Atomenergie in Japan:Ausstieg gegen den Abstieg

Im Abschied von der Nuklearenergie sieht die japanische Regierungspartei ihre einzige Chance, bei den anstehenden Wahlen einen Erfolg zu feiern. In den vergangenen Monaten hat der Widerstand gegen die Kernkraft in Japan stetig zugenommen. Doch die Kernkraft-Gegner reagieren skeptisch auf die Ankündigung.

Christoph Neidhart, Tokio

Mit dem Beschluss, bis in die 2030er-Jahre aus der Kernenergie auszusteigen, beugt sich der japanische Premier Yoshihiko Noda widerwillig dem Druck der Bevölkerung - und einem Flügel der eigenen Partei, die um die Wiederwahl bangt: Spätestens im Frühjahr muss die Demokratische Partei (DPJ) zu Unterhauswahlen antreten, ihre Umfragewerte sind schlecht, Noda ist unpopulär. Im Atomausstieg sieht die Partei ihre einzige Chance, Stimmen zurückzugewinnen. Der Ausstiegsbeschluss ist somit auch Wahlkampf.

An anti-nuclear protester holds a sign during a demonstration outside Japanese PM Noda's official residence in Tokyo

Die Gegner der Kernkraft reagierten skeptisch auf den Beschluss der Regierung Noda. Akiko Yoshida von "Friends of the Earth" nannte ihn "einen Schritt in die richtige Richtung, aber der Ausstieg wäre sofort möglich".

(Foto: REUTERS)

In den vergangenen Monaten hat der Widerstand gegen die Kernkraft in Japan stetig zugenommen. Im Juli und August ließ die Regierung, die noch vor zwei Jahren den Anteil der Kernkraft am japanischen Energie-Mix auf 52 Prozent anheben wollte, drei verschiedene Szenarien öffentlich diskutieren. Dabei machte sie deutlich, dass sie den Anteil der Kernenergie bevorzugt auf 15 Prozent reduzieren wolle. Den vollständigen Ausstieg skizzierte sie in abschreckend düsteren Worten.

80.000 Zuschriften erhielt die Regierung, 90 Prozent der Verfasser forderten den Atomausstieg, 80 Prozent sogar, sofort auf Atomenergie zu verzichten. Die nächsten Unterhauswahlen werden zum Referendum über die Kernenergie. Sollten die oppositionellen Liberaldemokraten (LDP) sie gewinnen, der politische Arm der Atomlobby, dann dürften sie den Ausstieg rückgängig machen.

Die Gegner der Kernkraft reagierten skeptisch auf den Beschluss der Regierung Noda. Akiko Yoshida von "Friends of the Earth" nannte ihn "einen Schritt in die richtige Richtung, aber der Ausstieg wäre sofort möglich". Obwohl derzeit nur zwei Reaktoren laufen, hat Japan diesen heißen Sommer überstanden, ohne dass der Strom knapp geworden oder gar ausgefallen wäre.

Kepco, die Betreiberin des AKW Oi, hat im Moment des Wiederanfahrens acht Thermokraftwerke abgeschaltet, um Geld zu sparen. Wenn Noda den Ausstieg erst in 20 Jahren vollziehen will, dann vor allem deshalb, weil mehrere Betreiber ohne Atomstrom de facto Pleite machen würden - wie im Fall Tepco bereits geschehen.

Regierung bereitet Brennmaterial weiter auf

Skepsis macht sich auch breit, weil die Regierung am Nuklearkreislauf festhalten will. Obwohl Japan spätestens von 2040 an keinen Nuklearbrennstoff mehr braucht, will es weiterhin alte Brennstäbe wiederaufarbeiten. In Rokkasho, im Norden der Hauptinsel Honshu, steht eine Wiederaufarbeitungsanlage, die seit zehn Jahren in Betrieb genommen werden soll, im Testbetrieb aber immer wieder Pannen hatte.

Die aufbereiteten Brennstäbe sollten dann im Schnellen Brüter erneut Strom erzeugen. Rokkasho nimmt schon seit den Neunzigerjahren schwach radioaktive Abfälle und verbrauchte Brennstäbe zur Lagerung entgegen. Falls man den Nuklearzyklus aufgäbe, würden die verbrauchten Brennstäbe an die AKWs zurückgeschickt, droht die Standort-Präfektur Aomori.

Die Verantwortlichen glaubten, mit dem Nuklearzyklus ein atomares Perpetuum mobile gefunden zu haben - zumindest behaupteten sie dies. Inzwischen ist allerdings bekannt, dass die Tepco-Führung schon früh erkannt hat, dass der Nuklearzyklus nicht realisiert werden wird. Dennoch haben die Stromfirmen und die Regierung an dieser Fiktion festgehalten. Sie hätten sich andernfalls um eine Endlagerung bemühen müssen.

Rechtsnationale Politiker wie Ex-Verteidigungsminister Shigeru Ishiba, der sich zur Zeit um das Amt des LDP-Präsidenten bewirbt, wollen auch deshalb nicht auf Rokkasho verzichten, weil die Anlage Japan zur virtuellen Atommacht macht. Das Brennmaterial in Rokkasho könnte binnen weniger Tage waffenfähig gemacht werden. Japan sitzt schon heute auf mehr als 40 Tonnen Plutonium.

Die Agentur für Nuklearsicherheit Nisa, die wegen ihrer Verflechtung mit der Industrie und Inkompetenz-Vorwürfen nun aufgelöst wird, nimmt in den letzten Wochen ihrer Existenz erstmals ihre Aufgabe ernst und warnt, mehrere AKWs stünden direkt über Erdbebenbruchlinien. Am Freitag hat sie zugegeben, den Kontrollen auf Erdbebensicherheit bisher "keine Priorität eingeräumt" zu haben. Für die Leitung der Nachfolge-Behörde hat Noda kürzlich in Shunichi Tanaka einen Mann nominiert, der sein Leben lang für die Atomlobby gearbeitet hat.

Der Ausstiegsbeschluss polarisiert Japan. Hiromasa Yonekura, Chef des Unternehmerverbands Keidanren, sagt, er könne sich Japan ohne Atomkraft nicht vorstellen. Die Industrie erwartet, dass sich in einigen Jahren der Widerstand gegen die Kernkraft lege, dann könnte sie einige Meiler wieder anfahren. Aber das ist auch den AKW-Gegnern bewusst: Sie demonstrieren nicht nur jeden Freitag vor dem Amt des Premiers und in den Präfektur-Hauptstädten immer zahlreicher, sie organisieren sich auch in Netzwerken. Eine solche Mobilisierung hat Japan seit Jahrzehnten nicht gesehen.

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