Atomgipfel im Kanzleramt:Auf der Suche nach Weisheit

Die fünf Atom-Ministerpräsidenten, zwei Minister und die Kanzlerin: Bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt wird über den Atomausstieg beraten. Doch Merkel verlässt sich nicht mehr nur auf die Stimmen aus ihrem Lager - und installiert einen "Rat der Weisen".

Er wollte eigentlich Wahlkampf machen. Zu Hause, in Baden-Württemberg, Endspurt. Doch Ministerpräsident Stefan Mappus muss nach Berlin. Er, der lange an vorderster Front für die Atomkraft gekämpft hat, muss zum Krisentreffen, zum Atomgipfel mit Angela Merkel. Die Zukunft der Atomkraftwerke und ein schnellerer Ausbau erneuerbarer Energien stehen dort im Mittelpunkt.

German Chancellor Merkel and Baden-Wuerttemberg's state premier Mappus arrive for a news conference after a meeting in the Chancellery in Berlin

Beraten über die Atomkraft: Kanzlerin Merkel und Baden-Württembers Ministerpräsident Stefan Mappus.

(Foto: REUTERS)

Die Kanzlerin hat dazu die fünf Unions-Ministerpräsidenten eingeladen, in deren Ländern Atomkraftwerke stehen. Auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nehmen teil. Eine Woche nach dem Beschluss zur vorübergehenden Abschaltung der ältesten Atomkraftwerke soll es unter anderem darum gehen, wie die Sicherheitsüberprüfungen in allen 17 deutschen Meilern aussehen sollen.

Ungeachtet des von Merkel verkündeten Moratoriums sammeln sich in der Union die Kritiker eines übereilten Ausstiegs. "Technisch ließe sich der Atomausstieg schnell bewerkstelligen", sagte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, der Frankfurter Rundschau. Doch ohne die Kernkraft könnten Deutschland und Europa ihre Klimaziele nicht erreichen. Lauk mahnte, beim Thema Atom das Augenmaß nicht zu verlieren. "Die Japaner reagieren auf die Katastrophe in ihrem Land weitaus weniger hysterisch als wir Deutsche", sagte er mit Blick auf die Atomkatastrophe. "Statt Empathie mit den Japanern zu zeigen, sorgen wir uns um unsere eigene Sicherheit."

Die Energiekonzerne versuchen unterdessen, ihren finanziellen Schaden möglichst klein zu halten. Eon will während des Moratoriums eine geringere Brennelemente-Steuer und weniger in den sogenannten Ökofonds zahlen. "Es ergibt in meinen Augen keinen Sinn, nur einen Teil des Paktes aufzuschnüren", sagte Eon-Chef Johannes Teyssen der Rheinischen Post. Auch ein Sprecher von Vattenfall hatte der Süddeutschen Zeitung von Montag bereits gesagt, der Konzern prüfe, "inwieweit sich die geänderten Umstände auf die Leistung der Förderbeiträge auswirken". Die Zeitung zitierte zudem einen führenden Mitarbeiter eines Akw-Betreibers mit den Worten: "Wir zahlen nur für Reaktoren, die laufen."

Merkel will "Rat der Weisen"

Unterdessen wurde bekannt, dass das Experten-Gremium für die Sicherheit deutscher AKW bereits in der kommenden Woche strengere Vorgaben machen wird. "Die Reaktorsicherheitskommission wird Ende des Monats einen Anforderungskatalog vorlegen", sagte der Kommissionsvorsitzende Rudolf Wieland der Financial Times Deutschland.

Das 16-köpfige Gremium überprüft derzeit im Auftrag des Bundesumweltministeriums die Sicherheitsstandards angesichts der Atomkatastrophe in Japan.

Nach Informationen der Rheinische Post will Merkel noch vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in dieser Woche einen "Rat der Weisen" zur Zukunft der Kernenergie gründen.

Das inoffizielle Beratergremium solle mit namhaften Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche besetzt werden und die friedliche Nutzung der Kernenergie aus einer moralischen und ethischen Perspektive heraus diskutieren, berichtet die Zeitung unter Berufung auf Regierungskreise.

Das Gremium solle "parteiunabhängig und ideologiefrei" besetzt werden und Empfehlungen für den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie geben, hieß es.

Merkel will bis Mitte Juni zusammen mit den Ländern analysieren lassen, welche Konsequenzen aus der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima zu ziehen sind. Erst dann wird entschieden, welche Meiler weiter betrieben werden dürfen.

"Ich glaube, dass es wegen Fukushima in Deutschland zu materiellen Änderungen bei den Sicherheitsanforderungen kommen wird", sagte Wieland von der Reaktorsicherheitskommission. "Insbesondere wird es auch um Verbesserungen des Notfallschutzes gehen."

Unklar sei jedoch noch die Rechtsform der neuen Standards sowie die Dauer der dann folgenden Überprüfung in den Kraftwerken. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe geht davon aus, dass die meisten der abgeschalteten AKW stillgelegt werden. "Ich bin sicher, dass die Mehrheit der jetzt vom Netz gehenden alten Meiler dauerhaft vom Netz gehen", sagte er im SWR. Zudem rechnet Gröhe mit "einem beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie".

"Die Glaubwürdigkeit der Energiewende ist der Schwachpunkt der Berliner Koalition", bemängelte der atomkritische CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel. "Es kommt deshalb jetzt darauf an, nach dem Ablauf der drei Monate des Moratoriums das Atomgesetz so zu ändern, dass die Stilllegung von Reaktoren, die nicht auf den neuesten Sicherheitsstandard gebracht werden können, rechtssicher und dauerhaft verankert wird", sagte er der Nürnberger Zeitung.

Die neue Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, warnte vor voreiligen Festlegungen. "Wir sollten diese drei Monate abwarten und dann erst aufgund der Ergebnisse der Prüfung und nicht aus politischen Gründen entscheiden, wie es weiter geht", sagte sie der Zeitung Die Welt.

Angesichts der ungewissen Atom-Zukunft will Merkel den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. 2010 hatte Energie aus Sonnenlicht, Wind oder Biomasse einen Anteil an der Stromproduktion von bereits knapp 17 Prozent, die Kernenergie lag bei rund 22 Prozent und Kohle bei 43 Prozent. Ein besonderes Augenmerk will Merkel auf einen schnelleren Ausbau der Leitungsnetze legen, etwa um zukünftig den Windstrom von der Küste in den Süden zu bekommen.

Diese Pläne stoßen bei Umweltverbänden auf Kritik. "Wir brauchen kein Netzausbau-Beschleunigungsgesetz", sagte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, der Frankfurter Rundschau. Nötig sei bei Investitionen in neue Leitungen eine umfassende Umweltprüfung, die auch die Belange der Bürger vor Ort berücksichtige. "Kürzere Verfahren mit weniger Bürgerbeteiligung werden die Akzeptanz nicht erhöhen", betonte auch Carsten Wachholz vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in dem Blatt.

Der Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena), Stephan Kohler, plädiert dafür, den im Jahr 2000 unter Rot-Grün vereinbarten Atomkonsens umzusetzen, der einen Ausstieg bis spätestens 2022 vorsieht. Das sei eine realistische Zielmarke, sagte er der Passauer Neuen Presse. "Alles andere würde zu deutlich höheren Strompreisen führen. Das können wir uns als Industrieland nicht erlauben." Voraussetzung für den Atomausstieg sei ein umfangreicher Ausbau der Stromnetze. Kohler sieht die Gefahr von Stromausfällen, falls neben den jetzt abgeschalteten acht Atomkraftwerken in Deutschland weitere Meiler vom Netz gehen. Wenn - wie geplant - im Mai fünf weitere AKW wegen interner Revisionen abgeschaltet würden, werde die Situation "sehr angespannt" sein, sagte er der Zeitung. "In Spitzenzeiten besteht die Gefahr regionaler Blackouts."

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