Asylverfahren:Test für Asylentscheidungen binnen 48 Stunden

Asylverfahren

Ein Flüchtling aus Syrien wartet in der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt (Brandenburg).

(Foto: dpa)

Die große Zahl an Flüchtlingen überfordert die deutsche Bürokratie - zumindest bislang. Ist ein Projekt in Heidelberg das Modell der Zukunft?

Reportage von Josef Kelnberger, Heidelberg

Patrick-Henry-Village, das klingt nach weiter Welt in Heidelberg. Die Einheimischen kürzen den Namen der Siedlung, keine fünf Kilometer vom Zentrum entfernt, immer noch amerikanisch ab, obwohl die Amerikaner vor mehr als zwei Jahren abgezogen sind.

Im PHV, dem "Pee Aitch Vee", wohnten viele Jahre lang Angehörige des US-Militärs mit ihren Familien, fast hundert Hektar umfasst das Gelände. Im Jahr 2013 wurde das PHV geschlossen, doch seit der Flüchtlingskrise hat die weite Welt wieder Einzug gehalten.

Man mag es für eine Ironie der Geschichte halten, dass im PHV nun Menschen untergebracht sind, in deren Heimat das US-Militär ruhmlose Kriege geführt und viel Chaos gestiftet hat, Irak und Afghanistan zum Beispiel. Den Flüchtlingen wird das einerlei sein. Sie wundern sich womöglich über diese Straßenschilder.

North Gettysburg Avenue, Brandywine Road, Bull Run Court. Aber wirklich seltsam erscheint ihnen, dass sie bei ihrem Weg durch die deutsche Flüchtlingsbürokratie in Heidelberg nun so genau beobachtet werden.

Das Bamf hat etwas zu beweisen

Ob die Flüchtling wissen, welches wegweisende Projekt an ihnen exerziert wird? "Natürlich nicht", sagt Christine van den Berg, als sie in den Warteraum blickt. Der Raum befindet sich in einer ehemaligen Schule des PHV, auf einer Etage werden die Flüchtlinge sämtliche Stationen des Asylverfahrens durchlaufen. Manche lächeln die Frau im schwarzen Wintermantel an.

Frau van den Berg, sozusagen die Herrin des Verfahrens, lächelt zurück. "Unsere Kunden", nennt sie die Flüchtlinge. Man dürfe, sagt sie, bei allem Streben nach Prozessoptimierung im Asylverfahren nicht vergessen, welche Schicksale diese Menschen hierher geführt haben.

Die Diplom-Logistikerin Christine van den Berg leitet bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg den Fachbereich "kontinuierliche Verbesserung". Vor sechs Wochen ist sie mit einem 50-köpfigen Team, zwölf Entscheidern und 38 Mitarbeitern im Antragsservice, in Heidelberg angerückt.

Sie soll im Namen ihres Chefs Frank-Jürgen Weise zeigen, dass das von der Politik viel geschmähte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Asylverfahren schnell bearbeiten kann, sehr schnell sogar. Am Ende des Parcours, den die Flüchtlinge gleich mit der Antragstellung beginnen werden, soll idealerweise noch am selben Tag die Entscheidung über ihren Antrag fallen.

Bund und Land leisten absurde Doppelarbeit bei der Erfassung

Das Patrick-Henry-Village kam als Standort des Bamf-Pilotprojekts zum Zug, weil die baden-württembergische Landesregierung dort ihr allseits gerühmtes "Zentrales Registrierungszentrum" betreibt. Nach langem Tüfteln wurde ein Gebäude so umgebaut, dass die Flüchtlinge alle Stationen der Erfassung und medizinischen Untersuchung an einem Tag durchlaufen.

Sobald das Ergebnis des Medizin-Checks vorliegt, in der Regel nach drei Tagen, werden die Flüchtlinge in das beschleunigte Asylverfahren des Bamf geschickt. An diesem Freitag wollen Bamf-Chef Weise und Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Heidelberg beide Projekte der Öffentlichkeit vorstellen.

Das Modell Turbo-Asyl also, Land und Bund arbeiten dabei Hand in Hand. Der deutsche Föderalismus hat bislang zu absurder Doppelarbeit geführt. Das Land, zuständig für die Registrierung, und das Bundesamt, zuständig für das Asylverfahren, vollziehen zum Teil die selben Verfahrensschritte, wenn sie persönliche Daten der Flüchtlinge erheben oder sie erkennungsdienstlich erfassen.

Das mag noch Sinn ergeben, wenn zwischen Registrierung und Verfahren, wie bislang üblich, mehrere Monate liegen. In Heidelberg werden die Verfahren von Land und Bund in zwei benachbarten Gebäuden abgewickelt, binnen weniger Tage. Der Anachronismus wird offensichtlich.

Ein Flüchtlingsausweis soll Abhilfe schaffen

Die Bundesregierung hat deshalb ein Gesetz auf den Weg gebracht, das den Datenaustausch zwischen den Behörden erleichtert und die Einführung eines Flüchtlingsausweises vorsieht. Der Ausweis verbindet den Asylbewerber sozusagen mit seinen Daten.

Name, Herkunftsland und Fingerabdruck sollen künftig gleich nach Grenzübertritt erfasst werden. Diese Angaben sind dann mittels eines QR-Codes, der auf den Ausweis gedruckt wird, von der Datenbank abrufbar. Auch der Umgang mit diesem Ausweis wird in Heidelberg nun erstmals erprobt.

"Der Prozess muss fließen", sagt Christina van den Berg, die Hände in den Manteltaschen vergraben, bei ihrer Führung durch das Turbo-Asylverfahren des Bamf. Damit alles fließt, werden die Flüchtlinge gezielt vorgeladen, und mit ihnen die passenden Dolmetscher. Die begleiten die Flüchtlinge auf ihrem Weg durch die Stationen des Verfahrens.

Alle Türen gehen ab vom selben Flur. Sogar eine eigene Abteilung Pass-Scan gibt es, also die Möglichkeit zu testen, ob die vorgelegten Pässe echt sind. "Guggemol wie der ä Gsicht macht" steht in schönstem Kurpfälzisch auf einem Plakat, das zeigt, wie erkennungsdienstlichen Fotos auszusehen haben.

Schnelligkeit vor Gründlichkeit?

In Fluss gehalten wird der Prozess vor allem dadurch, dass die Flüchtlinge bei der Antragstellung in drei Gruppen getrennt werden.

  • Gruppe A: Personen mit hoher Bleibeperspektive, Syrer und Iraker zum Beispiel, das sind mehr als die Hälfte aller Fälle.
  • Gruppe B: Personen mit geringer Bleibeperspektive aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern des West-Balkan.
  • Gruppe C: unklarer Status.

Alle Fälle der Kategorie A und B sollen binnen 48 Stunden rechtsgültig entschieden werden und auch die Hälfte der Fälle aus Kategorie C. Der Verdacht mag aufkommen: Geht jetzt Schnelligkeit vor Gründlichkeit?

Die Projektleiterin widerspricht energisch. Als Entscheider in Kategorie A werden in Heidelberg auch Beamte aus dem gehobenen Dienst anderer Behörden angelernt, die Fälle der Kategorien B und C aber weiterhin von eingearbeiteten Bamf-Kräften entschieden.

In Heidelberg hilft zum Beispiel die Karlsruher Entscheiderin Ellen Stenschke aus. Seit 27 Jahren beschäftigt sie sich vor allem mit Asylbewerbern aus Iran und der Türkei, mit Geschichten von Verfolgung und Folter, die man auch als Zuhörer erst einmal verkraften muss. Ellen Stenschke sagt: "Es gibt keine einfachen Fälle im Asylverfahren. Die gibt es auch weiterhin nicht."

Aber es gibt Ziele. Derzeit werden in Heidelberg 200 Fälle am Tag entschieden, von Januar an sollen es 400 bis 500 sein, von Mitte 2016 an dann bis zu tausend. Zug um Zug soll das Personal aufgestockt werden. Das Amt von Frank-Jürgen Weise steht unter Druck. Mehr als 350 000 unbearbeitete Asylanträge haben sich angehäuft, die Verfahren dauern mehrere Monate.

Das Modell Heidelberg soll deshalb auf weitere Standorte übertragen werden. Christine van den Berg wird wohl bald in die Lüneburger Heide weiterziehen, nach Bad Fallingbostel. Dort hat das Bundesamt am Dienstag ein weiteres "Erprobungszentrum" eröffnet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: