Atomlager Asse:"Sämtliche Befürchtungen bestätigt"

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Bundesumweltminister Sigmar Gabriel stellt dem niedersächsischen Atomlager ein verheerendes Zeugnis aus - Asse belaste die gesamte Endlager-Suche.

Ralf Wiegand

Es hat sich schon lange etwas zusammengebraut, tief unter niedersächsischer Erde. Im Landkreis Wolfenbüttel liegen im Stollen eines stillgelegten Salzbergwerks 46.900 Kubikmeter radioaktiven Materials, aufgeteilt in knapp 126.000 Fässer. Dass der Schacht Asse II - 1967 als Versuchsendlager eingerichtet und vom Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, dem heutigen Münchner Helmholtz-Zentrum, betrieben - problematisch sein könnte, ist seit Monaten bekannt.

"Von Anfang an ein Schweizer Käse": Umweltminister Gabriel zum Atomlager Asse. (Foto: Foto: ddp)

Im Schacht sammelt sich radioaktive Lauge, teilweise bis zum Elffachen des erlaubten Grenzwertes belastet. Die Problem-Lauge wurde ohne atomrechtliche Genehmigung in tiefere Lagen gepumpt oder, sofern unterhalb der Grenzwerte verstrahlt, in andere Bergwerke verlagert. In manchen Fässern, so ergab die Auswertung alter Lieferscheine, haben sich offenbar Brennstäbe befunden. "Sämtliche Befürchtungen über den Zustand der Asse haben sich bestätigt", sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel am Dienstag in Berlin, wo er einen Statusbericht zur Asse vorstellte und interpretierte. Für den SPD-Politiker ist das Versuchslager "die problematischste kerntechnische Einlagerung, die wir in Europa finden".

"Unglaublicher Vorgang"

Bevor bekannt geworden war, dass sich in einer Wanne unter Tage 12.000 Kubikmeter leicht radioaktiver Flüssigkeit täglich sammeln, und das schon seit vielen Jahren, war die Asse kaum jemandem ein Begriff. Die Endlager-Diskussion bestimmte Gorleben. Im dortigen Salzbergwerk sollen dereinst die Jahrtausende strahlenden Hinterlassenschaften der Atomindustrie für alle Zeiten eingelagert werden.

In der Asse, so hieß es bisher, könnten Forscher unter realen Bedingungen die Einlagerungen radioaktiver Stoffe in Salz erproben, um daraus etwa Rückschlüsse auf die Eignung Gorlebens als Endlager ziehen zu können. Tatsächlich aber, sagte Gabriel, sei die Asse selbst von vorneherein als Endlager geplant und genutzt worden. Das Problem der eindringenden Flüssigkeit sei von Anfang an bekannt gewesen, "ein unglaublicher Vorgang", sagte der Umweltminister. Asse belaste nun die gesamte Endlager-Suche. Für das Thema seien die Vorgänge in seinem Wahlkreis Wolfenbüttel "der größte anzunehmende Unfall".

Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn fordert bereits, die Vorfestlegung auf Gorleben als Endlager aufzugeben. Die Mängel im Schacht Asse seien Warnung genug. Gabriel hingegen sagte, die beiden Anlagen seien nicht miteinander zu vergleichen. Asse sei "von Anfang an ein Schweizer Käse" gewesen, so der Minister, da dort Salz abgebaut worden sei. Bei Gorleben handle es sich dagegen um einen intakten Salzstock. Gabriel hat bisher als Umweltminister vergeblich versucht, die Endlager-Suche aufs gesamte Bundesgebiet auszuweiten. Das Thema gilt als zu brisant, um es in einer großen Koalition anzupacken.

Das Helmholtz-Zentrum bewertete den vom TÜV Nord erstellten Statusbericht ganz anders. In einer Mitteilung hieß es, die externen Gutachter hätten "weder materielle Verstöße gegen den Strahlenschutz auf der Schachtanlage noch die Gefährdung von Menschen" festgestellt. Das Zentrum sei bereit, die bis 2014 geplante sichere Schließung des Schachts - er soll geflutet werden - "auch unter veränderten Rahmenbedingungen durchzuführen".

Neuer Betreiber gesucht

Unterdessen wächst die Allianz derer, die dem Bundesforschungsministerium unterstellten Helmholtz-Zentrum den Betrieb der Asse entziehen wollen. "Wir müssen das ganze auf neue Füße stellen", sagte Gabriel. Nach einem Treffen mit Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) und Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) am kommenden Donnerstag müsse ein Betreiberwechsel "ergebnisoffen diskutiert" werden, sagte Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Die Opposition im Landtag fordert, die Asse in die Verantwortung des Bundesumweltministeriums zu geben. Auch Stefan Birkner (FDP), Staatssekretär im niedersächsischen Umweltministerium, äußerte Zweifel am Helmholtz-Institut: "Wir werden die Einschätzung nicht teilen, dass der Betreiber über die nötige Zuverlässigkeit und Fachkunde verfügt", sagte er. Eine Entscheidung müsse schnell fallen.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast stellte nach ARD-Angaben Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die Verantwortlichen des Atomlagers Asse. Wissenschaftler hätten dort "jahrelang gemeingefährliche Straftaten begangen", sagte sie dem ARD-Hauptstadtstudio.

Die Diskussion belastet die Asse-Belegschaft angeblich schwer. In einem offenen Brief an Bundes-, Landes- und Lokalpolitiker schreibt der Betriebsrat von "persönlichen Anfeindungen, wilden Beschimpfungen, Herabsetzung und Ausgrenzung". Der Betriebsrat wisse "sehr gut, dass die Kolleginnen und Kollegen ihre Aufgaben weder dilettantisch noch planlos oder gar ohne die erforderlichen Kenntnisse wahrnehmen". Die Personalvertretung forderte die Politiker auf, "der unqualifizierten Panikmache und Hysterie entschieden entgegenzutreten".

© SZ vom 03.09.2008/cag/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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