Atompolitik:"Die Kernkraft ist nicht die Zukunftsoption"

Trotz scharfer Kritik aus der eigenen Partei hält Bundesumweltminister Norbert Röttgen daran fest, Atommeiler durch erneuerbare Energien zu ersetzen.

M. Bauchmüller und N. Fried

SZ: Herr Minister, sind Sie eigentlich ein zuverlässiger Politiker?

Offshore-Windpark Alpha Ventus - Einweihung

Der grüne Schwarze: Bundesumweltminister Norbert Röttgen bei der Inbetriebnahme eines Offshore-Windparks in der Nordsee.

(Foto: dpa)

Röttgen: Ich bemühe mich. Wieso?

SZ: Herr Mappus, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sagt, dass man sich auf Abmachungen mit Ihnen nicht verlassen kann.

Röttgen: Mir hat er das noch nicht gesagt. Ich glaube, es gibt auch kein Beispiel, das er mir vorhalten könnte.

SZ: Er sagt auch, es gehe nicht, dass derjenige, der für längere Laufzeiten zuständig ist, ständig dagegen schießt.

Röttgen: Zunächst bin ich für ein konsistentes Energiekonzept zuständig. Dazu gehören auch Laufzeitverlängerungen. Wir haben allerdings einen Maßstab, und das ist der Koalitionsvertrag. Der hat an dieser Stelle eine klare Aussage: Unser Ziel sind die erneuerbaren Energien. Die Kernenergie ist nicht die Zukunftsoption, sie ist abgeleitet vom Aufbau der erneuerbaren Energien. Das ist die Politik, die alle unterschrieben haben. Ich begrüße sehr, wie deutlich sich Stefan Mappus in seiner jüngsten Regierungserklärung zur Zukunft der erneuerbaren Energien bekannt hat. Deshalb werden wir uns schon einig werden.

SZ: Wie kann es dann sein, dass sich die Union so über die Kernkraft zerlegt, wenn doch alles so klar ist?

Röttgen: "Zerlegt" ist eine falsche Beschreibung. Diskussionen, auch Auseinandersetzungen, sind bei einer so grundlegenden Weichenstellung, wie wir sie mit dem Energiekonzept vornehmen, sogar essentielle Voraussetzung für die nötige Akzeptanz. Dabei müssen Sie schon unterscheiden zwischen der Kritik Einzelner einerseits und der vorherrschenden Meinung in der Breite der Partei und in der Bevölkerung andererseits. Dort wird der Kurs des konsequenten Umstiegs auf die erneuerbaren Energien uneingeschränkt befürwortet.

SZ: Diese Einzelnen sind Fraktionschefs, Ministerpräsidenten, Kabinettskollegen ...

Röttgen: Aber das ist doch ein normaler Prozess. Es geht um Weichenstellungen der Energieversorgung für die nächsten Jahrzehnte. Es geht um einen Paradigmenwechsel, weg von einer ressourcenverbrauchenden Wirtschaftsweise, hin zur Ressourcenschonung. Da sind Interessen betroffen, ist doch klar. Natürlich geht es bei der Kernenergie auch um viel Geld. Wir haben aber beschlossen, als Partei und in der Koalition, dass wir diesen Paradigmenwechsel wollen. Weil es die Wachstumsstrategie für das 21.Jahrhundert ist.

SZ: Leichter gesagt als getan.

Röttgen: Es ist noch nicht jedem klar, dass wir mit dem Umbau der Energieversorgung langfristig vierfach gewinnen. Wir gewinnen an Sicherheit. Zweitens werden wir unabhängiger von Energieimporten, drittens gewinnen wir mit erneuerbaren Energien eine ganz neue Industrie. Viertens hilft es dem Klimaschutz.

SZ: Aber es gibt ja auch Positionen, die dem gar nicht widersprechen und doch anders sind als ihre. Mancher fordert längere Laufzeiten, um jene Mehreinnahmen zu erzielen, die den Umbau zu erneuerbaren Energien finanzieren sollen - abgeschöpft von den Extragewinnen der Betreiber. Je länger desto besser.

Röttgen: Klar ist, dass wir die Sondergewinne aus längeren Laufzeiten mindestens zur Hälfte auch wieder zur Förderung erneuerbarer Energien einsetzen sollten. Das haben wir vor. Nur wird aus der Abschöpfung von Sondergewinnen noch kein energiepolitisches Konzept. Damit schaffen Sie nicht den Strukturwandel, nicht die notwendigen Investitionen in neue Netze. Ganz abgesehen davon, dass ein paar Milliarden abgeschöpfter Gewinne dafür lange nicht reichen. Dieser Umbau wird einen dreistelligen Milliardenbetrag an Investitionen verlangen. Da müssen wir anders ran.

"Es geht um Förderung"

SZ: Nämlich wie?

Röttgen: Indem wir an verschiedenen Punkten ansetzen, um die erneuerbaren Energien auszubauen. Unsere Vorstellung ist, dass das Rückgrat der künftigen Stromversorgung die Windenergie ist. Wir haben schon viel Windenergie im Binnenland, jetzt fangen wir mit der Windenergie auf dem Meer an. Da entsteht ein neuer Zukunftspfeiler. Wir brauchen Leitungsbau, aber der muss sich für die Bauherren auch rechnen. Wir brauchen schnellere Genehmigungsverfahren für Stromnetze, und dann nicht mehr nur simple Transportwege für Strom, sondern intelligente Netze zum Nutzen des Verbrauchers. Das alles entsteht im Grunde durch private wirtschaftliche Aktivität, die aber klare Bedingungen als Investitionsgrundlage braucht. Es geht um Förderung und um Verlässlichkeit.

SZ: Das klingt immer noch nach Stückwerk, nicht nach einem Plan.

Röttgen: Aber an einem solchen Plan arbeiten wir mit unserem Energiekonzept. Wir wollen ganzheitlich an die Sache herangehen. Das kriegen wir hin.

SZ: Der Eindruck ist aber, alle sprechen nur über Kernkraft.

Röttgen: Leider. Die öffentliche Debatte wird verengt auf eine Facette, die vielleicht noch fünf, zehn Prozent ausmacht. Aber über die neunzig Prozent sprechen wir zu wenig. Das müssen wir ändern.

SZ: Ohne den wirren Kurs der Koalition sähe das vielleicht anders aus. Nehmen Sie nur die Brennelementesteuer...

Röttgen: ... die ich unterstütze.

SZ: Nur hat die doch nichts mit Förderung erneuerbarer Energien zu tun.

Röttgen: Moment. Zunächst ist die Brennelementesteuer als Instrument richtig. Und verwenden wollen wir das Geld zum einen für die Sanierung des Atomendlagers Asse, zum anderen für die Konsolidierung des Haushaltes. Das hat auch damit zu tun, dass es ja jetzt schon Sondergewinne der Betreiber gibt. Sie profitieren davon, dass für Kohlekraftwerke ein Zertifikatehandel für den Klimaschutz eingeführt wurde, für Kernkraftwerke aber nicht. Förmlich knüpft die Brennelementesteuer zunächst nicht an längere Laufzeiten an.

SZ: Da gehen die Interpretationen aber weit auseinander...

Röttgen: Interpretation hat ihre Grenze am Wortlaut, und den Wortlaut haben wir genau so beschlossen. Im Koalitionsvertrag haben wir darüber hinaus festgelegt, einen Teil der Mehreinnahmen aus der Laufzeitverlängerung in erneuerbare Energien zu stecken. Aber klar, beides muss in Verbindung gebracht werden, und wir müssen bei beiden Belastungen aufpassen, dass wir die Unternehmen nicht überlasten.

"SPD und Grüne verweigern Verantwortung"

SZ: Das heißt, die Abschöpfung der Zusatzerlöse kommt auf die Brennelementesteuer noch oben drauf?

Röttgen: Über Instrument und Abschöpfung wird im Zusammenhang des Energiekonzeptes noch zu entscheiden sein. Natürlich dürfen die Energieversorgungsunternehmen steuerlich auch nicht unverhältnismäßig belastet werden.

SZ: Welche Laufzeitverlängerung wird am Ende herausspringen?

Röttgen: Klar ist, beide Verfassungsressorts, Innen- und Justizministerium, haben die Bundesregierung in einer Stellungnahme darauf festgelegt, dass nur eine moderate Verlängerung ohne Zustimmung des Bundesrates möglich ist. Ein solches Gesetz beabsichtigt die Bundesregierung zu erarbeiten.

SZ: Und was bedeutet "moderat"?

Röttgen: Was das rechtlich bedeutet, werden die Verfassungsressorts noch konkretisieren. Dabei spielt der Zusammenhang zwischen der geplanten und der geltenden Rechtslage eine Rolle. Wir werden die Laufzeitverlängerung in Beziehung zum Status quo, zur vorhandenen Strommenge bei den Kernkraftwerken sehen müssen.

SZ: Die entspräche sieben Jahren.

Röttgen: Jetzt muss überlegt werden, ab welcher Jahreszahl Karlsruhe am Ende sagen würde: Hier ist auf jeden Fall der Bundesrat zu beteiligen. Das Ergebnis wäre dann nämlich gar keine Laufzeitverlängerung. Die Verfassungsrechtslage ist kompliziert, und wir müssen jetzt ausloten, was unter den politischen Rahmenbedingungen möglich ist.

SZ: Mit Energiepolitik hat das nicht mehr viel zu tun. Müssten Sie nicht erst ein Konzept entwickeln und dann Mehrheiten suchen, auch im Bundesrat? Dann müssen Sie eben mit der SPD reden.

Röttgen: SPD und Grüne sind dazu leider nicht bereit. Sie verweigern sich der Verantwortung. Dabei ist Verlässlichkeit die zentrale Anforderung an ein Konzept, das die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unseres Landes für Jahrzehnte definieren und die Weichen für die Zukunft stellen soll. Die Entscheidungen, die wir mit dem Energiekonzept treffen, müssen so sein, dass Unternehmen darauf Investitionsentscheidungen für Jahrzehnte gründen können. Und sie müssen jetzt getroffen werden, wenn wir den Anschluss an eine Entwicklung nicht verpassen wollen, die entweder mit uns oder ohne uns stattfindet. Dabei sollte Energiepolitik zu den Bereichen gehören, über die ein breiter ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Konsens herrscht. Das ist kein Thema, wo sich bei jeder Bundestagswahl der Kurs um 180 Grad drehen sollte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: