Atomenergie in Frankreich:Löchriger Superreaktor

Der Europäische Druckwasserreaktor in Flamanville am Ärmelkanal gilt als Vorzeigeprojekt: Doch in der Mauer des künftigen Abklingbeckens klafft ein Loch - und der Beton ist laut einem Zeitungsbericht durchlässig wie "Käse". Frankreichs Atomaufsicht sagt, die Mängel könnten die Sicherheit des Kraftwerks erheblich beeinträchtigen - solche Konstruktionsfehler kämen aber häufiger vor.

Michael Kläsgen

Diesmal sind es keine Umweltschützer, die die Sicherheit von Frankreichs neuem Vorzeige-Reaktor anzweifeln, sondern staatliche Inspektoren der französischen Atomaufsichtsbehörde (ASN). Sie haben gleich eine ganze Reihe von Mängeln beim Bau des Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) am Ärmelkanal festgestellt, wie die Wochenzeitung Le Canard Enchaîné am Mittwoch enthüllte. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um "Fabrikationsfehler" des französischen Bauunternehmens Bouygues, das den Beton für das 1600 Megawatt starke Kernkraftwerk liefert.

-

Baustelle Flamanville: Die Inbetriebnahme des Druckwasserreaktors wird sich weiter verzögern, zudem verdoppeln sich die Baukosten auf sechs Milliarden Euro.

(Foto: AFP)

Loch in der Mauer des künftigen Abklingbeckens

Das Blatt, das in der Regel nur Karikaturen abbildet, zeigte diesmal zur Veranschaulichung ein Foto. Darauf zu sehen ist ein großes Loch in der Mauer des künftigen Abklingbeckens, in dem abgebrannte, radioaktiv strahlende Brennstäbe zwischengelagert werden sollen. Zudem sei der Beton in den Pfeilern des Reaktors durchlässig wie ein "Gruyère-Käse". Die Behörde habe dem Atomstromkonzern EDF, der das Atomkraftwerk 2016 in Betrieb nehmen will, angesichts der Mängel in den vergangenen Monaten vier "geharnischte" Briefe geschrieben.

Der Chef der ASN-Vertretung im nordfranzösischen Caen, Simon Huffeteau, bestätigte die Informationen in weiten Teilen. Die Konstruktionsfehler könnten die Sicherheit des Kraftwerks erheblich beeinträchtigen. Bis Mitte September erwarte die Behörde von EDF eine Antwort darauf, wie der Konzern die Mängel zu reparieren gedenke. Huffeteau widersprach den Anspielungen in dem Zeitungsbericht allerdings, wonach EDF die Probleme ignoriere. Bislang habe der Konzern jedes Mal umgehend geantwortet. Huffeteau räumte zudem ein, dass solche Konstruktionsmängel häufiger auftreten würden und das Anforderungsniveau der Behörde hoch sei.

Baukosten verdoppeln sich auf sechs Milliarden Euro

Der Energiekonzern, der fast alle französischen Haushalte mit Atomstrom versorgt, reagierte zunächst nicht auf die Kritik. Er hatte allerdings vor kurzem bekannt geben, dass sich die Inbetriebnahme des EPR weiter verzögern werde. Zudem verdoppelten sich die Baukosten auf etwa sechs Milliarden Euro. Dem EPR in Flamanville ergeht es demnach nicht besser als seinem Pendant in Finnland, das ursprünglich zum Exportschlager werden sollte. Weil den Superreaktor niemand kaufte, baute Frankreich einen weiteren Prototypen, der jedoch, wie sich nun herausstellt, ähnliche Probleme aufweist wie der in Finnland.

Martin Bouygues, der Chef des familiengeführten Baukonzerns, wies die Schuld an den Pannen von sich. Er sprach von "beschämenden und skandalösen Manipulationen". "Ja, es ist wahr, es gibt Fabrikationsfehler, weil dies ein Prototyp ist und es technische Probleme gibt, aber diese werden behoben", sagte Bouygues.

Sozialisten rücken kurz vor der Wahl vorsichtig von der Atomkraft ab

Das Industrieministerium teilte mit, die fraglichen Betonarbeiten seien vom Staatskonzern EDF noch nicht abgenommen worden. Den Anmerkungen der Atomaufsicht werde aber "bei den Bauarbeiten natürlich Rechnung getragen". Frankreich, die nach den USA zweitgrößte zivile Atommacht der Welt, hatte den EPR auch nach der Katastrophe im japanischen Fukushima als sichersten Reaktor der Welt bezeichnet. Umfragen zufolge wünscht sich eine Mehrheit der Franzosen zwar eine Abkehr von der Atomkraft, die Regierung entschied jedoch, daran festzuhalten. Wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl beginnen die oppositionellen Sozialisten vorsichtig von der Atomkraft abzurücken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: