Asylpolitik:Von der Turnhalle in die nächste Notunterkunft

Letzte Berliner Flüchtlinge ziehen aus Turnhalle aus

In Berlin ziehen die letzten Flüchtlinge aus der Turnhalle in der Fritz-Reuter-Straße aus.

(Foto: dpa)

In Berlin muss kein Flüchtling mehr in einer Turnhalle hausen. Aber ist damit das Gröbste überwunden?

Von Sebastian Fischer

Die Zeugnisse eines kaum menschenwürdigen Lebens sind noch da. Laken und Tücher versperren die Sicht zwischen Reihen von Hochbetten, Plüschtiere häufen sich in einer Pappkiste, an den Wänden heften von Kindern gemalte Bilder, eine irakische Fahne. Am Basketballkorb hängt die Tafel mit den Essenszeiten: Frühstück gab es in dieser Turnhalle in Berlin in den vergangenen eineinhalb Jahren zwischen neun und zehn Uhr morgens.

Die Menschen, die hier zuletzt gelebt haben, sie sind an diesem für die Hauptstadt durchaus bedeutenden Tag am Vormittag ausgezogen. Sie haben vor Freude Lieder gesungen, erzählen die Sozialarbeiter, und manche haben zum Abschied geweint. 78 Flüchtlinge wohnten bis Freitagmorgen in der Fritz-Reuter-Straße im Bezirk Pankow auf engstem Raum und fleckigem Pressspan, während sie draußen jeden Tag Reihenhäuser und Vorgärten sahen: die letzten Flüchtlinge in Berlin, die in einer Turnhalle untergebracht waren.

Turnhallen - das waren vor eineinhalb Jahren die Orte, um die heftige Debatten kreisten. Die einen kritisierten die prekären Verhältnisse, unter denen Flüchtlinge hausen mussten, ohne Privatsphäre, ohne Rückzugsmöglichkeit. Die anderen sahen die Krise plötzlich auf ihrer Türschwelle angekommen, weil der Schulsport oder das Seniorenyoga ausfallen mussten. Und Parteien, die mit ihrer Flüchtlingspolitik agitieren wollten, hatten ihr Stammtischthema.

Was in Berlin nun funktioniert hat, scheint auch in anderen Städten zu gelingen

Am Freitagmittag steht eine Polizeistreife vor der Halle, die Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst lehnen entspannt am Zaun. Von dem Chaos, das in Berlin herrschte, ist nichts zu sehen. Im September 2015 war in der Hauptstadt in 63 Sporthallen Platz für mehr als 10 000 Menschen geschaffen worden, während die Flüchtlinge am Landesamt für Gesundheit und Soziales, dem seither berüchtigten LaGeSo, Schlange standen. Anfang dieses Jahres lebten in Berlin noch immer mehr als 1000 Flüchtlinge in Sporthallen. Elke Breitenbach, die Berliner Sozialsenatorin von den Linken, klingt erleichtert. Sie posiert mit dem Finanzsenator und dem Bezirksbürgermeister vor der Halle für die Fotografen, sie sagt: "Wir haben das jetzt tatsächlich geschafft."

Einerseits ist Berlin ein Sonderfall: Breitenbach hat den Auszug der Flüchtlinge aus Turnhallen zur Priorität erklärt, sie berief sich auf das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz, wonach der Senat Maßnahmen ergreifen kann, um Gefahren abzuwenden. Die Gesundheit der Flüchtlinge sei wegen steigender Zahlen von Gewalt und Krankheitsausbrüchen in den Unterkünften gefährdet gewesen. In den vergangenen drei Monaten konnten so knapp 3500 Menschen die Hallen verlassen.

"Die Situation hat sich entspannt"

Doch was in Berlin nun funktioniert hat, scheint auch in anderen Städten zu gelingen, nach langem Anlauf. Im November 2016 lebten immerhin nur noch in der Hälfte der Bundesländer Flüchtlinge in Turnhallen. Das ergab eine Erhebung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). In Berlin waren es demnach zu dem Zeitpunkt noch 40 Hallen, in Nordrhein-Westfalen 48, in Baden-Württemberg 12. In Frankfurt zogen am Mittwoch die letzten Flüchtlinge aus einer Sporthalle, in Köln wurde am Donnerstag die Notunterkunft in einer Turnhalle aufgelöst. 13 sind dort noch belegt.

"Die Situation hat sich entspannt", sagt Gerd Landsberg, der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Denn Städte und Gemeinden hätten massiv ihre Wohnraumkapazitäten erhöht. Wohnraum, der allerdings oft weiterhin prekär ist. In Berlin, sagt die Integrationssenatorin Breitenbach, könnten die Menschen nun zwar zu zweit oder als Familie in Räumen leben, in denen sie die Tür zumachen können und selbst entscheiden, wann das Licht an- oder ausgeht, "das ist nicht zu unterschätzen". Doch sie sagt auch, dass viele Probleme nicht gelöst seien; dass es bezahlbaren Wohnraum brauche, dass noch immer viele Menschen zwar nicht in Turnhallen, aber in Gemeinschafts- und Notunterkünften leben müssten. Deutschlandweit sind das laut einem Bericht des Spiegel noch immer Zehntausende.

Die Probleme sind, wie vor eineinhalb Jahren, vieler Art, und sie betreffen, wenn man so will, beide Seiten, Flüchtlinge wie Einheimische. Am Freitagnachmittag kommen zwei syrische Männer nach Pankow zurück, die am Vormittag ausgezogen waren. Sie hatten endlich auf eine Wohnung gehofft, auf ein normales Leben. Doch die Gemeinschaftsunterkunft in Neukölln, die ihnen nun zugewiesen wurde, sei gar nicht viel besser als die Turnhalle - so wollten sie nicht leben, sagen sie. Für sie geht die Suche nach einer erträglichen Wohnsituation weiter. Die Lokalreporter hingegen, die am Nachmittag in Pankow zur Schlüsselübergabe an den Bezirksbürgermeister gekommen sind, stellen vor allem eine Frage: Wann kann hier wieder Sport getrieben werden?

Zunächst muss der Sperrmüll beseitigt werden, die Betten und die Pressspanplatten, bevor mit der Sanierung begonnen werden kann, die für 40 Turnhallen etwa 15 Millionen Euro kostet. Es wird dauern, bevor dort, wo Menschen gelebt haben, wieder Basketball gespielt werden kann. Der Landessportbund, heißt es, würde auf die Wiedereröffnung zu Beginn des kommenden Schuljahres hoffen. Es ist wohl eine ziemlich optimistische Hoffnung.

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