Atomausstieg:Enteignung light

Rückbau Atomkraftwerk Stade

Geschlossen: Schlüssel im Steuerraum des AKW Stade, das 2003 außer Betrieb genommen wurde.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Karlsruhe prüft die Frage, ob das öffentliche Interesse nach Fukushima wichtiger ist als Eigentumsrechte der Stromkonzerne. Zu hohen Milliarden-Entschädigungen wird es wohl nicht kommen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Man hatte schon ein paar Stunden verhandelt im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, die Anhörung zu den Klagen der Energieversorger gegen den Atomausstieg von 2011 hatte gerade den Gliederungspunkt "Artikel 14" erreicht - die Eigentumsgarantie, Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens. Eon-Anwalt Christoph Moench erläuterte, warum aus seiner Sicht schon die bloße atomrechtliche Genehmigung Teil der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes sein sollte, als Ferdinand Kirchhof dazwischenfuhr. Eine Genehmigung als Eigentum? Eigentum müsse doch auf Eigenleistung beruhen, merkte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts an. Eine Genehmigung sei aber erst einmal nur ein hoheitlicher Akt: "Was ist da durch Eigenleistung erworben?"

Es war, wenn man so will, die Frage, um die das ganze Verfahren kreiste, dem der Erste Senat des Karlsruher Gerichts - als Berichterstatter war Michael Eichberger zuständig - eine zweitägige Verhandlung gewidmet hat. Um zu ermessen, ob die drei Kläger RWE, Eon und Vattenfall durch den hastigen Atomausstieg nach dem Reaktorunfall von Fukushima Eigentumsverluste erlitten haben und deshalb Entschädigung fordern könnten, musste das Gericht erst einmal klären, worin das angeblich beeinträchtigte Eigentum der Unternehmen überhaupt besteht. Die Atomanlage selbst, klar, das ist Eigentum. Aber zählt auch die Atomgenehmigung dazu, die aus dem Gebäudekomplex und den Anlagen überhaupt erst einen lukrativen Betrieb macht? Einst hatten die AKWs sogar unbegrenzte Genehmigungen, 2002 folgte die Begrenzung der Produktionsmengen, 2010 dann wieder die Laufzeitverlängerung. Und nur Monate später folgte die neuerliche Wende nach Fukushima: Sieben ältere AKWs wurden sofort abgeschaltet, auch der jüngere, aber pannengeplagte Meiler in Krümmel blieb vom Netz, die übrigen Standorte wurden mit festen Abschaltterminen versehen - Schlusspunkt 2022. Genehmigungen also, die eingeschränkt, ausgedehnt und wieder zurückgenommen wurden: Was davon war eine "Eigenleistung" der Konzerne? Und was waren nur Geschenke, die der Gesetzgeber gegeben und wieder genommen hat?

Das Gericht muss erst einmal prüfen, ob überhaupt Eigentum der Konzerne geschädigt wurde

Man wird nach der aufwendigen und vor allem vonseiten der Energieversorger mit großem Personaleinsatz geführten Verhandlung zumindest eine Prognose wagen dürfen. Die Laufzeitverlängerung von 2010, das große Geschenk der schwarz-gelben Regierung an die Energieversorger, dürfte nicht im Mittelpunkt der Überlegungen des Gerichts stehen. Aus Sicht der Bundesregierung ist das eine gute Nachricht, weil die damals auf 32 Jahre veranschlagten Laufzeiten der AKWs im Schnitt um zwölf Jahre verlängert wurden. Wäre dies tatsächlich der hohe Sockel des Eigentumsrechts, auf dem man Entschädigungssummen hätte berechnen müssen - die vor dem Verfahren genannten zweistelligen Milliardenbeträge wären kaum übertrieben gewesen.

Stattdessen wird es wohl, wenn man die Fragen von der Richterbank richtig deutet, auf einen Abgleich zwischen Atomausstieg eins und Atomausstieg zwei hinauslaufen, also zwischen dem 2002 Gesetz gewordenen Atomkonsens und dem Ausstieg nach dem Unfall von Fukushima. Dem Atomkonsens, dem ja auch die Energieversorger zugestimmt hatten, waren Laufzeiten von 32 Jahren zugrunde gelegt und in "Strommengen" umgerechnet worden - also Produktionsrechte, beziffert in Terawattstunden. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks erinnerte die Richter an diesem Mittwoch noch einmal eindringlich daran, dass ebendiese Mengen auch die Basis des Ausstiegsgesetzes von 2011 gewesen seien: "Dies ermöglichte den Konzernen eine Amortisation ihrer Investitionen, wie sie es selbst im Atomkonsens anerkannt haben." Zwar beklagte Eon-Anwalt Michael Uechtritz, die nach Fukushima abgeschalteten Anlagen seien schlicht nicht mehr nutzbar und damit entwertet gewesen. Richter Johannes Masing erinnerte jedoch daran, dass dieser Ausstieg doch schon im Jahr 2002 beschlossene Sache gewesen sei.

Juristisch gesehen, bewegt sich das Gericht damit auf eine Art "Enteignung light" zu. Als echte Enteignung werden sie den Ausstieg wohl nicht ansehen - in diesem Fall wäre laut Grundgesetz eine Entschädigung zwingend. Stattdessen dürfte der Senat in den Abschaltgesetzen eine "Inhalt- und Schrankenbestimmung" des Eigentums sehen - ein "flexibles Instrument", wie Masing anmerkte: Bei dieser Prüfung könne man etwa das öffentliche Interesse an einer Neuorientierung der Politik hin zu Erneuerbaren Energien berücksichtigen, wie es nach Fukushima Fahrt aufnahm. Entschädigungen wären nach einem solchen Konzept denkbar, falls die Übergangsregelung für die Konzerne unzumutbar sei. "Ich kann mir vorstellen, dass eine Entschädigungspflicht eher die Ausnahme bleibt", sagte Masing. Sie müsse jedenfalls nicht immer bei 100 Prozent liegen, fügte sein Kollege Andreas Paulus hinzu.

Es wurde bezweifelt, ob sich der schwedische Konzern Vattenfall auf die Grundrechte berufen kann

Was aber heißt das für die einst zugesicherten "Strommengen", die nach dem Bekunden der Energieversorger durch den Ausstieg nicht mehr nutzbar sind - weil der Markt zu eng, die Kapazitäten zu knapp und die Abschaltfristen zu kurz seien? RWE-Anwalt Benedikt Wolfers führte die überschüssigen Mengen des nie genehmigten AKWs Mülheim-Kärlich ins Feld, die dem Betreiber im Gegenzug für einen Verzicht auf eine Schadensersatzklage gewährt worden waren: rund 38 Terawatt-Stunden, das entspreche rund 700 bis 800 Millionen Euro. Tatsächlich könnten Mülheim-Kärlich und vor allem das AKW Krümmel einen Ansatzpunkt für eine Entschädigung bieten: Krümmel, so argumentiert Vattenfall-Anwalt Ulrich Karpenstein, passt nicht in die Logik des Ausstiegsgesetzes, weil der Meiler deutlich jünger war als die sieben AKWs, die 2011 wegen ihres Alters vorrangig abgeschaltet wurden. Wobei freilich am ersten Prozesstag Zweifel laut geworden waren, ob sich Vattenfall als schwedischer Staatskonzern überhaupt auf deutsche Grundrechte berufen kann.

Ein Urteil ist erst in einigen Monaten zu erwarten. Über die Höhe einer Entschädigung - sollte der Senat eine Zahlungspflicht feststellen - müssten am Ende die Zivilgerichte befinden. "Wir müssen ja nicht endgültig abrechnen", sagte Paulus. Eine Anmerkung zur Entschädigungsmathematik fügte er aber doch noch hinzu: Dass die Energiekonzerne den Strom aus ihren übrig gebliebenen Produktionsrechten in den nächsten Jahren nicht mehr zum selben Gegenwert loswerden könnten wie früher - das sei doch wohl ihr eigenes unternehmerische Risiko.

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