Asylpolitik:Warum die Flüchtlings-Obergrenze so schwer zu realisieren ist

Wintereinbruch trifft Flüchtlinge

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze bei Wegscheid

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Was die CSU unbedingt will, ist in Österreich beschlossen: Eine Deckelung der Flüchtlingszahlen. Aber: Geht das überhaupt? Und was heißt das für Angela Merkel?

Von Benedikt Peters

Was ist genau geplant?

Am Mittwoch gab die österreichische Regierung bekannt, man werde eine Obergrenze für Flüchtlinge einführen. Demnach dürfen bis 2019 maximal 127 500 Flüchtlinge aufgenommen werden. Im laufenden Jahr sollen höchstens 37 500 Asylbewerber kommen, in den Jahren danach 35 000 (2017), 30 000 (2018) und 25 000 Menschen (2019). Für alle, die nach Erreichen der Obergrenze eintreffen, soll es grenznahe "Wartezonen" geben. Wie genau diese funktionieren sollen, ist noch unklar. Der sozialdemokratische österreichische Bundeskanzler Werner Faymann bezeichnete die Entscheidung, die auf einem Treffen von Bund, Ländern und Kommunen gefallen war, als "Notlösung". Man wolle die EU damit aufrütteln.

Was bedeutet die Entscheidung für den politischen Kurs Angela Merkels?

Der Druck auf Angela Merkel, auf die neue Linie aus Wien einzuschwenken, dürfte nun noch weiter wachsen. Bisher waren die deutsche und die österreichische Regierung gemeinsam gegen eine Obergrenze. Die CSU aber verlangt seit Monaten vehement von der Bundeskanzlerin, das zu revidieren. CSU-Parteichef Horst Seehofer nutzte die Entwicklung in Wien am Mittwoch bei der Parteiklausur in Wildbad Kreuth für einen neuen Vorstoß: "Wenn Österreich jetzt Obergrenzen einführt, heißt das, es werden noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen." Von Merkel zeigte er sich enttäuscht. Noch deutlicher als der Parteichef wurde Generalsekretär Andreas Scheuer: "Die Österreicher machen's. Also müssen wir es auch machen."

Hinzu kommt, dass auch als besonnen geltende Politiker die Entscheidung aus Wien nicht verurteilten. "Das ist ein Hilferuf von Österreich. Er macht klar: Deutschland, Schweden und Österreich können die Flüchtlinge nicht alleine aufnehmen", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann dem Kölner Stadt-Anzeiger. Bundespräsident Joachim Gauck hatte bereits am Mittwochvormittag gesagt, eine Begrenzung des Zuzugs sei nicht per se unethisch, sondern helfe, "Akzeptanz zu erhalten". Kanzlerin Merkel hingegen kritisierte die Entscheidung aus Wien. Sie erschwere die Verhandlungen mit der Türkei, sagte sie nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur. Unterstützung kam aus der Opposition. Grünen-Parteichefin Simone Peter nannte die Entscheidung Österreichs einen "Ausdruck von Mut- und Ratlosigkeit". Abstrakte Obergrenzen könnten keine realen Probleme lösen, sagte Peter, die Fluchtursachen blieben unberührt. Deutschland dürfe sich diesen "fatalen Schwenk" nicht zum Vorbild nehmen.

Wie kommt die Zahl für die Obergrenze zustande?

Fraglich ist, ob die genannten Zahlen für die Jahre bis 2019 endgültig sind. Der österreichische Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sprach von einer "Obergrenze", Kanzler Faymann hingegen von einem "Richtwert". Weiter sagte Faymann, man werde künftig maximal "weitere 1,5 Prozent der Wohnbevölkerung" aufnehmen. Aus diesem Wert ergibt sich angesichts von 8,5 Millionen Österreichern die Obergrenze von 127 500 Flüchtlingen für die kommenden vier Jahre. Die Zahl gilt inklusive Familiennachzug und ist gerundet. Ähnliche Überlegungen gab es bisher auch für Deutschland. So forderte der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff (CDU) eine Obergrenze von 400 000 Flüchtlingen jährlich.

Ist die Umsetzung überhaupt praktisch möglich?

Diese Frage ist noch offen, da wichtige Details bisher unbeantwortet blieben. Fraglich ist etwa, ob sich eine Obergrenze mit europäischem Recht vereinbaren lässt und, falls ja, wie die österreichischen Grenzen entsprechend gesichert werden sollen. Bisher hieß es lediglich, dazu solle ein "Grenz-Leitsystem" an der Grenze zu Slowenien eingesetzt werden. Falls sich die Flüchtlingsroute daraufhin nach Italien verlagere, solle es auch an dieser Grenze entsprechende Maßnahmen geben. Gutachten sowie weitere Detailplanungen stehen noch aus, ebenso wie konkrete Absprachen mit Slowenien, von wo viele Flüchtlinge nach Österreich kommen, sowie mit Deutschland, in das viele Menschen weiterreisen möchten. An der österreichisch-slowenischen Grenze in Spielfeld wird derzeit ein etwa 3,7 Kilometer langer Zaun gebaut.

Auch für Deutschland gibt es Zweifel daran, ob eine Obergrenze praktisch durchgesetzt werden kann. Rainer Nachtigall, der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Bayern, sagte dem Bayerischen Rundfunk, eine komplette Grenzschließung sei mit den derzeitigen Mitteln nicht möglich. An jedem der etwa 70 möglichen Grenzübergänge müsste Polizei stationiert werden, inklusive Nebenstraßen und Gebirgspfaden, und es müsste mehr Streifenfahrten geben. Das würde "die Belastungsgrenze sicherlich überschreiten". Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hingegen sagte, die Grenzschließung sei "durch Bundespolizei mit Unterstützung der Länder auch umsetzbar".

Wie wurde die Entscheidung aus Österreich in Europa aufgenommen?

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz reagierte mit Verständnis. Auf einer Pressekonferenz in Brüssel sagte er, das Land habe bisher alles getan, um Maßnahmen wie die jetzt beschlossene Obergrenze zu verhindern. Dafür zolle er der Regierung in Wien "größten Respekt". Dass sie sich nun doch für eine Obergrenze entschieden habe, liege daran, dass Österreich, wie beispielsweise auch Deutschland, in der Bewältigung der Flüchtlingskrise "alleingelassen" werde.

Harsche Kritik übte der deutsche Sozialdemokrat an jenen EU-Staaten, die sich nicht am System zur Umverteilung der Flüchtlinge beteiligen wollen. Dieses System sei unabdingbar. "Wenn sich alle daran beteiligen würden, gäbe es keine Flüchtlingskrise." EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wiederholte ebenfalls seine Kritik an den Staaten, die sich einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise verweigerten. Der niederländische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratsvorsitzende Mark Rutte forderte erneut eine drastische Reduzierung der Flüchtlingszahlen, vor allem durch eine effiziente Kontrolle der EU-Außengrenzen. Dies müsse innerhalb der kommenden sechs bis acht Wochen geschehen. Gelinge das nicht in dieser Frist, sei ein "Plan B" notwendig, sagte er mit Blick auf Österreich.

Mit Material von Nachrichtenagenturen

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