Atomstreit mit Iran:Nähe im Osten

John Kerry

John Kerry und Mohammad Dschawad Sarif können gut miteinander. Doch zunächst muss der schwelende Atom-Streit gelöst werden.

(Foto: AP)

Menschlich stimmt alles zwischen Irans Außenminister Sarif und seinem US-Kollegen Kerry. Doch bevor die Staaten sich auch politisch annähern, müssen sie den schwelenden Atom-Streit lösen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Es geht schon fast kumpelhaft zu zwischen den Erzfeinden. Wenn Irans Außenminister Mohammad Dschawad Sarif seinen US-Kollegen John Kerry trifft, ist die Atmosphäre freundlich, professionell. Persönlich können die beiden miteinander. Es wird gescherzt, es wird gelacht. Das ist nicht das oft nur aufgesetzte Berufspolitiker-Grienen. Manchmal wirkt es fast so, als würden die beiden Chefdiplomaten am liebsten gleich vereinbaren, die vor 35 Jahren abgebrochenen Beziehungen der einstigen Verbündeten wieder zu normalisieren. Der Nahe Osten wäre dann ein anderer. Es ist diese gewaltige politische Dimension, die immer im Raum steht, wenn Sarif und Kerry sich die Hand schütteln. Es ist eine Vision, die sie bestenfalls mit dürren Sätzen andeuten, die sich aber erkennen lässt in dem jüngst bekannt gewordenen Brief von US-Präsident Barack Obama an Irans Obersten Führer Ayatollah Ali Chamenei.

Der Atomstreit muss gelöst werden, bevor eine Zusammenarbeit denkbar ist

Doch bevor es so weit kommt, bevor etwa eine Zusammenarbeit denkbar wird im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat oder in Afghanistan, müssen Kerry und Sarif erst den seit einem Jahrzehnt schwelenden Atomstreit lösen - zusammen mit ihren Kollegen aus Paris und London, aus Moskau, Peking und Berlin. Vom UN-Sicherheitsrat beauftragt, ein endgültiges und umfassendes Abkommen auszuhandeln, treffen die Delegationen der fünf UN-Vetomächte und Deutschlands (P5+1) von diesem Dienstag an in Wien das vorerst letzte Mal Abgesandte aus Teheran.

Zunächst verhandeln die politischen Direktoren unter dem Vorsitz der früheren EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, doch dürften die Außenminister spätestens am Wochenende dazustoßen. Sarif ist von Beginn an dabei. Kerry könnte schon im Laufe der Woche nach Wien kommen. Wie der Iraner nimmt er die Dinge gerne selber in die Hand. Bis Montag um Mitternacht bleibt Zeit für eine Einigung. Alle Seiten zeigen sich zuversichtlich, dass das reichen könnte. Mehr als 90 Prozent der Arbeit sei getan, sagen Diplomaten; ein Entwurf für einen Vertrag liegt vor. Doch hinter den offenen zehn Prozent verbergen sich die politisch heiklen Entscheidungen.

Mehr als 90 Prozent der Arbeit sei getan, sagen Diplomaten

Das Weiße Haus schätzt die Chancen für eine Einigung auf "40 bis 50 Prozent", wie die New York Times schreibt. Sarif sagte in Oman jüngst nach einem Treffen mit Kerry auf die Frage nach Fortschritten: "Die werden wir schlussendlich machen." Die P5+1 hatten ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es kein Abkommen geben wird, wenn er nicht mit anderen Instruktionen aus Teheran anreist.

Die Grundzüge eines möglichen Deals sind klar: Iran akzeptiert erhebliche Einschränkungen und eine strikte Überwachung seines Atomprogramms, die westlichen Staaten und schließlich auch der UN-Sicherheitsrat heben dafür Zug um Zug die Wirtschaftssanktionen auf. Mit dem Versprechen, dies zu erreichen, hatte Irans Präsident Hassan Rohani die Wahl gewonnen. Doch was bedeutet ein solches Abkommen im Detail? Wendy Sherman, die Nummer Drei des US-Außenministeriums, und der iranische Vize-Außenminister Abbas Araghchi verkörpern mit ihrer eher reservierten Art die Arbeit an diesem komplexen Problem. Es lässt sich festmachen an Zahlen: Wie viele Zentrifugen zur Anreicherung von Uran darf Teheran künftig betreiben? Welche Menge des Kernbrennstoffs kann im Land verbleiben? Wie lange ist die Laufzeit des Abkommens? Und wann werden welche Sanktionen aufgehoben? Das sind die weißen Stellen im Vertragstext, die in Wien jetzt gefüllt werden müssen.

Persönliches Vertrauen allein reicht nicht

Iran's Foreign Minister Mohammad Javad Zarif looks at his watch at a news conference after a meeting at the U.N. headquarters in New York

Wann werden die Beziehungen wieder aufgenommen? Irans Außenminister Sarif scherzt gerne mit seinem US-Kollegen.

(Foto: Eric Thayer/Reuters)

Kerry und Sarif sind dabei gefangen in ihrer Rolle als Repräsentanten ihrer Länder. Sie vertreten, was der Präsident und - wichtiger - der Oberste Führer als nationales Interesse definiert haben. Ihr persönliches Vertrauen allein wird nicht reichen, um das tiefe Misstrauen zu überwinden, das seit Jahrzehnten das Verhältnis der USA und der Islamischen Republik bestimmt, beide Seiten müssen ein Abkommen zu Hause politisch verkaufen können.

Die beiden Außenminister sehen sich zunehmendem Widerstand gegenüber: Widerstand im US-Kongress, den von Januar an die Republikaner kontrollieren, Widerstand von US-Verbündeten im Nahen Osten - zuvorderst Israel und Saudi-Arabien, den wichtigsten Gegenspielern Irans. Widerstand auch im iranischen Parlament, das jüngst substanzielle Zugeständnisse untersagt hat. Nicht zuletzt bremst das einflussreiche konservative Establishment Irans, von den Revolutionsgarden bis zur Entourage Chameneis - der 2009 schon einmal eine Vereinbarung kassiert hat, die den Atomstreit entschärft hätte.

Die Konservativen beider Länder wollen einen Sieg über die andere Seite

Die Konservativen in Washington wollen, dass Iran gezwungen wird, sein Atomprogramm de facto aufzugeben. Die Hardliner in Teheran verlangen nichts weniger, als dass alle Sanktionen sofort aufgehoben werden - und ihr Land seine Nuklearindustrie weiter ausbauen kann. Beide wollen einen Sieg über die andere Seite, keinen Kompromiss. Für sie geht es um mehr als den Atom-Deal: Irans Konservative fürchten um den Verlust dessen, was noch übrig ist vom revolutionären Charakter der Islamischen Republik. In einer Öffnung zum immer dämonisierten Westen wittern sie die größte Gefahr für ihre Macht. In Washington würde mancher Hardliner am liebsten immer noch das Regime in Teheran stürzen - zumindest aber die Allianzen mit Israel und den Golfarabern stärken.

Die Logik, die dennoch für einen historischen Kompromiss arbeitet, fasst ein Diplomat in die ebenso simple wie bestechende Formel: "Wir können nur alle von einem Abkommen profitieren. Ohne Abschluss gibt es keine Gewinner." Die Chance auf einen Ausgleich wäre für längere Zeit verspielt. Das weiß auch Kerry, der wie Obama einen außenpolitischen Erfolg sucht, der als Erbe ihrer sonst wenig spektakulären Amtszeiten bleibt. Die Konfrontation mit dem Kongress können sie bestehen; Obama kann Sanktionen per Dekret suspendieren und neue Gesetze per Veto blockieren.

Die Entscheidung liegt beim Ayatollah

Für Sarif ist die Situation weit schwieriger. Seine Zukunft wie auch die von Rohanis Präsidentschaft hängt an einem Deal und einer Wiederbelebung der Wirtschaft im Land - im März wählen die Iraner ein neues Parlament. Doch die Entscheidung liegt am Ende beim Obersten Führer Chamenei. Der Ayatollah hat Rohani ein Mandat für Verhandlungen erteilt, sich aber vorbehalten, deren Resultat zu billigen. Und niemand, nicht einmal Sarif, vermag zu prophezeien, ob Chamenei am Ende bereit ist, diesen letzten Schritt zu gehen.

Text mit Sprengsatz

Als "kompliziert" bezeichnen Diplomaten die Ausgangslage vor der entscheidenden Verhandlungsrunde über das iranische Atomprogramm in Wien. Es gebe zwar einen weitgehend fertigen Vertragstext, aber in keinem der entscheidenden Punkte einen Konsens. Die fünf UN-Vetomächte und Deutschland (P5+1) verlangen von Teheran, Beschränkungen zu akzeptieren, die es technisch unmöglich machen, in kurzer Zeit einen Sprengsatz zu bauen, sollte sich das Regime entgegen aller Beteuerungen dazu entschließen. Ziel ist es, die Zeit für einen solchen Ausbruchsversuch auf ein Jahr zu verlängern - und damit Reaktionsmöglichkeiten zu schaffen.

Iran müsste demnach akzeptieren, seine Kapazität zur Urananreicherung "deutlich zu reduzieren" - derzeit besitzt das Land mehr als 19 000 Zentrifugen, von denen knapp 10 000 in Betrieb sind. Welche Zahl für die P5+1 letztlich akzeptabel ist, hängt von anderen Faktoren ab, etwa der Menge des Urans, die in Iran gelagert wird - von "kommunizierenden Röhren" sprach ein Unterhändler. Die P5+1 verlangen zudem, dass ein im Bau befindlicher Forschungsreaktor so modifiziert wird, dass er nur geringe Mengen Plutonium produziert - der zweite Stoff, aus dem sich die Bombe bauen lässt. Auch müsste Iran beispiellos intensive Inspektionen akzeptieren.

Teheran beharrt bisher darauf, weiter im bisherigen Umfang anzureichern und verlangt vor allem, dass alle Wirtschaftssanktionen schnell und endgültig aufgehoben werden. Die P5+1 wollen dies nur stufenweise tun, um nicht jedes Druckmittel zu Beginn der Laufzeit eines Abkommen aus der Hand zu geben. Auch die ist umstritten. Während die P5+1 eine zweistellige Zahl anpeilen, will Iran nur wenige Jahre akzeptieren. Paul-Anton Krüger

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