Atomstreit mit Iran:Stunde der Wahrheit

Der Atomstreit mit Iran eskaliert. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. Mittlerweile ist nicht mehr auszuschließen, dass ein Krieg ausbricht, US-Präsident Barack Obama hat sogar eine direkte Warnung an Ayatollah Chamenei geschickt. Der Streit aber wird sich nur beilegen lassen, wenn seine Ursache beseitigt wird: Ziel jeder Iran-Politik muss es sein, zu verhindern, dass das Land in den Besitz der Bombe kommt.

Paul-Anton Krüger

Wenn ein Streit lange genug währt, gerät leicht in Vergessenheit, worum es ursprünglich eigentlich ging. Zu einer Lösung trägt das selten bei, schon gar nicht, wenn der Disput eskaliert. So ist das auch im Konflikt mit Iran: Der Atomstreit geht 2012 in das zehnte Jahr. Er trägt zwar seinen Gegenstand im Namen, doch verstellen all die Nachrichten über Attentate auf Wissenschaftler und abgestürzte Drohnen, über Ölboykotte und Blockadedrohungen für die Straße von Hormus leicht den Blick auf den Kern des Konflikts. Der verschärft sich von Tag zu Tag, in einem Maß, dass nicht mehr auszuschließen ist, dass ein Krieg ausbricht. Der Streit aber wird sich nur beilegen lassen, wenn seine Ursache beseitigt wird.

Atomstreit mit Iran: Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad bei seinem Besuch auf Kuba. Die neuen Strafen der USA und bald der EU werden das Regime empfindlich treffen - zum ersten Mal. Das zeigen die ungestümen Reaktionen.

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad bei seinem Besuch auf Kuba. Die neuen Strafen der USA und bald der EU werden das Regime empfindlich treffen - zum ersten Mal. Das zeigen die ungestümen Reaktionen.

(Foto: AFP)

Zur Erinnerung: Im Jahr 2002 flog Irans geheimes Nuklearprogramm auf. Entgegen aller selbst eingegangenen internationalen Verpflichtungen hatte das Regime jahrelang im Verborgenen daran gearbeitet, sich Atomwaffen zu verschaffen. Es ist nicht hundertprozentig bewiesen, dass Iran auch nach 2003 den Bau von Sprengköpfen vorangetrieben hat. Es gibt jedoch starke Indizien dafür, dass Forschung und Entwicklung fortgeführt wurden. Aufgelistet hat diese Hinweise die Internationale Atomenergiebehörde. Wahrscheinlich verfügen Irans Wissenschaftler bereits über das nötige Knowhow für die Bombe - auch dank der Hilfe eines Experten aus einer früheren sowjetischen Atomwaffenschmiede.

Voraussetzung für Kernwaffen ist zudem spaltbares Material: hochangereichertes Uran oder Plutonium. Dies in ausreichender Menge zu produzieren, war schon für das Manhattan-Projekt der USA in den vierziger Jahren die entscheidende Hürde. Unbestritten hat Iran diesen Teil des Atomprogramms seit 2002 langsam, aber kontinuierlich ausgebaut. In der Anreicherungsanlage Natans stehen heute gut 8000 Zentrifugen, eine zweite, verbunkerte Anlage bei Ghom geht gerade in Betrieb. Das Regime hortet tonnenweise Uran, ausreichend Ausgangsstoff für mehrere Bomben. Und, oft übersehen: ein Schwerwasserreaktor in Arak ist bald fertiggebaut. Mit dem ließe sich trefflich Plutonium fabrizieren.

Irans Regime beharrt darauf, der Atomwaffensperrvertrag gebe ihm das "unveräußerliche Recht", Nuklearbrennstoff herzustellen. Doch so einfach ist die Sache nicht: Verträge bringen Pflichten mit sich. Der UN-Sicherheitsrat hat Iran in vier Resolutionen aufgefordert, genau diese Aktivitäten einzustellen - bis das Land den Verdacht ausgeräumt hat, dass sein Atomprogramm militärische Dimensionen hat. China und Russland haben allen vier Resolutionen zugestimmt.

Der Westen gibt sich einer Illusion hin

Ziel jeder Iran-Politik muss nach wie vor sein, zu verhindern, dass das Land in den Besitz der Bombe kommt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Welt nach einem iranischen Atomtest noch die gleiche wäre und eine Abschreckungsstrategie wie im Kalten Krieg gegenüber der Sowjetunion Stabilität gewährleisten könnte. Die anderen Regionalmächte, allen voran Saudi-Arabien, werden sich dann einen nuklearen Rüstungswettlauf liefern. Die als Trägersysteme nötigen Raketen hat Riad schon längst im Arsenal. Schnell kann dann ein Scharmützel zum Atomkrieg eskalieren. Die von Pakistan geschürten Kaschmir-Krisen mit Indien zeigen, wie nah zwei Atommächte an den Abgrund heranrücken können.

Durch einen nuklearen Schutzschirm vermeintlich sicher vor militärischer Vergeltung dürfte sich das Regime in Teheran zudem frei fühlen, sein Vormachtstreben im Golf und darüber hinaus mit robusteren Methoden zu verfolgen. Man muss gar nicht von einem hypothetischen, tatsächlich kaum vorstellbaren Erstschlag Irans gegen Israel ausgehen, um zu erkennen, warum sich der jüdische Staat in seiner Existenz bedroht sieht, sollte Teheran die ultimative Waffe erlangen. Es reicht ein Blick auf die Landkarte und die Geschichte - die des Nahen Ostens und der Deutschen.

Technische Hürden, Sabotage, gar ein Militärschlag werden Iran nicht stoppen, sondern nur vorübergehend aufhalten können. Man muss die Regimeführung dazu bringen, das Streben nach Atomwaffen aufzugeben. Dass Teheran die politische Entscheidung zum Bau der Waffen angeblich (noch) nicht getroffen hat, ist keine Beruhigung. Angebote zu weitreichender Wirtschaftskooperation samt Aufhebung der Sanktionen und Hilfe zur zivilen Nutzung der Atomenergie haben den Obersten Führer Ayatollah Ali Chamenei bislang nicht bewogen, sich dem UN-Sicherheitsrat zu beugen. Jetzt hat Obama Chamenei sogar eine direkte Warnung zukommen lassen.

Die neuen Strafen der USA und bald der EU werden das Regime empfindlich treffen - zum ersten Mal. Das zeigen die ungestümen Reaktionen. Japan, Südkorea und wohl auch Indien werden sich anschließen. Das macht die Sache für Teheran wirklich bedrohlich. Die Logik ist einfach: Nur wenn Chamenei und andere Profiteure des Regimes ihre auf Patronage fußende Herrschaft in Gefahr sehen, werden sie Einlenken. Um in Teheran jeden Zweifel darüber zu zerstreuen, dass der Westen nur auf einen Regimewechsel zielt, sollte das Angebot erweitert werden: um eine Nichtangriffs-Garantie. Das ist aber nur möglich, wenn Iran nach zehn Jahren Täuschung und Tarnung reinen Tisch macht und sein Atomprogramm strikter Kontrolle unterwirft.

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