Asylpolitik:"Es gibt nicht die eine Lösung"

Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, über den Umgang mit hohen Flüchtlingszahlen.

Interview von Jan Bielicki und Roland Preuß

Mehr als 200 000 Menschen suchten im vergangenen Jahr Asyl in Deutschland, im ersten Vierteljahr 2015 waren es bereits 85 000. Ob sie Schutz erhalten oder nicht, entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg. Präsident Manfred Schmidt fordert Änderungen in Europas Flüchtlingspolitik.

SZ: Herr Schmidt, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem jüngsten Bootsunglück im Mittelmeer hörten?

Manfred Schmidt: Dass diese Katastrophe ja nur der Höhepunkt von vielen Katastrophen im Mittelmeer ist.

Werden Sie da wütend?

Das weniger, ich fühlte eher Hilfslosigkeit - und der Gedanke kam, dass wir in Europa zu viel Zeit haben verstreichen lassen. Wir diskutieren und diskutieren und kommen nicht zu Ergebnissen.

Wer ist dafür verantwortlich?

Darauf gibt es keine einfache Antwort, dafür ist das Problem zu komplex. Man kann nicht sagen: Das wäre die Lösung, wir setzen uns jetzt zusammen und beschließen das. Libyen zum Beispiel ist so auseinandergefallen, dass man mit niemandem dort etwas vereinbaren kann. Es gibt nicht die eine Lösung.

Heißt das, wir müssen dies hinnehmen?

Nein, deshalb hat Deutschland ja verschiedene Vorschläge gemacht, unter anderem den, Aufnahmezentren in Nordafrika einzurichten. Aber da müssen 28 EU-Länder mitziehen, das kann Deutschland nicht alleine, nirgendwo in der Welt.

Wie kann das funktionieren? Sollen libysche Beamte vor dem Aufnahmelager eine Vorauswahl treffen, sollen europäische Beamte auf nordafrikanischem Boden Asylanträge prüfen?

A Kosovar woman holds her child as they warm up around an open fire after they crossed illegally the Hungarian-Serbian border near the village of Asotthalom

Für die einen ein Fall, für die anderen ein Schicksal: Eine Familie aus Kosovo, kurz hinter der Grenze zwischen Serbien und Ungarn.

(Foto: Laszlo Balogh/Reuters)

In Libyen wird so etwas nicht möglich sein, weil das Land zu instabil ist. Aber warum sollten wir in Nachbarländern nicht schaffen, was wir bei unseren Umsiedlungsprogrammen etwa in Jordanien längst tun: Das UN-Flüchtlingshilfswerk macht eine Vorprüfung der Flüchtlinge. Und warum sollte das EU-Asylunterstützungsbüro Easo dann nicht über die Asylanträge entscheiden, mit Beamten aus Schweden, den Niederlanden oder auch Deutschland? Darüber sollten wir doch nachdenken.

Wo könnten solche Aufnahmezentren entstehen?

In Nordafrika, aber auch schon südlich der Sahara. Denn wir sehen die Katastrophen im Mittelmeer, weil da die Kameras sind, die Toten in der Wüste sehen wir nicht.

Aber würden Migranten, deren Asylanträge in den Zentren abgelehnt werden, nicht trotzdem versuchen, nach Europa zu kommen?

Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass ein Ansatz allein alle Probleme löst. Wir könnten so aber einen großen Teil des Schleuser-Geschäfts trockenlegen. Trotzdem wird es immer Migranten geben, die es über das Mittelmeer bis nach Deutschland schaffen wollen. Dann wird eingeworfen, dass Flüchtlinge nicht klagen könnten gegen eine Ablehnung ihres Asylantrags. Warum sollte das unmöglich sein? Darüber muss man mal nachdenken können.

Wie sollen wir mit Asylbewerbern umgehen, die es hierher schaffen, aber keinen Anspruch auf Schutz haben?

Jetzt kommen wir zum Kern unseres Problems. Und das sind nicht die Flüchtlinge, die wir abends in Booten im Fernsehen sehen, die Syrer, Iraker, Eritreer, Afghanen oder Somalier. Unser Problem sind Menschen aus den Balkan-Ländern. In den ersten drei Monaten dieses Jahres hatten wir 85 000 Asylanträge. Davon waren allein 44 000 aus den Balkan-Ländern und nur 15 000 aus Syrien. Fast niemand der Migranten vom Balkan erhält Schutz, nur 0,1 bis 0,2 Prozent. Wenn wir nicht den Zugang aus Serbien, Albanien und ihren Nachbarstaaten hätten, dann hätten wir hier in Deutschland eine völlig andere Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen, auch über den Mangel an Unterkünften.

Die große Koalition hat im Herbst Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Was hat dies verändert?

Die Zahlen steigen nicht mehr, sie stagnieren, aus Serbien sind 13 Prozent weniger Menschen gekommen. Wir spürten die Wirkung. Aber kaum war das geschehen, setzte sich Kosovo in Bewegung, und wir hatten binnen acht Wochen 28 000 Menschen bei uns. Wir dachten: Das können wir, die Anträge wurden schnell entschieden, das hat gewirkt. Kaum war dies geschafft, setzt sich Albanien in Bewegung. In wenigen Wochen sind 17 000 albanische Asylantragsteller angekommen.

Sollten auch diese Länder zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden?

Aus meiner Sicht ja, weil man so ein Zeichen setzen würde.

Welches?

Anfang 2014 kamen noch die Minderheiten aus Kosovo, Roma zum Beispiel. Seit dem Herbst kommt der Mittelstand, 20 Prozent haben Abitur. Bei uns machen die gar keine Verfolgung geltend, die sagen ganz offen: Wir suchen hier eine Arbeit, und ihr sucht doch Fachkräfte, hier sind wir! Bei den Albanern ist es ähnlich. Dort werden nach unseren Kenntnissen Zeugnisse über Blutrache verkauft, das wissen wir von unseren Nachrichtendiensten. Es gibt dort aber keine systematische Verfolgung und damit keinen Grund für Asyl. Das müssen wir deutlich machen.

Die Grünen sagen: Die Anerkennungsquoten für Menschen vom Balkan sind nur deshalb so niedrig, weil die Politik Schnellverfahren haben wollte.

Das ist schlicht Unsinn. Es gibt keine politische Vorgabe, wie wir zu entscheiden haben. Wenn das anders wäre, würde uns das bald um die Ohren fliegen, weil Tausende unserer Entscheidungen von deutschen Verwaltungsgerichten überprüft werden. Bei Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsländern habe ich mir allein 2013 rund 13 000 Gerichtsentscheidungen eingefangen. Dabei bin ich nur 65 Mal zum Schutz des Asylbewerbers verpflichtet worden, und zwar wegen Krankheit, nicht wegen Verfolgung. Wir hören uns ja auch bei Antragstellern aus sicheren Herkunftsländern jede einzelne Fluchtgeschichte an. Wir wissen daher: Diese Menschen suchen in Deutschland Arbeit oder eine bessere Perspektive. Und wir wissen auch, dass die Transferleistungen, die wir in Deutschland haben, Leute anziehen.

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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die Leistungen an Asylbewerber anzuheben, macht sich also bemerkbar?

Ja. Das sieht man an den Folgeanträgen. Die werden in allererster Linie von Menschen aus dem Balkan gestellt, da gibt es eine Art Drehtüreffekt. Aus Syrien, dem Irak oder Eritrea kommt kein Flüchtling wegen 352 Euro monatlich nach Deutschland. Der weiß nicht einmal, dass es das gibt.

Wie also mit den Asylbewerbern aus Südosteuropa umgehen?

Wichtig ist, dass wir so schnell wie möglich über deren Anträge entscheiden. Wir haben im vergangenen Jahr 37 000 Entscheidungen getroffen. Wir erwarten aber auch, dass die Abgelehnten möglichst schnell freiwillig ausreisen oder zwangsweise zurückgeführt werden. Wenn das nicht funktioniert, müsste man sich überlegen, ob man die Transferleistungen für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern noch mal überdenkt.

Was spräche dagegen, die Fachkräfte, die Deutschland ja braucht, unter diesen Bewerbern zu suchen?

Was spricht dagegen, dass die Fachkraft aus Kosovo oder Serbien sich von dort aus um einen Arbeitsplatz bemüht und dann einen legalen Aufenthalt bekommt? Warum sollte sie erst durch ein Asylverfahren gehen? Dafür ist es nicht da. Was wir brauchen, sind Informationskampagnen in den Herkunftsländern. Viele Menschen, die dort weg wollen, haben über die Möglichkeiten, die Deutschland bietet, gar keine Kenntnis. Sie vertrauen auf Leute, die ihnen sagen: Ich bringe dich für 20 000 US-Dollar hin, da musst du nur Asyl rufen und bekommst nach drei Monaten einen Job.

Wie weit ist Deutschland als Einwanderungsland?

Deutschland ist ein Einwanderungsland, war es auch immer.

Auch im Bewusstsein der Deutschen?

Da hat sich sowieso viel geändert. Wie viel Hilfsbereitschaft und Engagement heute Flüchtlingen entgegengebracht wird - das hatten wir vor zwanzig, dreißig Jahren nicht. Heute ist alles entspannter.

Was halten Sie von dem Satz: "Kein Mensch ist illegal"?

Ich kann mit solchen Kampfbegriffen nichts anfangen. Es wäre besser, die ideologischen Gräben zu überwinden.

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