Atomkatastrophe in Japan: Deutscher Student in Tokio:"Hier klingt das alles ganz anders"

Nach der Explosion im AKW Fukushima-1 wollte Benjamin H. Japan sofort verlassen. Nun ist der Student von Tokio weiter nach Westen, nach Nagoya, gefahren. Dort wartet er nun darauf, dass sich die Lage beruhigt - und weiß nicht, wem er glauben soll: den gelassenen Japanern oder den aufgeschreckten Europäern.

Benjamin H. lebt seit vier Jahren in Japan. Der 27-Jährige Deutsche studiert International Business und hat gerade seinen Master in Tokio gemacht. Nach dem Erdbeben am vergangenen Freitag und der Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima-1 floh er mit seiner Freundin ins weiter westlich gelegene Nagoya. Auf sueddeutsche.de schildert er seine Erlebnisse in den vergangenen Tagen.

Benjamin Hentschel, Student in Japan

Benjamin H. lebt seit vier Jahren in Japan. Nach dem Erdbeben floh er mit seiner Freundin von Tokio ins weiter westlich gelegene Nagoya.

(Foto: oh)

"Als in Tokio die Erde bebte, war ich gerade im Immigrationsamt der Stadt, um mein Visum zu verlängern. Ich bin sofort aus dem Gebäude herausgelaufen, draußen haben die Bäume gewackelt. In mir stieg Panik auf. Seit vier Jahren bin ich in Japan, aber so ein starkes Beben habe ich noch nie erlebt. In Japan haben fast alle Mobiltelefone eine TV-Funktion, ich habe also mein Gerät eingeschaltet und sah sofort die Berichte über das Erdbeben. Eigentlich hatte ich noch einmal zurück in die Behörde gehen wollen, aber diesen Plan habe ich schnell verworfen. Die Angst vor dem Tsunami war so groß, dass ich von der Bucht erst einmal ins Landesinnere gerannt bin. Bis nach Hause brauchte ich dann etwa acht Stunden, da der regionale Bahnverkehr komplett abgeschaltet war und ich auf dem Weg mehrmals versuchte, Batterien für mein leeres Handy zu kaufen. Ohne Erfolg.

Meine Wohnung liegt im Bezirk Nakano, im Westen von Tokio. In der Nacht auf Samstag habe ich in meinen Klamotten geschlafen und den Fernseher über Nacht laufen lassen, um im Notfall schnell die Wohnung verlassen zu können. Das Handy hatte ich neben dem Bett liegen. Die meisten Mobiltelefone haben hier ein Frühwarnsystem installiert, um die Menschen vor Erdbeben zu warnen. Vor dem großen Beben hat es nicht funktioniert, vor den vielen kleineren Nachbeben schon.

Am Samstag bin ich mit meiner Freundin erst einmal einkaufen gegangen. Manche Läden hatten noch geschlossen, aber es gab auch Supermärkte, die geöffnet waren. Wir haben unsere Vorräte aufgestockt, vor allem mit Pasta. Als dann plötzlich die Meldungen von der Explosion im Atomkraftwerk Fukushima kamen, stieg in mir wieder die Panik auf. Meine erste Reaktion: Ich wollte nur raus aus diesem Land.

Also sind wir zum Tokioter Flughafen Haneda gefahren. Dort waren große Menschenmengen und alle Tickets nach Europa waren ausverkauft. Einen Platz in einem Flugzeug nach Singapur hätten wir bekommen können, aber wir hatten kein Visum, also ging das auch nicht. Zusammen mit einem Kumpel und dessen Freundin sind meine Freundin und ich dann in den Nachtbus nach Nagoya gestiegen. Nach Westen, dort sollte es sicherer sein. Nagoya liegt etwa sechs Stunden westlich von Tokio.

In Nagoya läuft das Leben ganz normal weiter. Die Supermärkte sind geöffnet, die Internetverbindungen funktionieren, Strom fließt ganz ohne Unterbrechung. Am Anfang haben wir die Nächte in Internetcafés verbracht, mittlerweile haben wir uns in einem kleinen Hotel eingemietet. Aber das ist auf Dauer ziemlich teuer. Mein Kumpel und seine Freundin sind mittlerweile weiter nach Kyoto gefahren, von dort aus wollen sie Japan mit dem Flugzeug verlassen. Die Lage an den Flughäfen hat sich inzwischen beruhigt, es gibt Tickets nach Europa und die kosten etwa 800 Euro. Gar nicht so teuer.

Und wir? Wir bleiben erst einmal hier. In den vergangenen Tagen haben wir die Zeit genutzt, um Sightseeing zu machen und uns Nagoya anzuschauen. Das mag zwar seltsam klingen, ist in einer Situation, in der man selbst gerne zur Normalität zurückkehren will, eine gute Ablenkung. Nun bin ich im Hotelzimmer und todmüde. Die letzten Nächte hatten wir nicht viel geschlafen.

Wem kann ich glauben?

Natürlich bin ich besorgt. Ich lese in der deutschen Presse viel von der Atom-Apokalypse, da wird unsere Situation hier sehr negativ beschrieben. Ich sehe auch die Pressekonferenzen des japanischen Regierungssprechers, gerade erst hat er wieder gesprochen. Da klingt alles ganz anders. Aber ich merke auch, dass er den Fragen der Journalisten ausweicht und bin nicht sicher, ob ich ihm glauben kann. Er bekommt wahrscheinlich auch nicht alle Informationen.

Nach Erdbeben in Japan - Strom wird knapper

Skyline von Tokio bei Nacht: Nach dem Erdbeben wird Strom in der Hauptstadt immer knapper. In Nagoya, wo Benjamin H. inzwischen ist, läuft das Leben ganz normal weiter.

(Foto: dpa)

Klar, in Tokio sind die Menschen verunsichert - aber die meisten Japaner sind überhaupt nicht panisch. Das beruhigt auch mich. Meine Freundin ist Japanerin. Deren Eltern sprechen gar von Panikmache der internationalen Medien. Daher zögert sie derzeit noch, mir zu folgen, wenn ich jetzt das Land verlassen würde.

Also bleibe auch ich. Zunächst in Nagoya, aber ich möchte möglichst schnell zurück nach Tokio. Schließlich habe ich alles in meiner Wohnung gelassen, bevor wir abgehauen sind. Ich habe nur das Nötigste zusammengepackt und die Rollläden heruntergelassen.

Meine Eltern in Deutschland machen sich große Sorgen. Sie wollen, dass ich zurückkomme. Aber ich finde, es ist momentan zu früh, um diese Entscheidung zu treffen. Ich hoffe, dass sich die Lage wieder bessert. Ich habe International Business studiert und in Japan meinen Master gemacht. Nun hatte ich mir überlegt, in Japan einen Job zu suchen, aber das wird jetzt bestimmt ziemlich schwer. Eigentlich hätte in wenigen Tagen die Abschlusszeremonie meines Studienjahrgangs in Tokio stattgefunden. Eben habe ich eine E-Mail der Universität bekommen. Darin steht: Die Feier findet wie geplant statt."

Protokoll: Tobias Dorfer

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