Attacken auf Politiker in Griechenland:Auf sie mit Joghurt und Gebrüll!

Wütende Griechen attackieren Politiker aller Couleur - am liebsten mit Joghurt. Der Volkszorn trifft die gesamte politische Klasse. Es tut sich ein Machtvakuum auf. Der neue Athener Bürgermeister warnt schon vor "Weimarer Verhältnissen".

Kai Strittmatter

Der stellvertretende Bürgerschutzminister Manolis Othonas spricht vor laufenden Kameras, als ihn das Ei am Kopf trifft - es geschah am Sonntag, in seinem Heimatort Rethimno auf Kreta. Der Zorn der Bürger nimmt seit diesem Sommer immer öfter tätliche Formen an. Griechische Minister und Abgeordnete mussten schon Flaschen, Bechern und Steinen ausweichen, einige bekamen Faustschläge ab, einer wurde mit Wasser übergossen. Und wenn bei diesen Attacken Nahrungsmittel eingesetzt werden, sind es eher selten Eier: Die griechischen Wutbürger greifen meist zu Joghurt.

Attacken auf Politiker in Griechenland: Die kommunistische Abgeordnete Liana Kanelli wurde im Juni vor dem Parlament in Athen mit Joghurt attackiert - und konterte lapidar: "Ich habe davon probiert, es war gute Qualität."

Die kommunistische Abgeordnete Liana Kanelli wurde im Juni vor dem Parlament in Athen mit Joghurt attackiert - und konterte lapidar: "Ich habe davon probiert, es war gute Qualität."

(Foto: AFP)

Auf Youtube lässt sich ein Video abrufen, auf dem Vizepremier Theodoros Pangalos den Versuch wagt, zu einer aufgebrachten Menge zu sprechen, die ihn in einem Restaurant entdeckt hat. Das Resultat ist ein Joghurtregen auf ihn und seine Entourage. Pangalos ist Ziel der Wut, seit er gesagt hat, die Griechen sollten sich beim Sparen nicht so haben, alle müssten nun bluten, schließlich hätten auch beim Festmahl aus Konsum und Korruption "alle zusammen gegessen".

Warum der Satz die Griechen in Rage bringt? Weil die meisten ohnehin nur Krümel abbekamen - und außerdem nun keineswegs alle bluten, sondern ausgerechnet jene mit den Krümeln die ganze Last schultern sollen, während die großen Fische straffrei davon kommen.

Der Volkszorn trifft die ganze politische Klasse von links bis rechts. Die kommunistische Abgeordnete Liana Kanelli parierte einen Joghurtangriff vor einigen Monaten mit dem Kommentar: "Ich habe davon probiert, es war gute Qualität."

Im vergangenen Jahr entdeckte eine Gruppe von 100 Demonstranten den früheren Entwicklungsminister Costis Hatzidakis und jagte ihn, bis einer ihm einen Schlag ins Gesicht verpasste. Auf Korfu musste sich eine Gruppe von griechischen und europäischen Parlamentariern im Juni auf ein Boot flüchten, als aufgebrachte Demonstranten das Lokal belagerten, in dem sie dinierten.

Mitglieder der von Regisseur Dimitris Kollatos gegründeten Bewegung "Von Tür zu Tür" stellen sich vor die Häuser von Abgeordneten und Ministern und rufen stundenlang im Chor: "Diebe, Diebe!"

Premier Papandreou verurteilte die Angriffe, er spricht von "Gewalt, die unsere Demokratie unterminiert". Tatsächlich aber hat die politische Klasse als Ganzes das Vertrauen und den Respekt der Griechen verloren. Mittlerweile geben vier von fünf Griechen an, die Politiker von links bis rechts hätten versagt. In den jüngsten, am Sonntag veröffentlichten Umfragen, wollten nicht einmal mehr 40 Prozent der Befragten den beiden großen Parteien Pasok und Nea Dimokratia ihre Stimme geben. Es tut sich ein Vakuum auf. Der neue Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis, ein weithin respektierter unabhängiger Intellektueller, warnt vor einem Erstarken der Extremisten bei kommenden Wahlen und vor "Weimarer Verhältnissen".

Nirgendwo ist Führung in Sicht", sagt Costas Bakouris vom Athener Büro der Antikorruptions-Organisation Transparency International. "In solchen Zeiten besteht immer die Gefahr, dass ein Scharlatan nach der Macht greift."

Noch ist ein solcher Scharlatan nirgends in Sicht. Aber die Politiker verspielen weiter Respekt. Die konservative ND betreibt stur Fundamentalopposition. Und die regierende Pasok will an diesem Dienstag eine Immobiliensteuer durch das Parlament pauken, welche die meisten Griechen für eine aus Panik geborene neue Ungerechtigkeit halten; es ist ihnen ein weiteres Symbol für so vieles, was faul ist im Land.

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