seien sich einig gewesen, "dass es nicht sinnvoll sei, im Rahmen dieser Begegnung in einen Disput über Lehrfragen einzutreten", hieß es. Das Kirchenoberhaupt und der Tübinger Theologe hätten vielmehr "über die Frage des Weltethos" und den "Dialog der Vernunft der Naturwissenschaften mit der Vernunft des christlichen Glaubens" gesprochen.

Der Papst habe "positiv das Bemühen von Professor Küng" gewürdigt, "im Dialog der Religionen wie in der Begegnung mit der säkularen Vernunft zu einer erneuerten Anerkennung der wesentlichen moralischen Werte der Menschheit beizutragen", und herausgestellt, "dass der Einsatz für ein erneuertes Bewusstsein der das menschliche Leben tragenden Werte auch ein wesentliches Anliegen seines Pontifikats darstellt."

Auch stimme Benedikt XVI. dem Versuch Küngs zu, "die Gottesfrage dem naturwissenschaftlichen Denken gegenüber in ihrer Vernünftigkeit und Notwendigkeit zur Geltung zu bringen."

Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sprach Küng, 77, von einem "hoffnungsvollen Zeichen". Er habe wenige Wochen nach der Wahl Benedikts, die er noch öffentlich kritisiert hatte, an das neue Kirchenoberhaupt geschrieben, "in der Hoffnung, dass trotz aller unterschiedlicher Auffassungen ein Dialog zustande komme".

Er habe klar gemacht, dass er nicht die Rückgabe der entzogenen Lehrbefugnis fordern wolle. Papst Benedikt habe "rasch und sehr freundlich geantwortet" und ihn eingeladen.

In dem Gespräch sei es zunächst um das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion gegangen und das von Glaube und Evolutionstheorie; danach über die Frage, wie ein den Religionen gemeinsames "Weltethos" aussehen könnte.

"Ohne jede Polemik"

Küng sagte, er habe den Papst als "aufmerksamen und offenen Gesprächspartner" erlebt, das Gespräch sei "ohne jede Polemik" gewesen. Man habe "nicht über Dokumente, sondern über Aufgaben und Probleme" geredet. Anschließend habe der Papst ihn zum Essen eingeladen. Die beiden Theologen hatten in den sechziger Jahren gemeinsam in Tübingen gelehrt, zuletzt waren sie sich 1983 begegnet.

Im Vatikan stieß das Treffen auf Überraschung. Kirchenkreise bewerteten den Schritt des Papstes als Bruch mit bisherigen diplomatischen Formen und als Zeichen für eine neue Politik auch gegenüber Kirchenkritikern. "Der Papst ist auch ein großer Psychologe", sagte ein hochrangiger Vatikan-Mitarbeiter der SZ.

Damit sei "die Luft raus" aus dem jahrzehntelangen Streit zwischen der Kirche und Küng. Der Tübinger Professor habe es in der Vergangenheit immer abgelehnt, mit dem Kurienkardinal Joseph Ratzinger zu sprechen.

Stattdessen habe er eine Audienz bei Papst Johannes Paul II. gefordert. Nun sei er doch noch von einem Papst empfangen worden - aber eben von Joseph Ratzinger. Inhaltlich habe sich dadurch zwar nicht viel geändert, atmosphärisch aber sei viel erreicht worden. Der Papst habe ein Signal gegen "überzogenes hierarchisches Denken" gesetzt.

Die Römische Glaubenskongregation hatte Küng im Jahr 1979 die Lehrerlaubnis entzogen; der gebürtige Schweizer hatte unter anderem die Unfehlbarkeit des Papstes angezweifelt. Küng, der auch nach 1979 in Tübingen weiter christliche Theologie lehrte, gilt seit langem als einer der prominentesten Kirchenkritiker.

Mit seiner "Stiftung Weltethos" möchte er zum Ausgleich zwischen den Religionen und damit zum Weltfrieden beitragen.

© SZ vom 27.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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