Attentäter Maurice Bavaud:Der Schweizer, der Hitler erschießen wollte

Maurice Bavaud

Der Schweizer Maurice Bavaud versuchte mehrmals, ein Attentat auf Adolf Hitler auszuführen. Er wurde am 19. Dezember 1939 vom Volksgerichtshof in Berlin zum Tode verurteilt und hingerichtet.

(Foto: S.M.)

1938 plante der heute weitgehend vergessene Maurice Bavaud, Adolf Hitler zu töten. Dem vor 100 Jahren geborenen Schweizer kam die Begeisterung der Nazi-Anhänger in die Quere.

Von Gianna Niewel

Er hatte geübt. Stundenlang hatte Maurice Bavaud von einem Boot auf dem Ammersee aus auf Papierschiffe geschossen, er hatte im Pasinger Wald das Zielen geübt, vergebens. Als es drauf ankam, war Hitler zu weit weg. Der 22-Jährige hatte einen Platz in der ersten Reihe ergattert, Ehrentribüne, direkt vor dem Alten Rathaus. Von hier aus konnte er beobachten, wie die Nazis an diesem Mittwoch im November 1938 zur Münchner Feldherrnhalle liefen.

Es sah die Arme Hunderter Männer und Frauen, zum Hitlergruß gereckt. Und er sah Hitler selbst, der die Marschkolonne anführte. Aber der Schweizer musste die geladene Pistole in seiner Manteltasche lassen. Er würde den "Führer" aus dieser Distanz nicht treffen. Am 15. Januar von einhundert Jahren wurde der verhinderte und oft vergessene Hitler-Attentäter Maurice Bavaud in Neuenburg geboren.

Bavaud war ein schmächtiger Mann, fast knabenhaft. Es gibt Fotos von ihm, er trägt einen dunklen Anzug, Pomade zähmt die Haare. Leichtes Lächeln. Sein Vater war Beamter bei der Post, seiner Mutter gehörte ein Geschäft, Bavaud hatte fünf jüngere Geschwister.

Maurice Bavaud

Maurice Bavaud in der Missionsschule

(Foto: Quelle: Wikimedia commons)

Er selbst machte auf Geheiß des Vaters eine Ausbildung zum technischen Zeichner. Dann besuchte er auf eigenen Wunsch eine Missionarsschule in der Bretagne. Bis heute ist nicht klar, wann genau der Priesteranwärter entschied, die Schule abzubrechen; wann er den Plan fasste, Hitler zu töten. Es gibt Theorien, die sagen, er sei angestiftet worden.

Immer wenn Bavaud ankommt, ist Hitler schon weg

Fest steht, dass er 600 Franken aus dem Geldschrank der Mutter stiehlt und am 9. Oktober aus dem Elternhaus in Neuenburg verschwindet. Er hinterlässt nur einen Zettel: "Liebe Eltern, beunruhigt Euch nicht meinethalben, ich werde mir eine Existenz aufbauen." Bavaud taucht einige Tage bei einer Großtante in Baden-Baden unter und gibt vor, auf Jobsuche in Deutschland zu sein.

In Baden-Baden beginnt seine Odyssee, die ihn zunächst zurück nach Basel führt. Dort will er sich auszurüsten, dort muss er keinen Waffenschein vorzeigen. Bei einem Büchsenmacher kauft er eine Pistole Fabrikat Schmeißer, 6,35 mm Kaliber, dazu zehn Patronen für etwa dreißig Franken. Bewaffnet reist er nach Berlin. Wie ungeplant Bavaud vorgeht, zeigt sich dort - Hitler ist nicht in der Hauptstadt. Bavaud folgt ihm, nach München, nach Bertesgaden, je nachdem, was die Zeitungen vermelden. Immer kommt er zu spät.

Erst am 9. November 1938 trifft er schließlich auf den Diktator, dem er nun fast einen Monat lang hinterhergeirrt war. Es ist der Tag vor den Novemberpogromen; am Abend würden die Nazis Synagogen anzünden und jüdische Geschäfte verwüsten. Am Tag erinnern sie an den Hitler-Ludendorff-Putsch, bei dem Adolf Hitler 1923 eben in München versuchte, an die Macht zu kommen.

Fortan wird es auch der Tag sein, an dem der Hitler-Attentäter Maurice Bavaud in seinem Vorhaben scheitern sollte, denn er hatte eine Waffe gekauft, die für einen solchen Angriff nicht taugt. Noch einige Tage folgt er Hitler, er hat keine konkreten Pläne und irgendwann fehlt ihm auch das Geld für Zugfahrten und Übernachtungen. Bavaud gibt auf.

"Aus Liebhaberei" will er die Pistole gekauft haben

Für fünf Reichsmark zieht er am Abend des 12. Novembers ein Ticket bis Freilassing, steigt dort in einen Schnellzug nach Paris. Ohne Ticket. Der Schaffner kommt, Bavaud gibt vor, seinen Fahrschein verloren zu haben. Einen neuen kann er sich nicht leisten, er hat nur noch 1,52 Reichsmark bei sich. Ein ausländischer Schwarzfahrer? Bavaud wird der Bahnpolizei übergeben. Die Beamten finden statt des Tickets: die Waffe, dazu mehrere Patronen, eine Karte vom Bertechsgadener Land, gefälschte Papiere sowie ein Kouvert adressiert an "Monsieur le chancelier Adolf Hitler", darin ein leeres Blatt Papier.

Schnell ist der fehlende Fahrschein Bavauds geringstes Problem. Aus dem Zug heraus wird der 22-Jährige verhaftet. Einige Tage später verhört ihn die Geheime Staatspolizei (Gestapo). "Als ein Bewunderer der nationalsozialistischen Bewegung und der Leistungen des Führers", sei er nach Deutschland gereist, lügt Bavaud. Die Pistole habe er "aus Liebhaberei" gekauft. Den Brief an Hitler habe eine "interessante Persönlichkeit" geschrieben, er selbst sei nur der Überbringer.

Das Amtsgericht Augsburg verurteilt ihn wegen unerlaubten Waffenbesitzes in Tateinheit mit Betrug zu zwei Monaten und einer Woche Gefängnis. Zugleich laufen polizeiliche Ermittlungen, Bavaud wird wieder verhört. Diesmal gibt er an, er habe die Pistole gekauft, weil er Suizidgedanken gehabt habe, nachdem er in Baden-Baden keinen Job fand. Ein Widerruf?

Bavaud wird der Gestapo übergeben und gefoltert, am 18. Dezember 1939 gesteht er schließlich vor dem Volksgerichtshof. Hitler sei "eine Gefahr für die Menschheit, vor allem für die Schweiz", heißt es in den Gerichtsunterlagen. Bavaud habe geglaubt, "mit seiner Tat der Menschheit und der gesamten Christenheit einen Dienst zu erweisen".

Ein einfaches Tatmotiv, ein umfassendes Geständnis, dann ein Reue-Versprechen - Bavaud und sein Pflichtverteidiger hoffen auf ein möglichst mildes Urteil. Mitnichten. Auch, dass er untaugliche Mittel hatte, dass sein Plan letztlich theoretisch blieb, spielt für die Richter der Nazi-Diktatur keine Rolle. Die Schweizer Behörden setzen sich derweil kaum für den Verurteilten ein.

Und so wird Maurice Bavaud am 14. Mai 1941, es ist ein Mittwochmorgen, im Gefängnis in Berlin-Plötzensee an ein Kippbrett gebunden und unter das Fallbeil geschoben.

Späte Rehabilitierung in der Heimat

Hitler reagiert auf eigene Art auf das versuchte Attentat: Er verbietet die Aufführung von Friedrich Schillers "Wilhelm Tell". Das Drama feiert den Tyrannenmörder Tell, der den grausamen Landvogt Gessler mit der Armbrust niederschießt. Vorübergehend durfte das Stück sogar nicht mehr im Schulunterricht behandelt werden. Wilhelm Tell, der legendäre Freiheitskämpfer, wird in der Schweiz als Nationalheld verehrt. Und Maurice Bavaud?

Sein Heimatland tat sich lange schwer mit ihrem verhinderten Hitler-Attentäter, seinem Wesen, seinen Motiven. Es wurde gedeutet, missdeutet, geschwiegen. Erst vor einigen Jahren, 2008, rehabilitierten ihn der Schweizer .

Nach dem Krieg war es allen voran sein Vater Alfred, der sich dafür einsetzte, dass über den toten Sohn ein zweites Mal gerichtet werden solle. Immerhin die Ehre, vom Volksgerichtshof aberkannt, sollte ihm wieder zuteilwerden. Doch der noch junge Rechtsstaat der Bundesrepublik zeigt Härte. "Das Leben Hitlers ist [...] in gleicher Weise als geschütztes Rechtsgut anzuerkennen wie das Leben eines jeden anderen Menschen. Ein Rechtfertigungsgrund im Sinne einer etwa erlaubten Diktatorentötung ist dem Strafrecht fremd", schreibt das Landgericht Berlin 1955 in seinem Urteil.

Ein Jahr später wird eben jenes Urteil aufgehoben. Bavauds Tat wird nun nicht mehr als Tötungsversuch gewertet, sondern als Vorbereitungshandlung. 40 000 Franken zahlte die Bundesrepublik den Hinterbliebenen als Widergutmachung.

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