Katastrophe in Japan: Weltweite Reaktionen:Von Menschen und Mahnern

Viele Japaner gehen relativ gefasst mit der Katastrophe im eigenen Land um. Andernorts sind die Reaktionen schon fast hysterisch: In den USA werden die Vorräte an Jodtabletten knapp, in Deutschland steigt der Absatz von Geigerzählern.

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In Japan herrscht nach dem Erdbeben und dem Tsunami Chaos, aus dem Atomkraftwerk Fukushima-1 tritt Radioaktivät aus - und trotzdem scheinen viele Japaner ihr Schicksal relativ gefasst zu ertragen.

Die Reaktionen im Rest der Welt sind dagegen mancherorts völlig übertrieben. In Deutschland statten sich manche mit Geigerzählern aus, die Polen erwarten die "atomare Wolke" in zwei Wochen. Und die Österreicher sehen sich als Mahner vor der Atomkraft bestätigt.

SZ-Korrespondenten berichten, wie die Menschen in aller Welt auf die Nachrichten aus Japan reagieren.

Großbritannien

Die Briten waren einmal Herrscher über ein Weltreich, und vielleicht haben ihre heutigen Nachkommen deshalb bessere Geographie-Kenntnisse als Deutsche oder Amerikaner. Sie wissen, dass Japan und sein brennender Atommeiler Tausende von Kilometern entfernt sind, und deshalb halten sich Hysterie und Panik auf den britischen Inseln deutlich in Grenzen. Von gestiegener Nachfrage nach Jodtabletten oder Geigerzählern jedenfalls ist nichts zu spüren.

Das heißt nicht, dass die Berichterstattung aus Japan nicht auf den nuklearen Notstand eingehen würde. Die Lage im AKW Fukushima-1 dominiert die Titelseiten der Zeitungen und die Spitzenmeldungen der Rundfunk- und Fernsehnachrichten. Doch zugleich werden britische Reporter nicht müde darauf hinzuweisen, dass es Erdstoß und Flutwelle waren, die die Verheerungen ausgelöst und Tausende von Menschen getötet haben und nicht der Kernreaktor. Und die größte Sorge wird angesichts der drohenden Gefahren für die Weltwirtschaft geäußert. Die Briten waren schließlich nicht nur eine Welt- sondern immer auch eine Handelsmacht.

Die Politik allerdings will Konsequenzen aus dem japanischen Atomnotstand ziehen. Wie Energieminister Chris Huhne bekanntgab, sollen die Sicherheitsvorkehrungen für die geplante nächste Generation britischer Atomkraftwerke erneuert und strenger überprüft werden. Im Königreich gibt es derzeit zehn Reaktoren, die 18 Prozent des Stroms liefern, und bis 2023 abgeschaltet werden sollen. Das erste neue Kraftwerk soll 2018 ans Netz gehen.

Wolfgang Koydl, London

Österreich

Beängstigten die Nachrichten aus Japan nicht so sehr, wüsste man nicht um die verheerenden Folgen eines Atomunfalls für den ganzen Globus - aus der Stimmung der Österreicher ließe sich gewisse Genugtuung, ja, Triumph erspüren: Der Triumph des kleinen, tapferen Volkes inmitten des Atomkontinents Europa, das sich seit Jahrzehnten konsequent gegen die Kernkraft stemmt. Vor mehr als 30 Jahren haben sich die Österreicher mit der Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf, das, wiewohl komplett fertiggestellt, nie in Betrieb ging, konsequent gegen jede Energienutzung der Kernspaltung entschieden. Seither herrscht ein Bewusstsein wie in dem kleinen gallischen Dorf von Asterix und Obelix gegenüber dem niederträchtigen Rom: Wir haben schon immer die besseren Argumente gehabt, wir haben - leider - recht behalten.

Aktuelle Ängste gibt es kaum. Dafür aber eine prinzipielle Beängstigung, die damit zu tun hat, dass man als einziger Einsichtiger von lauter Verblendeten umgeben scheint. Man ist das Bedrohungsbild Kernkraftunfall so gewohnt, wie die Ablehnung dieser Technik zur nationalen Identität gehört. Die Menschen suchen sich zwar mit Jodtabletten einzudecken. Die Apotheken verkaufen aber keine, weil prophylaktischer Konsum solcher Mittel als äußerst gesundheitsschädlich gilt. In den Arzneischränken der Haushalte wird sich längst einiges davon finden. Nicht nur erst seit Tschernobyl 1986, sondern aus der Gewissheit heraus, von Atomnarren umstellt zu sein.

Tatsächlich stehen rundum, in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien und Deutschland, Reaktoren, die nicht nur grundsätzlich, sondern auch wegen ihres Alters, ihrer Bauart und ihres Standortes als äußerst gefährlich gelten. Dass Deutschland so schnell auf die Katastrophe am andern Ende Welt reagiert, macht zwar Figur. Man traut aber Angela Merkel und ihrer Regierung wie dem Rest des technisch zu selbstsicheren Europa zu, nach ein paar Monaten "zur Tagesordnung überzugehen", wie es Bundeskanzler Werner Faymann in Wien genannt hat. Dagegen will man sich stemmen.

Michael Frank, Wien

Polen

Die ersten Tage waren die japanischen Katastrophen für die absolute Mehrheit der Polen ein tragisches Schauspiel vom anderen Ende der Welt. Doch am Donnerstag meldete das Boulevardblatt Fakt in großer Aufmachung, dass die "Atomwolke" in zwei Wochen Polen erreiche.

Nun beginnt auch an der Weichsel eine Debatte. Zwar gibt es in Polen bislang keine Atomkraftwerke, wohl aber Pläne für zwei im Norden des Landes. Die Mehrheit der Bevölkerung ist zwar schon immer dagegen gewesen, doch Vertreter der Regierung bekräftigten nun, man werde an den Plänen festhalten.

Auf die Eckdaten der Wirtschaft und das Konsumverhalten der Polen hatte die Katastrophe bislang nur geringe Auswirkungen. Der Aktienhandel zeigte einen kleinen Krisenausschlag nach oben: Die Aktien der Hersteller von Windkraftanlagen zogen an. Auch die Nachfrage nach Gold, die mit den Unruhen im arabischen Raum sprunghaft zugenommen hatte, stieg weiter leicht an.

Der Schweizer Franken ist ebenfalls gefragt. Wirtschaftsexperten sehen die Autofabriken in Polen sogar als künftigen Profiteur: Mehrere internationale Konzerne lassen in Polen für den globalen Export Klein- und Kompaktwagen bauen, die mit japanischen Marken konkurrieren.

Thomas Urban, Warschau

USA

Eigentlich hat die US-Atomkontrollbehörde am Montag Entwarnung gegeben: Es sei "sehr unwahrscheinlich", dass radioaktive Strahlung aus dem Atomkraftwerk Fukushima-1 bis nach Hawaii oder aufs Festland der Vereinigten Staaten gelange. Und trotzdem befürchten viele Menschen auf der anderen Seite des Pazifiks offenbar das Schlimmste: Der Ansturm auf Jodtabletten ist so groß, dass einige Marken bereits ausverkauft sind. "Ich kann ihnen nicht sagen, wie viele Frauen hier in Tränen aufgelöst anrufen", sagte der Präsident des führenden Herstellers Anbex Inc. dem Wall Street Journal.

Gleichzeitig hat die Krise in Japan die Debatte um die Atomenergie in den USA neu entfacht: Präsident Barack Obama will an der Kernkraft als Energiequelle festhalten, kündigte am Mittwoch jedoch an, die Sicherheit der Atomkraftwerke überprüfen zu lassen. Ob die Bevölkerung, die sich im vergangenen Jahr noch zu 62 Prozent für die Nutzung der Atomenergie ausgesprochen hat, diesen Kurs nach der Ereignissen in Japan unterstützen wird, ist fraglich. Im Netz mehren sich neben vielen Aufrufen zu Hilfeleistungen kritische Stimmen. Bei Twitter schreibt ein User namens "krutchgirl": "Die nukleare Krise in Japan ist wirklich beängstigend. Sie sollte uns dazu bringen, in den USA besser aufzupassen."

Für Entrüstung sorgte unterdessen der rechtskonservative Radiomoderator Glenn Beck. In seiner Radioshow hatte Beck das schwere Erdbeben in Japan eine mögliche Strafe Gottes genannt. Viele US-Medien nannten seine Äußerungen "Unsinn".

Tschechien

Vieles, was die Nachbarn in Deutschland und Österreich heftig erregt, nehmen die Tschechen achselzuckend zur Kenntnis, so auch jetzt die erregten Debatten um die Atomkraft. In Tschechien haben die Befürworter der Nutzung der Kernenergie eine starke Mehrheit. Dagegen sind nur einige Bürgerinitiativen und die Grünen, die seit dem Absturz auf 2,4 Prozent bei der Wahl im Mai 2010 aber im Parlament nicht mehr vertreten sind. Entsprechend gelassen reagiert man jetzt auf die Katastrophe in Japan.

Ministerpräsident Petr Necas erklärte, die beiden tschechischen Atomkraftwerke Temelin bei Budweis und Dukovany bei Brünn seien sicher, und es gebe keinen Grund, der Medienhysterie um die atomare Sicherheit zu erliegen. Die beiden Anlagen befänden sich in einem der am wenigsten erdbebengefährdeten Gebiete der Welt, und es sei auch bekannt, dass in Tschechien kein Tsunami drohe.

Der geplante Ausbau des Atomkraftwerkes Temelin, das von der bayerischen und der österreichischen Grenze nur rund 60 Kilometer entfernt ist, wird also nicht in Frage gestellt. Wirtschaftsminister Martin Kocourek sagte, die Technologie, die dort zum Einsatz kommen solle, sei noch einmal eine Generation weiter als die jetzige und deshalb auch sicherer. Die Zeitung Lidove noviny gab einem Bericht über die Stimmung in anderen Ländern den Titel "Weltweite Atom-Hysterie".

Klaus Brill, Prag

Deutschland

Die Explosionen in Fukushima-1 haben das Vertrauen der Deutschen in die Beherrschbarkeit der hochkomplexen Technik tief erschüttert. Dabei stehen sie der Atomenergie zum großen Teil sowieso schon sehr kritisch gegenüber. Wie groß die Sorge der Bürger nun ist, spiegelt sich im Zulauf bei den Anti-Atomkraft-Demonstrationen wider, sowie im Moratorium über die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke der schwarz-gelben Koalition.

In der Bevölkerung kommt die Angst hinzu, dass eine radioaktive Wolke von Japan aus Deutschland erreichen könnte - ähnlich wie dies 1986 nach der Katastrophe von Tschernobyl geschehen war. "Seit gestern klingeln die Telefone praktisch ununterbrochen", erklärt Christina Hacker vom Umweltinstitut München. Auch beim Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) meldeten sich schon Hunderte Bürger. Die meisten wollen wissen, ob sie bereits Jodtabletten nehmen sollten. Einzelne fragen nach, ob sie noch vor die Türe gehen oder Milch trinken könnten, oder ob auch in Bayern ein folgenschweres Erdbeben möglich sei. "Viele Leute sind in diesen Tschernobyl-Schock gefallen", fasst Hacker die Reaktionen zusammen. Das erklärt vermutlich auch die gestiegene Nachfrage nach Strahlungsmessgeräten - sogenannten Geigerzählern. "Wir haben in den vergangenen Tagen Hunderte Geräte verkauft", sagte ein Sprecher des Elektronikfachmarktes Conrad. Und in den Apotheken fragen viele Kunden tatsächlich vermehrt nach Jodtabletten.

Von der vielzitierten German Angst zu sprechen, ist aber wohl übertrieben. Denn gekauft werden die Mittel nicht - oder nur, um sie an Freunde und Bekannte in Japan zu schicken. "Viele Verbraucher reagieren nach Beobachtungen der Apotheker besonnen auf die Ereignisse in Japan", erläuterte der Sprecher des Bayerischen Apothekerverbands, Thomas Metz. Und das ist gut so, denn Fachleute warnen vor der Einnahme von Jodtabletten "auf eigene Faust". Die Präparate sollten nur nach behördlicher Aufforderung genommen werden. Sie verhindern zwar, dass sich radioaktives Jod aus der Luft oder Nahrungsmitteln in der Schilddrüse anreichert. Das sei aber nur sinnvoll, wenn tatsächlich eine radioaktive Wolke über Deutschland hinwegziehe. Bei älteren Erwachsenen kann zu viel Jod sogar das Risiko für Schilddrüsenerkrankungen erhöhen.

sueddeutsche.de/dpa/mcs

Israel

Die Israelis sind Kriege und damit auch Katastrophen gewöhnt, und der dauerhafte Umgang mit Grenzsituationen härtet ab. Eine apokalyptische Dreifachbedrohung wie nun in Japan durch Erdbeben, Tsunami und den atomaren GAU löst gewiss auch hier Mitgefühl und Anteilnahme aus, doch für Panikattacken oder das, was man überall auf der Welt German Angst nennt, sind die Menschen zwischen Haifa und Eilat nicht zu haben.

Wenn israelische Experten nun befragt werden zur Erdbebensicherheit, zum Tsunamischutz oder der Sicherheit der nuklearen Anlagen, dann ist das Ergebnis meist niederschmetternd: Israel wirkt schlecht gerüstet. Doch sehr schnell rücken andere Gefahren wieder in den Vordergrund - ein Siedlermord, der Terror, die iranische Bombe. Zwischendurch bleibt in den Zeitungen höchstens noch Platz, um ernsthaft der Frage nachzugehen, ob den mehr als 130 Sushi-Restaurants allein in Tel Aviv nun ein Nachschub-Engpass für Sojasauce und Wasabi droht.

Peter Münch, Tel Aviv

Argentinien

Auch Buenos Aires wird bombardiert von den Schreckensmeldungen aus Japan, das auf der anderen Seite der Erdkugel liegt. Die Zeitungen, Fernsehsender und Radiokanäle machen seit Tagen mit der Apokalypse aus Tokios Norden auf, dabei sind Argentiniens Medien gerade in diesem Wahlkampfjahr eher innenpolitisch interessiert. So entgeht niemandem, was sich in den Havaristen von Fukushima-1 zuträgt.

"Biblisch, mich deprimiert das", sagt Lucas Leopoldo, Gemüsehändler im hübschen Viertel Palermo. Man erinnert sich daran, dass Argentinien zwei alte Atomkraftwerke besitzt und ein drittes nach langer Pause fertig baut. Alles sicher, predigen Betreiber und Nuklearkommission. Außerdem gebe es an den Standorten der argentinischen Reaktoren keine Erdbeben und Tsunamis. Berichterstatter jagen derweil nach Argentiniern in Japan, es sind erstaunlich viele. "Wir dürfen nicht auf die Straße, und es gibt keinen Tropfen Benzin", meldet in dem Blatt Clarín ein Adrián Della Rosa, nur 115 Kilometer entfernt von den strahlenden Anlagen und 18.400 Kilometer weit weg von einem sonnigen Nachmittag im Spätsommer von Buenos Aires.

Peter Burghardt, Buenos Aires

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