Asylpolitik:Frankfurt - Athen und zurück

Eingereist, abgeschoben, geduldet: Wie Deutschland mit einer irakischen Familie umgeht, die Asyl in Europa sucht.

Roland Preuß

Die Polizei kam um vier Uhr morgens und hämmerte gegen die Türe. Namir Komo und seine Frau verstehen kein Deutsch und so breitet der Beamte seine Arme zu zwei Flügeln aus, brummt ein Fluggeräusch und sagt "Greece", Griechenland. Es ist Polizeiroutine: Eine vierköpfige Familie wird in Frankfurt in eine Maschine gesetzt, auch wenn sie zwei kleine Kinder hat, eines davon sechs Wochen alt.

Asylpolitik: Im Irak leiden Christen oft unter Verfolgung.

Im Irak leiden Christen oft unter Verfolgung.

(Foto: Foto: AFP)

Die Komos sind irakische Christen. Sie sollen nach Athen zurück, weil sie über Griechenland nach Deutschland gelangten und damit nach europäischem Recht zunächst Athen zuständig ist. Doch die Abschiebung wird sich als so unhaltbar erweisen, dass die Komos Mitte November wieder in Frankfurt landen werden.

Deutschland zeigt den verfolgten Christen des Iraks immer noch zwei Gesichter: Wolfgang Schäuble (CDU) ist das freundliche. Der Innenminister dringt darauf, in der EU Tausende irakischer Christen aufzunehmen, weil sie in ihrer Heimat besonders stark Terror und Entführungen ausgesetzt sind. An diesem Donnerstag berät er mit seinen EU-Kollegen in Brüssel über eine Aufnahme.

Das andere, hässliche Gesicht Deutschlands offenbart sich in den Erlassen von Schäubles Beamten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Sie zeigen sich gnadenlos, sie verweisen nach wie vor irakische Christen des Landes - selten in den Irak selbst, aber zu Dutzenden nach Griechenland, obwohl sie die Asylanträge auch in Deutschland prüfen dürften. Allein in diesem Jahr zählte das Ministerium 53 Iraker, die Richtung Athen verfrachtet wurden.

Griechenland: Das klingt nach Gastfreundschaft, die Flüchtlinge aber erleben eine andere Wirklichkeit: Die EU-Kommission hat Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land eingeleitet, weil es die Mindeststandards für die Unterbringung Asylsuchender und für die Prüfung von Asylanträgen nicht einhalte. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) rät deshalb allen EU-Staaten davon ab, Schutzsuchende nach Griechenland zu schaffen. Es spricht von "übermäßigen Härten" und fürchtet, dass die Iraker faktisch zur Rückkehr in ihre Heimat gezwungen werden. Gut 25.000 Asylanträge zählte Griechenland im vergangenen Jahr, gerade einmal 146 (2,1 Prozent) wurden genehmigt.

Das Bundesinnenministerium rechtfertigt dennoch die Abschiebungen. Die Lage dort habe sich gebessert, heißt es. Aber gleichzeitig räumt man ein, dass Unterkünfte fehlten und damit Flüchtlinge in Not kommen könnten. Auch Berlin ist sich offenbar nicht sicher, was in Griechenland passiert. Die Griechen wiederum fühlen sich überfordert von den Migrationsströmen an ihrer Ostgrenze; allein auf der Insel Lesbos nahe der Türkei sind seit Jahresbeginn 11.000 Flüchtlinge aufgegriffen worden.

Was "überfordert" in der Praxis bedeutet, erfuhr die Familie Komo kurz nach ihrer Ankunft in Athen. "Hier gibt es kein Asyl, hier gibt es nur die rote Karte", fauchte ein Beamter doppeldeutig: Die rote Karte ist ein Dokument für Flüchtlinge, die Griechenland eigentlich verlassen müssen. Und sie signalisiert den Menschen, ähnlich wie beim Fußball, dass sie nicht erwünscht sind. Zunächst kommt die Familie Komo ins Gefängnis, in eine Gemeinschaftszelle mit etwa 20 Kindern und Erwachsenen.

Es gibt viele schreckliche Flüchtlingsgeschichten, doch meist lässt sich kaum überprüfen, ob sie stimmen. Im Fall Komo ist dies anders: Namir filmt die Enge in der Zelle, verdreckte Klos und verstopfte Wasserbecken. Drei Tage warten sie auf ihr Gepäck, auf Kleider und Windeln. Am vierten Tag dann öffnet sich die Tür: Die Familie wird auf die Straße geschickt.

Dort bleiben die meisten Flüchtlinge auch, Namir Komo trifft viele Landsleute, aber auch Afghanen oder Somalier, die nachts in den Parks von Athen schlafen. Er hat Glück: Von seinen Brüdern hatte er kurz vor der Abschiebung 2000 Euro geschenkt bekommen, damit versucht er, über Anwälte seine Rückkehr nach Deutschland zu erreichen - mit Erfolg. Das Bundesamt erklärt sich Ende Oktober einverstanden.

Seit vergangener Woche sind die Komos als Flüchtlinge anerkannt. Susan Batty, die Frau von Namir Komo, bleibt trotzdem jede Nacht bis fünf Uhr wach, weil sie eine neue Abschiebung fürchtet. Vor fünf Wochen hatte das Bundesamt noch auf der Ausreise bestanden und seinen Bescheid so spät geschickt, dass Komos Anwältin gar nicht mehr einschreiten konnte. Nun schreibt ihr ein Beamter: "Für die Überstellung der Familie Komo nach Griechenland bitte ich um Entschuldigung."

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