Einigung im Atomstreit:Atomkraftwerke laufen im Schnitt zwölf Jahre länger

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Schwarz-Gelb hat beim Ringen um die Zukunft der Atomenergie einen Kompromiss gefunden. Jüngere Meiler sollen bis zu 14 Jahren länger am Netz bleiben.

M. Bauchmüller, D. Brössler und N. Fried

Die Atomkraftwerke in Deutschland sollen im Schnitt zwölf Jahre länger laufen als bisher vereinbart. Darauf verständigten sich am späten Sonntagabend in Berlin die Spitzen der schwarz-gelben Koalition, wie Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) bekanntgaben. Die Kraftwerke werden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die sieben ältesten Reaktoren dürfen acht Jahre länger laufen, die zehn jüngeren Meiler 14 Jahre.

Hunderte Atomkraftgegner protestierten am Sonntag vor dem Kanzleramt gegen den Atomgipfel und die Verlängerung der AKW-Laufzeiten - vergeblich. (Foto: APN)

Überdies einigte sich die Runde unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt darauf, keine zusätzlichen Vorgaben bei den Sicherheitsstandards zu machen. So müssen die Reaktoren nicht gegen Terrorangriffe aus der Luft nachgerüstet werden. Die Brennelementesteuer in Höhe von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr soll für sechs Jahre erhoben werden.

Danach soll es eine vertragliche Regelung zwischen den Energieversorgern und der Regierung geben. Neben der Brennelementesteuer verpflichten sich die Konzerne, Sonderbeiträge zu zahlen, mit denen die erneuerbaren Energien gefördert werden sollen. Diese sollen sich im Bereich von 200 bis 300 Millionen Euro pro Jahr bewegen.

Wirtschaftsminister Brüderle sagte: "Die Mühe hat sich gelohnt." Die Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren liege in dem Bereich, in dem volkswirtschaftlich die besten Effekte erzielt würden. Neben den Umweltaspekten sei damit auch für einen stabilen Strompreis gesorgt.

Umweltminister Röttgen fügte hinzu, die Koalition habe den Anspruch erfüllt, ein energiepolitisches Gesamtkonzept für die nächsten Jahrzehnte vorzulegen. "Wir haben den Fahrplan ins Zeitalter der erneuerbaren Energien aufgestellt", erklärte er. Röttgen betonte, diese würden künftig mit bis zu drei Milliarden Euro pro Jahr gefördert. Die Grenze zwischen den älteren und den jüngeren Reaktoren soll das Baujahr 1981 sein.

Nach Ansicht von SPD und Grünen wird die beschlossene Laufzeitverlängerung keinen Bestand haben. SPD-Chef Sigmar Gabriel kündigte erneut an, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Er wertete den Kompromiss als "schwarzen Tag für die Energiepolitik". Die Koalition habe sich von den großen Stromkonzernen unter Druck setzen lassen, damit diese weiter täglich Millionen an Zusatzgewinnen einstreichen könnten, kritisierte er.

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Zugleich warnte der SPD-Chef die Energiekonzerne davor, sich auf die Verlängerung zu verlassen. Sie trügen das "Risiko, dass sich das wieder ändert und man zu den alten Bedingungen zurückkehrt", sagte er mit Blick auf eine mögliche künftige Bundesregierung aus SPD und Grünen. Die beiden Parteien hatten im Jahr 2000 den Atomausstieg beschlossen. Darin wurde der Abschied von der Kernkraft für das Jahr 2022 gesetzlich festgeschrieben. Nach dem Kompromiss der Koalition könnte der letzte Reaktor nun etwa bis 2035 oder gar 2040 laufen.

Für die Atomkraftwerke in Deutschland gilt nach dem Atomkompromiss: Die sieben ältesten Reaktoren dürfen acht Jahre länger laufen, die zehn jüngeren Meiler 14 Jahre. (Foto: SZ-Graphik: Hanna Eiden, Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz, dpa)

Die Bundesregierung will die neue Regelung ohne Beteiligung des Bundesrates durchsetzen. Dies stößt in einigen Bundesländern auf Kritik. Sie sind für die Reaktorsicherheit zuständig. In einer gemeinsamen Position schätzten Bundesinnen- und Justizministerium bei dem Treffen eine Verlängerung der Laufzeiten um ungefähr ein Drittel ohne Einschaltung des Bundesrat als vertretbar ein. Union und FDP hatten sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Kernenergie zunächst als "Brückentechnologie" beizubehalten und die Laufzeiten der 17 deutschen Atomkraftwerke zu verlängern. Über die Dauer dieser Verlängerung war es in der Bundesregierung aber zu heftigem Streit gekommen.

© sueddeutsche.de/Reuters/dpa/AFP/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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