Atomstreit zwischen Israel und Iran:Gefährliches Kriegsgerede

Wenn alle vom Krieg sprechen, genügt ein Funke und er bricht aus. Seit mehr als einem Jahr versetzen fast täglich Warnungen aus Israel und Gegendrohungen aus Iran die regionale und internationale Politik in Unruhe. Nun ist der Westen gefordert, trotz US-Wahlkampf und Euro-Krise wieder zum Vermittler zu werden.

Volker Perthes

Wahrscheinlich wollen nur wenige wirklich eine neue kriegerische Auseinandersetzung im Nahen und Mittleren Osten. Aber so viel Gerede von einem unmittelbar bevorstehenden Krieg gab es lang nicht mehr. Seit mehr als einem Jahr nun versetzen fast tägliche Warnungen und Drohungen aus Israel, einen Militärschlag gegen Iran und dessen Atomanlagen zu führen, und iranische Drohungen mit Gegenschlägen, die, je nach Geschmack des Sprechers, ein Drittel der Israelis obdachlos machen oder gar zum Ende des "zionistischen Regimes" führen würden, die regionale und internationale Politik in Unruhe.

Atomstreit zwischen Israel und Iran: Kommen Sie bald zum Einsatz? Eine iranische Eliteeinheit bei einer Miltärparade (Foto vom 21. September 2012).

Kommen Sie bald zum Einsatz? Eine iranische Eliteeinheit bei einer Miltärparade (Foto vom 21. September 2012).

(Foto: AFP)

Manöver und Waffendemonstrationen sollen Kriegsbereitschaft demonstrieren. Amerikanische, britische und französische Marineverbände führen derzeit zusammen mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen das bislang größte Marinemanöver im Persischen Golf durch. Iran hat für den kommenden Monat die größte Luftabwehrübung in seiner Geschichte angekündigt.

Dies mischt sich mit israelischen Meldungen, dass auch arabische Golfmonarchien Israel zu einem Angriff auf Iran ermutigten, mit öffentlichen amerikanischen Warnungen an die Adresse Israels, nicht einseitig und übereilt zu handeln, oder mit Erklärungen des israelischen Ministerpräsidenten, in denen er Amerika das moralische Recht abspricht, sein Land von einem Militärschlag abzuhalten. In der anhaltenden medialen und politischen Diskussion darüber, wann, unter welchen Umständen und mit welchen Reaktionen und Folgen ein israelischer Angriff zu erwarten sei, geht es kaum noch um Kriegsvermeidung, sondern vornehmlich darum, wie der Beginn eines Krieges sich hinausschieben lässt, zunächst einmal bis hinter die US-Präsidentschaftswahlen. Selbst bei den Atomverhandlungen, die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland (die "3 plus 3") mit Iran führen, schien es zuletzt nicht so sehr um Lösungen für den eigentlichen Atomstreit, sondern um Kriegsausbruchverzögerung zu gehen.

Auch Äußerungen hoher israelischer Beamter, die durchblicken lassen, dass in den nächsten Wochen kein israelischer Angriff zu erwarten sei, wirken nicht richtig deeskalierend. Obwohl sie sachlich wohl richtig sind. Auf die Gefahr hin, mich grob zu täuschen: Es wird meiner festen Überzeugung nach zumindest in diesem Jahr keinen israelischen Angriff auf Iran geben. Die Drohungen aus Israel sind keine Ankündigungen, sondern Teil des Versuchs, die USA und Europa zu weiteren, noch schärferen Maßnahmen gegen Iran zu bewegen.

Gefährliches Kriegsgetrommel

Und doch ist das Kriegsgetrommel gefährlich; gerade auch, wenn man über die US-Wahlen hinaus denkt. Die Spannung in der Region ist heute höher, das Misstrauen zwischen den politischen Führungsfiguren größer, die gegenseitige Kenntnis aber geringer als in der Vergangenheit. Funktionierende regionale Institutionen zur Krisenbewältigung fehlen; und wenige der politischen Führer sind wirklich krisenerfahren. Die langjährigen Herrscher des Nahen und Mittleren Ostens, die in den letzten Jahrzehnten das Geschehen bestimmten, hatten ihre eigene durchaus zynische Art, prekäre Gleichgewichte zu bewahren und katastrophale Zusammenbrüche der regionalen Ordnung zu verhindern: Wir vergessen gelegentlich, dass Kriege zwischen nah- und mittelöstlichen Staaten seit dem Ende des irakisch-iranischen Krieges (1980-88) - und mit Ausnahme dieses Krieges - relativ kurz blieben.

Bürgerkriege und Volksaufstände wie der im Libanon, in Algerien, in den palästinensischen Gebieten, im Irak oder im Sudan dauerten zwar viele Jahre, wurden aber "eingedämmt": Ausländische Akteure wurden hineingezogen, aber die Kämpfe schwappten nicht auf die Nachbarländer über. So nahmen Syrien, Iran, Saudi-Arabien und andere Einfluss auf den Bürgerkrieg im Irak, der dort unter amerikanischer Besatzung tobte; Israel und Syrien bekämpften sich gern im Libanon und "bis zum letzten Libanesen", vermieden aber direkte Auseinandersetzungen an der gemeinsamen Frontlinie.

Der Umbruch in der arabischen Welt, der 2011 mit dem Sturz einiger der am längsten regierenden Autokraten und dem Aufstand in Syrien begann, war überfällig. Die Transformationsprozesse sind schwierig; aber mehr als 100 Millionen Araber leben heute in größerer Freiheit als vor 2011. Auf der regionalen, geopolitischen Ebene hat er allerdings zunächst ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit und Ungewissheit ausgelöst, das offensichtlich nicht zu Zurückhaltung und größerer Vorsicht, sondern zu riskanterem Verhalten und rhetorischer Eskalation beiträgt.

Israel ist verunsichert

Israel ist verunsichert über die Welle der Veränderung, die alte Verbündete weggespült und in Ägypten einen islamistischen Präsidenten an die Macht gebracht hat, der den Friedensvertrag mit Israel zwar nicht kündigen will, aber auch kein Interesse an vertrauensvollen Beziehungen zu Israel hat. Die iranische Führung fürchtet nicht nur, mit dem syrischen Regime einen Verbündeten und eine geostrategische Einflussposition zu verlieren, sondern ahnt wohl auch, dass ihre Unterstützung Assads das iranische Ansehen in der arabischen Welt auf lange Zeit beschädigen kann.

Saudi-Arabien sieht die Chance, iranischen Einfluss zurückzudrängen, und stellt sich deshalb auf die Seite des Aufstands in Syrien, fürchtet aber ganz ähnlich motivierte Bewegungen im eigenen Land, in den kleineren Golfmonarchien und in Jordanien. Alten und neuen regionalen und internationalen Akteuren fehlt es an Erfahrung miteinander und Vertrauen ineinander, die zur Deeskalation innerer und äußerer Auseinandersetzungen beitragen könnten.

Aus europäischer Perspektive wirkt hier manches wie in Europa im Jahr 1914: Viel Gerede von und viele Vorbereitungen auf einen Krieg, den eigentlich keiner will, den allzu viele aber für unausweichlich halten, und wo letztlich ein Funken genügt, um ihn zu entzünden. Dies könnte durch einen ungeplanten Zwischenfall mit amerikanischen und iranischen Schiffen im Persischen Golf geschehen, durch die Fehlkalkulation israelischer oder iranischer Militärs oder durch einen größeren terroristischen Anschlag.

Westliche Staaten wären gut beraten, die Beteiligten im Nahen und Mittleren Osten nicht nur zur Zurückhaltung aufzufordern, sondern sich selbst wieder, trotz US-Wahlkampf und europäischer Schuldenkrise, um Konfliktlösung zu bemühen. Ein klares Signal, dass es bei den Atomgesprächen mit Iran um eine Lösung geht, die

Teheran einen Rückweg aus der Isolation und der Welt die Gewissheit bietet, dass hier kein weiterer Atomwaffenstaat entsteht, wäre dazu derzeit der wichtigste Beitrag.

Volker Perthes, 54, leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, in Berlin.

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