Attentate in Norwegen:Die Pressemappe des Mörders

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Anders Behring Breivik hat seine Attentate in Norwegen verstörend präzise inszeniert. Mit seinem Manifest und mit Botschaften bei Twitter und Facebook bediente der Massenmörder das öffentliche Interesse an Bildern und Erklärungen. Wie ein Verbrecher seine Taten auf die Arbeitsweise der Medien abstimmte:

Lutz Knappmann

Keine Öffentlichkeit - so lautet die Entscheidung des Osloer Gerichts. Der Haftprüfungstermin für Anders Behring Breivik findet hinter verschlossenen Türen statt. Der Mörder soll nicht die Chance bekommen, eine öffentliche Erklärung zu seinen Taten abzugeben - was er ursprünglich gefordert hatte. Denn Aufmerksamkeit war von Anfang an zentraler Teil seiner Attentatspläne. Und Onlinedienste wie Twitter und Facebook waren die Plattform, die er dafür gezielt benutzte. Denn er konnte sich darauf verlassen, dass die Medien dort nach Informationen über ihn suchen würden.

TV-Übertragungswagen vor dem Gerichtsgebäude in Oslo: Der norwegische Attentäter hat seine Anschläge gezielt auf die Mechanismen der Medien abgestimmt. (Foto: dpa)

Neun Jahre, so behauptet Breivik, habe er den Massenmord vorbereitet. Er hat ein sogenanntes Manifest geschrieben. Mehr als 1500 Seiten, auf denen er seine krude Sicht der Welt beschreibt. Er definiert mehrere Phasen eines verstörenden Widerstands- und Revolutionsplans. Gerichtet gegen Sozialisten, Einwanderer, den Islam. Wichtigstes Ziel in der ersten Phase sei es, "Aufmerksamkeit zu erzeugen", schreibt der Attentäter in einem fiktiven Interview, das er - vermutlich - mit sich selbst geführt hat. Nach einer möglichen Festnahme solle dann die "Propagandaphase" beginnen.

Aufmerksamkeit und Entsetzen hat Breivik erzeugt, weltweit. 76 Menschen sind seinen Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya nach gegenwärtigem Stand zum Opfer gefallen. Die Attentate seien "grausam, aber notwendig" gewesen, gab er später zu Protokoll. In seinem Manifest hat er die Taten bereits vorweggenommen, als "Opfer, die nötig sind, um das Manifest zu verbreiten". Zynisch schreibt er dort von der "tatsächlichen Marketing-Operation".

Es ist eine perfide und gefährliche Botschaft, die davon ausgeht: Der Massenmörder hat seine Taten präzise inszeniert, abgestimmt auf die Mechanismen der Massenmedien. Gezielt hat er die öffentliche Nachfrage bedient, um seine Sicht der Welt zu verbreiten - und das Bild von sich zu kontrollieren.

Wenige Tage vor den Attentaten hat Breivik sein Manifest an zahlreiche Facebook-Freunde und andere seiner Kontakte im Internet verschickt. Die ersten Seiten enthalten klare Handlungsanweisungen. Ausführlich bittet Breivik darin die Empfänger, das Dokument weiterzuverbreiten, in andere Sprachen zu übersetzen. Er gibt technische Hinweise, wie sie das Dokument bearbeiten und auswerten können. Außerdem hat er ein zwölfminütiges Video ins Netz gestellt, das die zentralen Aussagen des Manifests zusammenfasst - schnell auffindbar, frei verfügbar, leicht zu verlinken. Sollten Youtube und andere Onlinevideoplattformen es löschen, so mögen es die Nutzer doch sichern und woanders erneut veröffentlichen, bittet der spätere Attentäter. Einige Nutzer sind der Aufforderung gefolgt.

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Die Bilder

Fünf Tage vor dem Massenmord schrieb Breivik beim Kurznachrichtendienst Twitter eine Nachricht. Es war seine erste und einzige: "Eine Person mit einer Überzeugung hat so viel Kraft wie 100.000, die nur Interessen pflegen", zitierte er darin John Stuart Mill. Nur dafür hatte Breivik das Twitter-Konto eingerichtet. Er konnte sicher sein, dass Journalisten den Onlinedienst nach Informationen über ihn absuchen und Tausende Nutzer seine Botschaft weiterverbreiten würden.

Dasselbe Kalkül bei Facebook: Sein Profil bei dem Onlinenetzwerk hat Breivik ebenfalls erst kurz vor seinen Mordanschlägen angelegt. Er hat es mit biographischen Informationen gespickt, mit Details zu jener Legende, hinter der er sich bei der Vorbereitung seiner Taten versteckt hat. Nüchterne Daten, öffentlich einsehbar unter seinem vollen Namen.

Längst gehört die Recherche in sozialen Netzwerken und bei Twitter zum Handwerk der Journalisten. Nach einem Terrorakt ist der Bedarf an Informationen über Tat und Täter gewaltig. Verfügbare Bilder, Videos und Dokumente werden rasend schnell verbreitet.

Breivik hat die Nachfrage gezielt bedient - auch mit Fotos: Auf den hinteren Seiten seines Manifests finden sich sieben Bilder des Attentäters, säuberlich retuschiert und bearbeitet: Breivik mit einem Sturmgewehr, in einer Uniform, in einem Schutzanzug, mit mutmaßlichen Angehörigen. Das Manifest wirkt wie eine riesige, zynische Pressemappe für die Attentate. Nur Minuten hat es gedauert, bis die Fotos im Netz kursierten. Es waren die einzigen Bilder des Täters, die verfügbar waren.

Er wolle die Medien zwingen, "unsere Anwesenheit anzuerkennen", formuliert er in dem Manifest. Er schreibt im Plural über sich und seine vermeintlichen Mitstreiter. "Unsere Existenz und unser Handeln sind der lebende Beweis dafür, dass ein friedlicher Wandel unmöglich ist und gewaltsamer Widerstand daher unvermeidlich." Das Risiko ist groß, dass sich Sympathisanten seiner Weltanschauung ermuntert fühlen. Ein gefährliches Signal.

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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Artikel war von mindestens 90 Toten die Rede. Am Montag hat jedoch die norwegische Polizei ihre früheren Angaben korrigiert: Demnach wurden auf der Insel Utøya 68 Menschen getötet, bislang war von 86 Toten die Rede gewesen. Dagegen stieg die Zahl der Toten bei dem Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel von sieben auf acht.

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