Asylstreit:63 Punkte, die die Koalition spalten

Asylstreit: Viele wollen weiter in andere EU-Länder, auch wenn die Regeln anderes verlangen: Bootsflüchtlinge bei der Ankunft in Sizilien.

Viele wollen weiter in andere EU-Länder, auch wenn die Regeln anderes verlangen: Bootsflüchtlinge bei der Ankunft in Sizilien.

(Foto: Giovanni Isolino/AFP)
  • Im Streit zwischen CDU und CSU geht es auch um einen "Masterplan" Horst Seehofers für die Flüchtlingspolitik, dessen 63 Punkte bisher unveröffentlicht sind.
  • Details aus dem Papier wurden aber in Berlin und München mündlich vorgetragen.
  • Unter anderem sieht der Plan demnach die umstrittene Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze vor, sowie die Einrichtung von "Ankerzentren" in Deutschland und "Schutzzonen" an den Fluchtrouten.

Von Constanze von Bullion und Wolfgang Wittl

Es sind nur einige Blatt Papier, aber sie werden gehandelt wie ein geheimer Kassiber, der nur von Hand zu Hand weitergereicht wird, vertraulich: der "Masterplan Migration" von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). 63 Punkte enthält das umstrittene Papier, das Deutschlands Migrationspolitik umkrempeln soll und das über Tage geeignet schien, die Bundesregierung zu stürzen und die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zu zerstören.

Gesehen allerdings haben den Plan bisher nur wenige Auserwählte. Kanzlerin Angela Merkel gehört zu ihnen, Seehofer soll ihr das Papier kurz vor dem Abflug zum G-7-Gipfel in Kanada in die Hand gedrückt haben, mit bekannter Wirkung. Es gab Krach. Und selbst am Montag noch hielten Merkel und Seehofer das Dokument unter Verschluss.

Merkel beruft sich auf EU-Recht

"Ich kann einen Plan eines Bundesministers nicht verteilen, wenn meine eigene Fraktion und der Koalitionspartner ihn noch nicht kennen", sagte etwas entschuldigend Bundesinnenminister Seehofer nach der Sitzung des CSU-Vorstands am Montag in München. Eigentlich hatte Seehofer angekündigt, den Katalog nach dem Treffen veröffentlichen zu wollen. Da die Sache aber weiter für Konflikte sorgen dürfte, wurden Details am Montag in München wie Berlin nur mündlich vorgetragen.

Aktuelles Lexikon: Masterplan

Ein Grund, warum die Vokabel jüngst derart inflationär gebraucht wird, dürfte in einem gängigen Missverständnis liegen: Ein Masterplan ist keineswegs ein Plan, der meisterlich oder gar von einem Meister seines Fachs geschmiedet wurde. Der Masterplan verweist nicht auf einen Master, sondern kommt aus dem Städtebau und meint eine Art Meta-Plan, einen bewusst unscharf formulierten, übergeordneten Rahmen. Er ähnelt eher einer künstlerischen Vision als einem 63-Punkte-Plan, der abzuarbeiten wäre. Trotzdem haben allerlei Amtsträger solche Visionen, nicht nur der Bundesinnenminister. Auch der Trainer der Fußballnationalmannschaft verspricht sich von einem Masterplan Erfolg, getüftelt wird außerdem an einem "Masterplan Wohnen" (für die Stadt Berlin), einem "Masterplan Medizinstudium 2020" (in Baden-Württemberg) sowie am "Masterplan Licht" (für die Beleuchtung Dresdens) und dem "Masterplan Hafencity" (Hamburg). Derjenige, der am wahrhaftigsten über das Konzept "Masterplan" gesprochen hat, ist Noel Gallagher, Gitarrist der Band Oasis. In seinem Song "Masterplan", der B-Seite des Hits "Wonderwall", singt er so kryptisch wie richtig: "Alles, was wir wissen, ist dass wir nicht wissen, wie es sein wird." Die Wahrheit hinter so manchem Masterplan: Auch der Meister kennt die Zukunft nicht. Karin Janker

Hauptkonfliktpunkt in Seehofers Konzept ist die Zurückweisung von Asylbewerbern an deutschen Grenzen. Nach seiner Vorstellung soll allen Geflüchteten die Einreise verweigert werden, die schon in einem anderen Mitgliedsland der EU registriert wurden und im Fingerabdrucksystem Eurodac gespeichert sind. Merkel lehnte dies ab und berief sich dabei auf EU-Recht. Es sieht vor, dass Flüchtlinge, die aus anderen EU-Ländern nach Deutschland kommen, zunächst ins Land gelassen werden müssen, um festzustellen, welcher Staat für ihr Verfahren zuständig ist. Erst dann - also nachdem sie die Chance bekommen, ihr Anliegen vorzutragen - können sie nach Merkels Auffassung in ihr Ersteinreiseland zurückgeschickt werden.

Wiedereinreiseverbot soll für Straftäter und Gefährder gelten

Merkel will nun bis Ende Juni mit den hauptbetroffenen Ankunftsländern Europas über Zurückweisungen sprechen. Seehofer wiederum kündigte an, noch in dieser Woche eine Regelung in Kraft zu setzen, wonach für Flüchtlinge ein "Wiedereinreiseverbot" gilt, die Deutschland schon einmal verlassen mussten. "Das ist skandalös, wenn das nicht eingehalten wird", sagte er am Montag.

Das Wiedereinreiseverbot solle für Straftäter und Gefährder gelten, die nach der Abschiebung zurückkehren wollten. Zudem beziehe es sich auf Personen, die bereits "auf sicheres Gebiet" in der EU zurückgebracht worden, dann aber erneut nach Deutschland aufgebrochen seien, sagte Seehofer.

"Schutzzonen" könnten Debatten auslösen

Ausgeräumt ist der Dissens noch nicht. Zudem könnte ein weiterer Punkt noch heftige Debatten auslösen, auch mit dem Koalitionspartner SPD. Seehofers Plan sieht die Einrichtung von "Schutzzonen" auf den Fluchtrouten nach Europa vor, etwa in Nordafrika oder am Rand der Sahelzone. Solche sogenannten Hotspots in Transitländern sollen nach Seehofers Vorstellung nicht nur abgeschobene Flüchtlingen aus Europa aufnehmen. Es gehe auch darum "nach Norden Flüchtende in sicheren Schutzzonen" unterzubringen, sagte er. Zudem unterstütze er den Vorschlag von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Dieser hatte kürzlich Auffanglager für Flüchtlinge in Albanien vorgeschlagen.

Merkel hatten den Schutzzonen zugestimmt - zur Überraschung Seehofers. "Wir wollen Frontex zu einem lückenlosen europäischen Grenzschutz ausbauen. Wir brauchen gemeinsame Asylverfahren und -standards in Europa", heißt es in dem Vorstandspapier. Seehofers Katalog enthält auch die Forderung, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, aber auch Georgien. Zudem sollen alle Länder, in denen die Anerkennungsquote für Flüchtlinge unter fünf Prozent liegt, zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Länder, die nicht kooperieren, will er durch Einschränkungen bei der Visavergabe unter Druck setzen. In der "Münchner Runde" des BR sprach sich Seehofer am Montagabend gegen finanzielle Anreize für europäische Nachbarstaaten zur Beschleunigung bilateraler Abkommen aus. Seine Partei sei der Überzeugung, dass die Einhaltung des Rechts nicht mit Geldzahlungen durchgesetzt werden dürfe.

"Das wäre falsch." Viel diskutiert, aber noch lange nicht gelöst ist die Frage sogenannter Ankerzentren. In den geplanten Ankunfts- Entscheidungs- und Rückführungszentren sollen künftig alle Asylverfahren gebündelt werden und Menschen ohne Bleibeperspektive bis zur Abschiebung untergebracht werden. Aus den Ländern kommt Widerstand, und mit dem "Masterplan" dürfte er noch wachsen. Denn anders als bisher will Seehofer Geldzahlungen an Flüchtlinge künftig massiv einschränken und fast vollständig auf Sachleistungen umstellen.

Der Plan soll auch Unterstützung für Entwicklungsländer vorsehen

Trumps Tweet

US-Präsident Donald Trump hat sich in die innenpolitische Debatte in Deutschland eingeschaltet, mit Kritik an der Flüchtlingspolitik. Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er: "Die Menschen in Deutschland wenden sich gegen ihre Führung, weil das Migrationsthema die ohnehin schon schwächelnde Koalition ins wanken bringt." Die Kriminalität in Deutschland steige deutlich, behauptete er weiter. "Es war ein großer Fehler in ganz Europa, Millionen von Menschen hereinzulassen, die die Kultur so stark und gewaltsam verändert haben." sz

Zudem will er den Zeitraum, in dem Asylbewerber nur den Grundbedarf erstattet bekommen, verlängern. Derzeit stehen Flüchtlingen nach 15 Monaten in Deutschland Leistungen in Höhe der Sozialhilfe zu. Seehofer will diese Frist verlängern und erst 36 Monate Regelleistungen zahlen. Hier dürfte es Ärger mit der SPD geben. Im Januar hatten die Sozialdemokraten von "Schikanen" gegen Flüchtlinge gesprochen, als Markus Söder ähnliche Pläne vorstellte.

Um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, betont Seehofer seit Wochen, sein Migrations-Plan sehe auch mehr Unterstützung für Entwicklungsländer vor. Um Menschen wirkungsvoller an der Flucht zu hindern, sollen in den Herkunftsländern bessere Lebensverhältnisse geschaffen werden.

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