Rätsel um Atommüll aus Jülich:In Blechdosen nach Asse

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Verwirrung um 2285 Brennelementekugeln aus dem Forschungsreaktor Jülich: Ist der Atommüll verbotenerweise in das marode Bergwerk Asse gebracht worden? Wenn nicht, wo ist er dann? In Jülich heißt es nun, man vermisse gar keine Brennelemente.

Schlamperei mit Atommüll: Der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen seien mehr als 2000 Brennelementekugeln aus dem Forschungszentrum Jülich abhandengekommen, lautete am gestrigen Sonntag die alarmierende Meldung.

Castor-Behälter stehen 2010 im Forschungszentrum Jülich in einer Lagerhalle. Aus dem Forschungszentrum sind offenbar Brennelemente ins ehemalige Forschungsbergwerk Asse gebracht worden. (Foto: dpa)

Einem Zeitungsbericht zufolge scheint ihr Verbleib geklärt zu sein. Die Brennelementekugeln wurden aus dem Forschungszentrum Jülich in das Forschungsbergwerk Asse gebracht. Dies gehe aus Unterlagen der Gesellschaft für Strahlenschutz und Umweltforschung hervor, berichtet die Rheinische Post.

Danach seien am 23. November 1976 und am 15. Dezember 1976 insgesamt drei Behälter mit Brennelementekugeln per Bahn von Jülich nach Asse gebracht worden. Das radioaktive Material sei in Blechdosen und Fässern transportiert worden.

Ein von rp-online veröffentlichtes Transport-Dokument trägt die Bezeichnung "Begleitliste zur Versuchseinlagerung mittelradioaktiver Abfälle im Salzbergwerk Asse". Als Art der radioaktiven Abfälle sind "BE-Kugeln in Blechdose" vermerkt.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) dementierte den Zeitungsbericht der Rheinischen Post. "Die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung als vermisst gemeldeten 2285 Brennelementekugeln aus dem früheren Forschungsreaktor in Jülich befinden sich nicht in der Asse", teilte das BfS mit. Zwar seien in die Schachtanlage 1976 zwei Fässer mit Brennelementekugeln aus Jülich eingelagert worden. Es handle sich dabei aber um mittelradioaktiven Abfall.

Das Bundesumweltministerium kritisierte wegen des verschwundenen Atommülls die Atomaufsicht in Nordrhein-Westfalen. "Das BMU ist einigermaßen irritiert über die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht durch Nordrhein-Westfalen", sagte die Ministeriumssprecherin Christiane Schwarte. Das Ministerium werde Vertreter der Landesbehörde nun zu einem Gespräch nach Berlin einladen.

Das Forschungszentrum Jülich hat unterdessen bestritten, überhaupt Brennelementkugeln zu vermissen. Der Gesamtbestand sei vollständig im Zwischenlager des Forschungszentrums gelagert und bis aufs Milligramm genau dokumentiert, teilte das Forschungszentrum am Montagnachmittag in Jülich mit. Der größte Teil der "gesuchten" Brennelementkugeln sei für Forschungszwecke zerstört und anschließend in 200-Liter-Fässer einbetoniert worden. Neben den rund 288.000 hoch radioaktiven Kugeln in den Castoren sei auch der Verbleib der angeblich vermissten Brennelementkugeln dokumentiert.

Am Mittwoch soll sich der Düsseldorfer Landtag mit der Angelegenheit befassen. Die FDP hat dringliche Anfragen für die Sitzungen des Wirtschafts- und des Umweltausschusses angekündigt. "Wir nehmen es nicht unwidersprochen hin, dass die Landesregierung gemeinsam mit den Grünen durch nicht fundierte Aussagen die Ängste der Bevölkerung schürt", sagte der umweltpolitische Sprecher der Liberalen, Kai Abruszat.

Am Wochenende war durch eine Antwort von Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) auf eine kleine Anfrage der Grünen bekanntgeworden, dass die Landesregierung keine genaue Kenntnis hat, wo rund 2300 Brennelemente aus dem 1988 stillgelegten Forschungsreaktor geblieben sind. "Allem Anschein nach" seien Brennelementkugeln aus Jülich im Forschungsbergwerk Asse eingelagert worden, antwortete Schulze.

In der Asse durften aber keine Brennelemente deponiert werden. Das Forschungszentrum versicherte auch, bei den fraglichen Brennelementen handele es sich um zerbrochene Kugeln, die einbetoniert in einem Zwischenlager in Jülich aufbewahrt werden.

Noch am Montag will sich der Vorstandsvorsitzenden des Forschungszentrums, Prof. Achim Bachem, in Berlin zusammen mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Thomas Rachel, äußern. Auch Schulze hat eine Erklärung angekündigt.

Im maroden Atommülllager Asse lagern nach Angaben des Bundesumweltministeriums knapp 14.800 Abfallbehälter mit mittelaktiv strahlendem Material. Das ehemalige Salzbergwerk Asse II bei Wolfenbüttel wurde seit 1965 zwar offiziell als Forschungseinrichtung des Bundes betrieben. In dem Schacht wurden aber über Jahrzehnte auch radioaktive Abfälle der Industrie in großen Mengen abgelegt, da ein Endlager nicht zur Verfügung stand.

Das inzwischen einsturzgefährdete Lager soll möglichst komplett geräumt werden und der Müll wieder an die Oberfläche gebracht werden. Dafür sind Kosten von zwei Milliarden Euro eingeplant, Experten-Schätzungen reichen aber bis zu sechs Milliarden Euro.

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