Atomwaffen:Jenseits des Schreckens

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Warum 120 Staaten bei den Vereinten Nationen einen Verbotsvertrag für Nuklearwaffen ausgearbeitet haben. Deutschland zählt nicht dazu.

Von Tobias Matern

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an eine Organisation, die aus der Zeit fällt. Oder perfekt in die Zeit passt - je nach Standpunkt. Die Aktivisten der "Kampagne für ein Atomwaffenverbot" (Ican) tragen ihr politisches Ziel schon im Namen. Doch auf Atomwaffen will eine Reihe von Staaten weniger denn je verzichten. Russland und die Nato, angeführt von den USA, setzen verstärkt auf nukleare Abschreckung. Die beiden Antipoden des Kalten Krieges modernisieren ihre Arsenale, statt sie zu verschrotten. Und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un scheint sein Atomwaffen-Programm als eine Art Lebensversicherung zu begreifen: Ohne die Bombe und deren Drohpotenzial, so offenbar seine Logik, könnte sein Regime schnell gestürzt werden.

Doch es gibt auch einige, die sich diesem Trend entgegenstemmen. Natürlich sind das die Aktivisten von Ican, aber auch eine deutlichen Mehrheit der Menschen weltweit sieht Atomwaffen als Übel an. Zwar sind sie seit den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki 1945 nicht mehr eingesetzt worden, inzwischen ist das aber wieder durchaus denkbar - eine Bedrohung für die gesamte Menschheit. Die Nicht-Verbreitung und den Nicht-Einsatz dieser Waffe regelt der Nuklearwaffensperrvertrag (NPT). Doch das Übereinkommen hat zwei Schwachstellen: Eigentlich sollten nur die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates Atomwaffen besitzen, aber im Laufe der Jahre sind mindestens vier weitere Staaten dazugekommen: Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan. Zudem fordert der NPT die offiziellen Atomwaffenstaaten auf, konkrete Ziele zur Abrüstung ihrer Arsenale zu unternehmen. Das passiert aber nicht.

Viele Länder wollen sich die Agenda nicht mehr diktieren lassen von den Atomstaaten

Vor allem seitdem der damalige US-Präsident Barack Obama im Jahr 2009 eine Welt ohne Nuklearwaffen in Aussicht stellte und danach keine Fortschritte erkennbar wurden, ist der Frust gewachsen - nicht nur bei Aktivisten der Anti-Atomwaffen-Szene. Angeführt unter anderem von Österreich, Irland, Brasilien und Nigeria haben sich bei den Vereinten Nationen mehr als 120 Staaten zusammengesetzt und einen Verbotsvertrag über Atomwaffen ausgehandelt. Diese Länder wollten sich die globale Nuklear-Agenda nicht mehr von den Staaten diktieren lassen, die im Besitz der Sprengköpfe sind. Sie halten nun radikal dagegen.

Diesen Verhandlungsprozess hat Ican begleitet. Zudem lud die Organisation Überlebende von Hiroshima und Nagasaki zu den Gesprächen und ließ sie über die Spätfolgen von Atomwaffen-Einsätzen berichten. Der Atomwaffenverbots-Vertrag ist zwar noch längst nicht von allen Staaten der Welt unterzeichnet. Auch Deutschland fehlt. Aber er macht etwas anderes deutlich: Die Besitzerstaaten müssen ihr Handeln mehr denn je rechtfertigen. Nikki Haley, US-Botschafterin bei den UN, sagte kurz bevor der Verbotsvertrag verhandelt war, auch sie wünsche sich nichts sehnlicher als eine Welt ohne Nuklearwaffen. Doch die Zeit sei leider noch nicht reif dafür. Das sieht Ican anders, genau wie das Friedensnobelpreiskomitee.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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