Atomabkommen:Inhalt oder Verpackung

Frankreichs Präsident spricht in Washington von einem "neuem Vertrag" mit Iran. Diplomaten glauben, dass Emmanuel Macron sich auf eine vierteilige Zusatzvereinbarung bezogen hat, um US-Präsident Trump nicht direkt zu widersprechen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Wenn die Absicht war, Verwirrung zu stiften, ist das gelungen. US-Präsident Donald Trump hält Unberechenbarkeit für das Ass seiner Verhandlungstaktik, sei es gegenüber Nordkoreas Diktator Kim Jong-un oder in der Frage, wie es mit dem Atomabkommen mit Iran weitergehen soll. Eigentlich war Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ins Weiße Haus gekommen, um seinen wankelmütigen US-Kollegen davon abzuhalten, am 12. Mai die US-Sanktionen gegen Iran wieder einzusetzen, was einer Kündigung gleichkäme. Die Europäer wollen Verlässlichkeit zeigen. Doch nun redete Macron plötzlich von einem "neuen Vertrag", was in Iran heftige und in Russland verwunderte Reaktionen hervorrief.

Ein Vertrag, den sieben Parteien unterzeichnet haben, könne Trump nicht im Gespräch mit einem europäischen Staatschef ändern, wetterte Irans Präsident Hassan Rohani. Und Kreml-Sprecher Dimitrij Peskow sagte in Moskau: "Wir gehen davon aus, dass es keine Alternative gibt" zum bestehenden Abkommen. Man kenne aber Macrons Pläne nicht genau. "Wir wissen nicht, wovon die Rede ist." Trump hatte davon gesprochen, ein neuer, weit umfassender Deal sei denkbar, wenn er auf einem solidem Fundament stehe. Hat sich Macron darauf eingelassen, obwohl die Europäer ebenso wie Iran und die anderen Parteien Neuverhandlungen des Abkommen bisher ausgeschlossen haben?

Mit dem Dossier befasste Diplomaten diesseits des Atlantiks waren sich auch nicht restlos sicher, legten aber folgende Interpretation nahe: Macron habe sich auf eine vierteilige Zusatzvereinbarung bezogen, die Berlin, Paris und London gerade mit Washington verhandeln. Damit hätte Macron es vermieden, Trump direkt zu widersprechen und ihm eine Brücke gebaut, die er ohne Gesichtsverlust beschreiten könne. Macron hatte sich zuvor schon hilflos grinsend gefallen lassen, wie Trump ihm, nachdem er die "speziellen Beziehungen" gelobt hatte, mit dem Finger vor laufenden Kameras ein paar Schuppen vom Revers seines Jackets schnippte.

Trump habe wie gewohnt das Abkommen mit vernichtender Rhetorik bedacht, orakeln Diplomaten weiter, zugleich aber sich einem "neuen Deal" nicht verschlossen - auch wenn das nach dem Verständnis der Europäer nicht ein modifiziertes Abkommen mit Iran wäre, sondern eine Vereinbarung zwischen beiden Seiten des Atlantiks, wie man das bestehende Abkommen interpretiert und wie man dem Verhalten Irans entgegentreten will, etwa den Raketentests und der aggressiven Regionalpolitik. Wenn Trump das als neuen Deal verkauft - "bitte, damit kann man leben".

Das Risiko ist, dass die Europäer vor lauter Zweckoptimismus nicht merken, dass man gründlich aneinander vorbeigeredet hat. Nicht einmal die US-Unterhändler können oder wollen garantieren, dass Trump ihre Vorschläge akzeptiert. Überdies gibt es in einem entscheidenden Punkt keine wirkliche Einigung - und in Washington auch eine neue Dynamik, ausgelöst durch Trumps Sicherheitsberater John Bolton.

Trump hat verlangt, die Laufzeit des Abkommens müsse unbegrenzt sein; derzeit erlaubt es Iran, nach 2025 sein ziviles Atomprogramm schrittweise wieder hochzufahren. Ein Verweis auf die Präambel, in der Iran den Verzicht auf Nuklearwaffen bekräftigt, soll nach Ansicht der Europäer als Ewigkeitsgarantie dienen. Doch das, so ätzen Hardliner in Washington, sei eine Idee, die "direkt von den Mullahs" stammen könnte. Um aber die Beschränkungen für die Urananreicherung oder die Menge des in Iran gelagerten Urans auf Dauer festzuschreiben, müsste das Abkommen geändert werden, was wohl dessen Ende wäre.

In Washington aber brodelt noch eine ganz andere Debatte: Nach den Massenprotesten zu Jahresbeginn ist Iran nie völlig zur Ruhe gekommen. Geschürt wird die Unzufriedenheit noch weiter durch den rapiden Verfall der Landeswährung Rial. Sie hat jüngst gegenüber dem Dollar mehr als 20 Prozent an Wert verloren, sackte auf ein historisches Tief. Musste man vor einem Jahr 35 000 Rial für den Dollar zahlen, waren es auf dem freien Markt zuletzt mehr als 60 000. Vor zehn Tagen intervenierte die Zentralbank: Sie korrigierte den offiziellen Kurs von 37 000 auf 42 000 Rial und versucht nun, den grauen bis schwarzen Markt unter Kontrolle zu bringen.

Manch ein US-Hardliner wittert schon die Chance auf einen Zusammenbruch des Regimes, im Jahr vor dem 40. Jahrestag der Islamischen Revolution. Kaum etwas würde Iran in dieser Situation härter treffen, als die einschneidenden Sanktionen gegen seine Zentralbank wieder in Kraft zu setzen. Bolton hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er einen Regimewechsel in Iran befürwortet, er hofiert sogar die Volksmudschaheddin, eine obskure Gruppe der Exil-Opposition, die Iran als Staatsfeind gilt und sowohl in den USA als auch Europa lange als terroristisch eingestuft war.

Wenn Bolton dem Präsidenten aber erklärt, dass ihn Teile seines sicherheitspolitischen Teams gemeinsam mit den Europäern über den Tisch zu ziehen versuchen, könnten alle diplomatischen Noten nicht mehr das Papier wert sein, auf dem sie geschrieben wurden. Für Bolton, der gefürchtet ist dafür, dass er Machtkämpfe im Washingtoner Apparat rücksichtslos ausficht, hätte ein solcher Zug nicht nur den Charme, dass er ihm ideologisch naheliegt, sondern auch, dass er damit Konkurrenten in Trumps engerem Kosmos schwächen könnte, Verteidigungsminister, James Mattis etwa.

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