Atom-Gespräche:Runde der Wahrheit

Atom-Gespräche: Die Wand mit dem eindeutigen Gemälde gehörte einmal zur US-Botschaft in Teheran. In Wien könnte sich das Verhältnis der beiden Länder ändern.

Die Wand mit dem eindeutigen Gemälde gehörte einmal zur US-Botschaft in Teheran. In Wien könnte sich das Verhältnis der beiden Länder ändern.

(Foto: Atta Kenare/AFP)

In Wien hat das wahrscheinlich letzte Treffen Irans mit den fünf UN-Veto-Mächten und Deutschland begonnen. Am Ende soll der Nuklearstreit gelöst sein.

Von Paul-Anton Krüger, Wien

Das jüngste Treffen von John Kerry und Mohammad Dschawad Sarif Ende Mai in der Schweiz brachte den beiden kein Glück: Der US-Außenminister stürzte in der Nähe von Genf bei einer Ausfahrt mit dem Rennrad und brach sich den Oberschenkel; sein iranischer Kollege musste mit heftigen Rückenbeschwerden ebenfalls ins Krankenhaus. Am Freitag nun sahen sich die beiden Rekonvaleszenten in Wien wieder, um die wahrscheinlich letzte Verhandlungsrunde über eine Lösung des Atomstreits anzugehen. Bis 30. Juni um Mitternacht läuft die selbst gesetzte Frist für ein endgültiges und umfassendes Abkommen samt technischer Anhänge, das den seit 2003 schwelenden Konflikt beilegen soll. Es wäre ein Vertrag, der das Potenzial hätte, zumindest auf mittlere und lange Sicht die politische Landschaft im Nahen Osten grundlegend zu verändern und eine vorsichtige Annäherung der beiden Erzfeinde nach fast 35 Jahren Sprachlosigkeit in Gang zu setzen.

Zuletzt gab sich Ajatollah Ali Chamenei versöhnlich. Doch er formulierte rote Linien

Der Konjunktiv ist nach wie vor angebracht, denn ein Erfolg der Gespräche ist längst nicht sicher - auch wenn es laut Diplomaten keinen ausgearbeiteten Plan B für den Fall eines Scheiterns gibt. Würden nur Kerry und Sarif die Sache unter sich ausmachen, sie würden sich wohl schnell einig. Für die beiden Minister und ihre Präsidenten Barack Obama und Hassan Rohani wäre das Abkommen die Krönung sonst eher durchwachsener Amtszeiten. Beide Seiten stehen unter enormem innenpolitischen Druck.

Ein kompletter Textentwurf für das Abkommen und seine Anhänge liegt vor; daran haben die Politischen Direktoren der Außenministerien sowie die Nuklear- und Sanktionsexperten der Delegationen fast ununterbrochen gearbeitet, seit die fünf UN-Veto-Mächte und Deutschland Anfang April in Lausanne mit Iran eine politische Grundsatzeinigung erzielt hatten. Diesmal aber können strittige Fragen nicht vertagt werden. Die Leerstellen in dem Text müssen durch Zahlen und präzise Formulierungen ausgefüllt werden. Kurz: Die Stunde der Wahrheit ist gekommen.

An den Gesprächen beteiligte Diplomaten zeigen sich zuversichtlich, dass dies zu schaffen ist und glauben, auf iranischer Seite den Willen zu erkennen, zu einem Abschluss zu kommen. Sie wissen allerdings nicht, mit welchen Direktiven des Obersten Führers Ayatollah Ali Chamenei der iranische Außenminister Sarif nach Wien kommt. In einer vom Staatsfernsehen live übertragenen Rede schlug Chamenei am Dienstag zwar verhältnismäßig konziliante Töne gegenüber den USA an, formulierte aber zugleich etliche rote Linien für ein Abkommen, die zum Scheitern der Verhandlungen führen könnten - wenn Sarif sie in Wien eins zu eins zu Bedingungen erhebt. Und Chamenei betonte in seiner Rede, dass dies der Fall sein werde.

Entscheidend sei, was am Verhandlungstisch gesagt und vereinbart werde, heißt es dennoch in Verhandlerkreisen - auf Chamenei selbst geht die Devise von der "heroischen Flexibilität" zurück, und er hat dem Verhandlungsteam auch nach massiver Kritik der Konservativen und der einflussreichen Revolutionsgarden immer wieder sein Vertrauen ausgesprochen, zuletzt in seiner Rede vom Dienstag. Zweifelsohne gibt es in Teheran heftigen Streit, wie weit Zugeständnisse gehen können, wie hart verhandelt werden soll. Das letzte Wort aber hat in jedem Fall Chamenei.

Als zentraler Knackpunkt gilt die Frage, wie weit Iran den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Aktivitäten aus der Vergangenheit offenlegen muss, die mutmaßlich zur Entwicklung von Atomsprengköpfen dienten, und welche Kontrollen Iran akzeptiert. Chamenei hat ausgeschlossen, dass die IAEA Zugang zu Einrichtungen des Militärs erhält. Seit Langem verlangt die IAEA vergebens Zugang zu einem Areal auf dem Revolutionsgarden-Stützpunkt Parchin. Auch will sie die an den Experimenten beteiligten Wissenschaftler befragen.

Kerry ließ in dieser Frage gewisse Flexibilität erkennen und sagte Mitte Juni, die USA seien "nicht fixiert" darauf, dass Iran detailliert Rechenschaft über die Vergangenheit ablegt. "Wir wissen was sie getan haben", fügte er hinzu, "wir haben absolutes Wissen über die militärischen Aktivitäten." Wichtiger sei es, für die Zukunft sicherzustellen, dass solche Aktivitäten gestoppt seien. Allerdings hat Frankreich in dieser Frage bisher eine harte Position eingenommen. Die Inspektionen von Militäreinrichtungen stünden nicht zur Debatte, sagen westliche Diplomaten.

Chamenei zog auch bei der Laufzeit des Abkommens und den Begrenzungen für Forschung und Entwicklung "rote Linien", die für die westlichen Staaten nicht akzeptabel sein dürften. Ebenso stellte er die Reihenfolge bei der Umsetzung infrage, nach der Iran zunächst bestimmte Bedingungen erfüllen muss und die IAEA deren Einhaltung prüft, bevor das Land im Gegenzug Sanktionserleichterungen hält. Die Strafmaßnahmen müssten "am Tag der Unterschrift" fallen und dürften nicht von Vorleistungen abhängen, sagte Chamenei. Diplomaten sehen genug Spielraum für kreative Lösungen, dass die Verhandlungen zumindest nicht an diesem Punkt scheitern. Sie sehen sich aber auch vor harten Gesprächen - die Möglichkeit, dass auch in Wien eine Verlängerung nötig wird, wollte jedenfalls keiner der Beteiligten ausschließen.

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